Hochschulen sind Kerne des deutschen Innovationssystems

 

TOP 5 a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2010 (Drucksache 17/990)
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung und Innovation 2010 (Drucksache 17/1880)
c) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans- Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Innovationslücke schließen – Zügig ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der Innovations- und Validierungsforschung vorlegen (Drucksache 17/1958)

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Wir besprechen heute zwei Berichte – das ist schon gesagt worden – zum Thema Innovation.

Der Bericht der Bundesregierung ist eine fette Datensammlung von mehr als 600 Seiten mit gelegentlichem Hang, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Das Expertengutachten wiederum ist viel stärker problemorientiert, aber es ist in vielen Bereichen auch nicht wirklich innovativ. Viele Vorschläge des Expertengutachtens werden nämlich längst diskutiert, zum Teil wird die Umsetzung schon angegangen.

Meine Hauptkritik an beiden Berichten besteht darin, dass Innovationsförderung von bereits vorhandenen Subventionen abgekoppelt betrachtet wird. Insbesondere Großunternehmen in der Bundesrepublik werden durch Forschungsprogramme, Lohnsubventionen, Entlastungen bei Arbeitgeberanteilen zur Sozial- und Krankenversicherung und natürlich auch durch massive Steuersenkungen öffentlich unterstützt. Das sind drei- bis vierstellige Milliardensummen, die der öffentlichen Hand dadurch in den letzten Jahren verloren gegangen sind.

Die öffentliche Hand ihrerseits finanziert also längst direkt und indirekt Kernaufgaben von Unternehmen. Dennoch, so der Bericht der Expertenkommission, sind die Ergebnisse nicht befriedigend. Die Expertenkommission sagt uns, ein Umdenken sei dringend notwendig. Die Linke wiederum sagt: Sicherster Garant für Innovation ist ein qualifiziertes und ausfinanziertes öffentliches Bildungs- und Wissenschaftssystem.

(Beifall bei der LINKEN)

Innovationsschübe sind vor allem von Menschen zu erwarten, die immer wieder und immer weiter lernen, Menschen, die eine klare Berufsperspektive haben, existenzsichernde Einkommen beziehen, auch im qualifizierten und hochqualifizierten Bereich, und zwar unter Arbeitsbedingungen, die Engagement und Kreativität herausfordern und fördern.
Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung, so das Expertengutachten, setzt neue Potenziale frei. Das ist als Feststellung so neu nicht. Natürlich grüßt das Murmeltier längst aus der Furche. Darüber geht noch ein weiterer Ministerinnengeburtstag ins Land. Aber das Gutachten bewertet unter dieser Prämisse die aktuelle Studienreform, auch bekannt unter dem Begriff Bologna-Reform. Das Urteil des Gutachtens? Überschrift: „Bologna reicht nicht.“ Das heißt, das Gutachten gibt uns ein weiteres Alarmsignal. Deshalb habe ich beschlossen, in meinem Redebeitrag die Reformziele durchzugehen. Immerhin hat die Ministerin vorhin ausdrücklich gesagt, man sei mit dem Bildungsstandort Deutschland ziemlich weit vorangekommen.

Erstes Ziel der Bologna-Reform: Öffnung der Hochschulen, vor allem für Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien. Was steht dazu in dem Gutachten? Ich zitiere: „Erste Ergebnisse nähren diese Hoffnung nicht.“ Das heißt, soziale Auswahlmechanismen setzen sich an den Hochschulen fort. Die Linke ist daher nicht nur gegen Studiengebühren. Nein, wir wollen mittelfristig ein insgesamt harmonisiertes System der Bildungsförderung, das Schülerinnen und Schüler, Auszubildende, Studierende und natürlich auch Berufstätige zur Fortbildung ermutigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweites Ziel der Bologna-Reform: Erhöhung der Zahl der Studienanfängerinnen und -anfängern, vor allem von Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Richtungen. Was steht in dem Gutachten? „Die Erwartung … wurde bislang enttäuscht.“ Ich finde, Interesse kann nicht früh genug geweckt werden. Dazu bedarf es vielfältiger individualisierter Angebote, insbesondere für Mädchen. Ein G-8-Abitur beispielsweise verengt eben das Zeitfenster für solche individualisierten Angebote.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittes Ziel: Absenkung der Zahl der Studienabbrüche. Was steht in dem Gutachten? „Auch die Zahl der Studienabbrüche konnte … nicht spürbar reduziert werden.“ Das sind immer Zitate, meine Damen und Herren. Nötig sind also im Vorfeld von Studienentscheidungen Vorbereitungs- und Beratungsangebote. Das Studium selber muss viel flexibler gestaltet werden. In anderen Ländern sind Teilzeitstudien überhaupt kein Thema mehr. Bei uns fällt jeder Studierende automatisch aus der BAföG-Förderung heraus, wenn ein Teilzeitstudium angestrebt wird. Das wird nicht anerkannt. Viertes Ziel: Senkung der Studienzeiten und Überarbeitung von Lehrinhalten, Verbesserung der Betreuungsrelation. Die Reform wurde, so die Experten ich zitiere wieder : „kaum für grundlegende inhaltliche und didaktische Änderungen … genutzt“. Anforderungen seien für Lehrende und Studierende unangemessen und unerfüllbar. Ebenso wie das Gutachten votiert die Linke ausdrücklich für die Mitgestaltung der Beteiligten, um nicht weiterhin am Studienalltag vorbei zu reformieren.

Für eine bessere Qualität des Studiums sind am Ende mehr Wahl- und Vertiefungsmöglichkeiten entscheidend. Dafür brauchen Hochschulen mehr Freiräume bei der Ausgestaltung und Festlegung der Dauer beispielsweise von neuen Studiengängen in Prüfungs- oder in Studienordnungen. Fünftes Ziel der Reform: Abbau von Hindernissen, die den Wechsel zwischen Hochschulen in Deutschland und dem Ausland erschweren. Bisher gibt es ich zitiere wieder das Gutachten : … keine deutliche Erhöhung des Ausländeranteils …. Selbst in Masterprogrammen … nimmt dieser seit 2001 deutlich ab.

Daraus folgt: Studienleistungen müssen großzügig gegenseitig anerkannt werden, und die Finanzierung von Auslandsaufenthalten von deutschen Studierenden muss ausgebaut werden. Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass es derzeit zahlreiche Aktionen gibt, bei denen es um mehr und bessere Bildung geht. Am Willen seitens der Studierenden oder der Schüler und Schülerinnen mangelt es offensichtlich nicht. Das Gutachten titelt „Bologna-Reform reformieren“, aber ohne verbindliche Zusagen ist dieses Ziel nicht erreichbar. Das ist die klare Botschaft des vorliegenden Gutachtens. Deshalb sind wir der Meinung Frau Hein hat das eben in Bezug auf das Kooperationsverbot erläutert, dass Bund und Länder in der Pflicht stehen, etwas gemeinsam zu unternehmen. Wenn der Bologna-Prozess die Hochschulen nicht als Kern des deutschen Innovationssystems stärkt, dann werden auch noch so ausgeklügelte Unternehmensförderungen diesen Verlust nicht wettmachen. Innovationskraft gewinnt aus solch einer Reform allemal mehr Schub, weil wissenschaftlich kompetente, inspirierte und kreative Menschen mehr Dynamik und mehr Energie freisetzen. Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Peter Röhlinger (FDP))