Die Förderung des Europäischen Forschungsrates reformieren und stärken

TOP 23) Antrag der Abgeordneten der Fraktion der SPD: Für eine Stärkung der breit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung – Keine finanziellen Einschnitte beim Europäischen Forschungsrat zu Gunsten des Einzelprojekts ITER   (Drucksache 17/3483)

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– Rede zu Protokoll –

Sehr geehrte Damen und Herren,

Das Megaprojekt ITER, der Versuchsreaktor zur Erprobung der  Kernfusion, beschäftigt uns hier seit längerem. Aktuell geht es um die Frage, wie kurzfristig 1,4 Milliarden Euro aufgebracht werden können, um überhaupt weiter planen zu können. Denn bereits vor dem eigentlichen Baubeginn sind die Kosten explodiert und lassen sich auch weiterhin kaum verlässlich planen.

Das ist auch der Haken am vorliegenden SPD-Antrag: die Geschichte der bisherigen ITER-Planung zeigt, dass die Kosten nicht beherrschbar sind, also auch nicht zuverlässig gedeckelt werden können wie dies die Kolleginnen und Kollegen in ihrem Antrag fordern. Wir treten seit langem dafür ein, aus diesem Projekt auszusteigen, bevor unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden. Nicht, weil wir technikfeindlich sind, sondern weil neue Technologien nicht ohne ihren sozialen und ökologischen Kontext zu denken sind. Vor diesem Hintergrund fällt ITER aus der Zeit. Es ist ein Produkt der 80er Jahre – einer Zeit als internationale Zusammenarbeit an Großtechnologien über die Grenzen der Blöcke hinweg etwas Neues war. Unsere Grundkritik, dass eine Technologie, die – wenn überhaupt  – frühestens 2050 zur Verfügung steht,  nichts zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen kann, bleibt. Die Zukunft gehört dezentralen und erneuerbaren Energieformen, die jetzt schnell und flächendeckend durchgesetzt werden müssen. Auch dies wird Geld kosten. Geld, das nicht in für den Bau von Megareaktoren verbrannt werden darf.

Der SPD-Antrag lenkt jedoch den Blick auch auf den Europäischen Forschungsrat, dessen Budget, so der Antragstext, keinesfalls unter den Mehrausgaben für ITER leiden dürfe. Dieser Forderung kann sich die LINKE natürlich anschließen. Die Einzelförderung einer wirklich innovativen Pionierforschung  durch eine wissenschaftsgeleitete Auswahl der geförderten Personen ist eine richtige Idee. Wir sagen aber auch: das Konzept der Förderauswahl muss überarbeitet werden. Mich hat, wie andere Kolleginnen und Kollegen im Forschungsausschuss auch, die Präsentation des Gründungsgeneralsekretärs des ERC, Prof. Winnacker im vergangenen Jahr schockiert. Die aktuellen Förderstatistiken bestätigen seine Aussagen:

1.    Die Beitrittsländer in Mittel- und Osteuropa spielen bei der Vergabe der Fördermittel keine nennenswerte Rolle. Als Begründung gibt der ERC an, dass diese Länder eben noch nicht solch eine leistungsfähige Wissenschaftslandschaft hätten und diese erst aufgebaut werden müsse. Diese Aussage konterkariert das eigentliche Förderkonzept: wenn wirklich innovative Köpfe und nicht große Strukturen gefördert werden sollen, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass diese Pionierforscher alle in Westeuropa sitzen. Und selbst wenn die Tatsache Berücksichtigung findet, dass knapp 30 Prozent der Geförderten außerhalb ihres Heimatlandes arbeiten, bliebt die Feststellung, dass die Verteilung wohl nicht nur die Leistungsfähigkeit der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler widerspiegelt. Viel eher dürfte die Zusammensetzung der Gutachterkommitees Aufschluss über Präferenzen der ERC-Förderung geben. Die ERC-Präsidentin Helga Nowotny sieht einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Forschungsausgaben des jeweiligen Sitzlandes und Erfolg bei der Förderung durch den Forschungsrat.

Wenn also bei der Förderung nur die ohnehin  schon finanz- und drittmittelstarken Institutionen zum Zuge kommen, bleibt eine Frage: wie soll die Wissenschaftslandschaft in den neuen EU-Staaten ohne spezifische Förderung jemals auf Augenhöhe kommen, wenn der Vorsprung der etablierten Staaten noch zusätzlich durch ERC-Milliarden und andere Initiativen ausgebaut wird?

2.    Frauen sind schlicht unterrepräsentiert bei der Förderung. Der Anteil sank von 2009 auf 2008 sogar noch von 20,7 auf 19,4 %. Auch hier ist es sehr unwahrscheinlich, dass mehr als 80 Prozent der begabtesten Nachwuchswissenschaftler Männer sein sollen. Die Frage, was Spitzenforschung ausmacht, kann nicht ohne die Berücksichtigung sozialer Kontexte beantwortet werden. Wer die innovativsten Köpfe sucht, sollte die spezifischen Forschungsansätze aus weiblicher Sicht stärker berücksichtigen.

Wenn also die Reformen  der Europäischen Forschungsförderung, auch des Forschungsrates, derzeit vorbereitet werden, dann geht es nicht nur um Entbürokratisierung. Die Kommissionsdirektion Forschung und die neue ERC-Präsidentin Helga Nowotny sollten sich dringend mit der Frage beschäftigen, wie die Förderung von Spitzenforschung nicht nur denjenigen eine Chance gibt, die qua Publikationsliste und Titel schon als exzellent gelten, sondern auch denen, die es qua eigener Ideen werden könnten. Die Förderung von Frauen und die  Unterstützung für die Wissenschaft in den Beitrittsländern muss eine stärkere Rolle im Begutachtungsprozess spielen. Nur dann hat die Bezeichnung Pionierforschung, oder neudeutsch „Frontier Research“, für die Förderung des ERC seine Berechtigung.