Wissen globalisieren und Zugangsschranken abbauen

TOP 5) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung, Drs. 16/13852

——

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

ich habe nur vier Minuten Zeit, um die „Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung“ zu bewerten. Es ist völlig klar: Das geht nur fragmentarisch. Deshalb – das wird sie nicht wundern – konzentriere ich mich auf die Kritik.

(Burkhart Müller-Sonksen (FDP): Sagen Sie doch einfach, dass Sie das gut finden! –
Manfred Grund (CDU/CSU): Da kommen Sie aber mit vier Minuten gut aus!)

– Lassen Sie mich doch erst einmal richtig anfangen.

Zunächst etwas Grundsätzliches: Ihre Strategie soll langfristig greifen. Und strategisch wollen sie sich den Zitat: „großen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft“ stellen, als da sind: Klimawandel bewältigen, Energieversorgung sichern, Armut und Infektionskrankheiten bekämpfen und schließlich Fragen von Sicherheit und Migration beantworten. Das liest sich doch nicht schlecht, möchte man meinen. Bei mir jedoch ist Misstrauen geblieben. Als ich weitergelesen habe, ist mir auch klar geworden, warum ich so ein komisches Gefühl hatte. Etwas weiter heißt es nämlich wörtlich in diesem Bericht:
„Die Internationalisierung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im globalen Wettbewerb und daher wesentliches Element einer modernen Innovationspolitik.“
Das heißt, Sie bleiben auch in diesem Feld ihrer Logik treu: Konkurrenz vor Kooperation!
Das steht natürlich – Sie habe es selbst erwähnt – im Einklang mit der Lissabon-Strategie der EU, die Europa am stärksten wissensbasierten Wirtschaftsraum machen will. Dass Sie das planen, deklinieren Sie im ganzen Bericht durch.

Ich kann angesichts dessen durchaus an die Ausführungen von Frau Burchardt anschließen, was am Ende bei einer solchen Politik herauskommt. Ich will ein dramatisches Beispiel nennen: In den Millenniumszielen der UNO war die Halbierung der Zahl hungernder Menschen weltweit angekündigt. Von rund 800 Millionen wollte man auf 400 Millionen Hungernde am Ende der ersten Dekade dieses Jahrhunderts kommen. Jetzt, meine Damen und Herren, liegen wir weltweit bei fast einer Milliarde Hungernden! Dazu hat eben auch beigetragen, dass die Versprechen aus den G 8 Treffen wie in Heiligendamm nicht gehalten wurden. Die Entwicklungshilfe sollte massiv aufgestockt werden. Auch das ist nicht geschehen. Ein solches Herangehen auf der Basis von Wettbewerbs- und Standortlogik verfestigen natürlich Ungleichheiten!

Wir als Linke haben immer einen kooperativen Ansatz gefordert. Wissensgewinnung und -anwendung soll uneingeschränkt der weltweiten Verbesserung von Lebensqualität und -grundlagen dienen, soll helfen, natürliche Ressourcen einzusparen und biologische Vielfalt zu erhalten, soll aber natürlich auch Beschäftigungsgrundlagen sichern wie soziale und kulturelle Teilhabeeröffnen. Solange Sie aber Wissen ökonomisieren und als Ware quasi künstlich verknappen, solange soziale und patentrechtliche Zugangsbeschränkungen bestehen, bleibt dieses Strategieziel am Ende Etikettenschwindel.

(Beifall bei den LINKEN sowie Abg. René Röspel (SPD))

Mithin geht es Ihnen nicht nur um geronnenes Wissen, da man sozusagen nachlesen und anwenden kann und möglicherweise beim Patentamt anmelden kann. Nein, es geht Ihnen auch um Internationalisierung unter dem Blickwinkel der Gewinnung von Nachwuchseliten. Im Bericht nennen Sie das Scouting und Monitoring. Wenn dies allerdings unter dem Vorzeichen geschieht, die ich beschrieben habe, müsste man es eher als Hunting – also die Jagd nach Köpfen, bezeichnen.

Das heißt, Sie schöpfen durchaus auch gezielt Ausbildungsleistungen anderer Länder ab. Dem dienen die jüngsten Erleichterungen für ausländische Qualifizierte in Deutschland in Wahrheit. Am Ende ist es für Sie nur von sekundärer Natur, welche Chancen jungen Zuwanderern eröffnet werden. Es geht Ihnen vor allen um den wirtschaftlichen Vorteil, den Sie sich davon versprechen,

(Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Das ist doch nichts Schlechtes!)

und um eine Reduzierung des permanenten Fachkräftemangels.
Umgekehrt endet die Internationalisierung der Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses aus Deutschland oft damit, dass die betreffenden jungen Leute auswandern, weil hiesige akademische Karrieren unattraktiv sind. Sie haben Rückholprogramme aufgelegt; die sind zwar gut gemeint, aber nicht die Lösung.

Den Studierenden war versprochen worden, mit der Studienreform im Zuge des Bologna-Prozesses auch Freiräume für Auslandsstudien zu schaffen. Das Gegenteil ist eingetreten: Nur 15 Prozent gehen während der dreijährigen Bachelorausbildung ins Ausland. Die dort erbrachten Leistungen werden hier vielfach nicht anerkannt. Das Bafög deckt nur zum Teil oder gar nicht die damit verbundenen Kosten ab. Die Anzahl der angebotenen Stipendienprogramme ist viel zu gering; denn die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber übersteigt sie um ein Vielfaches.

Im Forschungsausschuss hat uns letztens der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Prof. Strohschneider, sehr eindringlich das Dilemma eines Auslandsaufenthalts einer jungen Studentin der LMU München beschrieben. Die Problemlagen waren genauso, wie ich sie eben geschildert hab. Da kam wieder einmal das Leben daher und sagte: Ich bin anders!

Wer die wirklich „großen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft“ meistern will, muss Wissen globalisieren. Er muss vor allem Zugangsschranken abbauen. Nur wer Wissen teilt, vermehrt es!

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)