Ein Grußwort für die Protestveranstaltung des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen

Grußwort

für die Protestveranstaltung der in der DDR geschiedenen Frauen am 3. März 2011 auf dem Nikolaihof in Leipzig

Sehr geehrte Damen, liebe Frauen,

herzlichen Dank für Ihre Einladung. Ich spreche heute hier auch im Namen meiner Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

Besondere Grüße möchte ich Ihnen übermitteln von

  • Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages,
  • Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion,
  • Dr. Martina Bunge, Verantwortliche der Fraktion für die Probleme der Rentenüberleitung Ost,
  • Annette Groth, Sprecherin für Menschenrechtspolitik,
  • Katja Kipping, Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages,
  • Dr. Ilja Seifert, behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion,
  • Kersten Steinke, Vorsitzende des Petitionsausschusses und
  • Klaus Ernst, dem Vorsitzenden der Partei DIE LINKE.

Sie alle waren ebenfalls von Ihnen eingeladen, können aber aus Termingründen leider nicht hier sein.

Es ist ein gutes Zeichen, wenn Menschen sich wehren und für ihre Rechte streiten, so wie Sie es mit Ihrer Protestkundgebung tun. Unser Grundsatz ist: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! Zugleich ist es ein trauriges Zeichen, dass Sie immer noch auf Ihre Lage aufmerksam machen müssen. Es ist ein Armutszeugnis für die schwarz-gelbe Bundesregierung und für alle ihre Vorgängerinnen, egal welcher Farbkombination, seit der Herstellung der Einheit. Diese haben es innerhalb von 20 Jahren nicht fertig gebracht, Ihnen, wie für die westdeutschen Frauen üblich, einen Versorgungsausgleich zuzugestehen. Fiktiv wäre das verfassungsgemäß möglich, oder man könnte wenigstens Vertrauensschutz für die DDR-Lösung gewähren.

Gerade hat die Mehrheit des Bundestages erneut ihren Unwillen gezeigt, das Problem zu lösen. Meine Fraktion, DIE LINKE, hatte 19 Anträge vorgelegt, mit denen zahlreiche Ungerechtigkeiten der Rentenüberleitung aus der Welt geschafft werden sollten. Darunter ein Antrag speziell zur Situation der in der DDR geschiedenen Frauen. Meine Fraktionskollegin Dr. Martina Bunge stand bei der Erarbeitung dieses Antrags in engem Kontakt mit Frauen Ihres Vereins. In diesem Antrag haben wir die beiden genannten Varianten vorgeschlagen. Doch dieser Antrag wurde, wie alle anderen auch, im Bundestag mehrheitlich abgelehnt.

„Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten“, sagte Konfuzius, der chinesische Philosoph, vor gut zweieinhalbtausend Jahren. Genau diese Erkenntnis wird beim Umgang mit Ihnen, den in der DDR geschiedenen Frauen, in den Wind geschlagen. Die Regierenden sind nicht bereit, Fehler zu korrigieren.

Durch Unkenntnis bzw. vielmehr durch Ignoranz waren bei der Überleitung der DDR-Altersversorgung in bundesrepublikanisches Recht verschiedene Versorgungslücken und in der Folge Ungerechtigkeiten entstanden. Bei vielen DDR-typischen Regelungen, so für die ehemals im Gesundheits- und Sozialwesen Beschäftigten, ging es bei der Überführung nach dem Motto: Gibt’s bei uns im Westen nicht, also weg damit! Bei Ihnen, den geschiedenen Frauen, wurde genau umgekehrt verfahren: Eine Regelung der Bundesrepublik vor allem zugunsten von Frauen – der Versorgungsausgleich – wurde nicht auf Sie übertragen. Damit wurde die Lebenssituation von Frauen vor allem in den früheren Jahren der DDR völlig verkannt.

Die Vorstellung, dass in der DDR nahezu alle Frauen vollbeschäftigt waren und alle Kinder wohlversorgt in Kindereinrichtungen verbrachten, hält den Tatsachen nicht Stand. Auch in der DDR gab es Jahre, in denen die Krippenplätze nicht reichten. Wer dann zu Hause blieb, muss ich Ihnen nicht sagen. Es gab Familien, in denen die Frauen traditionell ihrem Mann „den Rücken frei hielten“, wenn dieser sich qualifizierte oder einen Leitungsposten mit hoher Belastung inne hatte. Wenn dann der Vater oder die Schwiegermutter zum Pflegefall wurden, war das in der Regel Frauensache. Viele Gründe also, um die Berufstätigkeit zu unterbrechen oder auf Teilzeit zu gehen.

Diese Zeiten des beruflichen „Kürzertretens“ haben inzwischen bittere Folgen, nicht zuletzt auch, weil die in der DDR freiwillig bezahlten Beiträge in der Bundesrepublik nicht mehr anerkannt werden. Bei vielen geschiedenen Frauen fällt die Rente gering aus, oft so gering, dass sie auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind.

Ein Konzertbesuch oder eine Reise werden zum Luxus, die Zuzahlungen für Medikamente zum Problem. Und es tut auch weh, wenn die Kinder und Enkel nicht finanziell unterstützt werden können, denn aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation sind diese mit ihren Familien oft in finanziellen Nöten.

 Das haben Sie, liebe Frauen, nicht verdient. Das ist ungerecht. Das muss geändert werden. Zu diesem Schluss ist im vorigen Jahr auch der Bundesrat gekommen. Er hat die Bundesregierung in einer Entschließung nachdrücklich gebeten, „eine befriedigende Lösung für die rentenrechtliche Situation der im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 Geschiedenen herbeizuführen“.

 Meine Kollegin Dr. Martina Bunge hat sich jetzt erkundigt, wie und wann die Bundesregierung dieser Aufforderung nachkommen will. Die Antwort ist empörend. Es heißt dort: „Bei allen Prüfungen wurde deutlich, dass eine rentenrechtliche Regelung nicht in Betracht kommen kann, weil keine Regelung ersichtlich ist, die verfassungsmäßig, verwaltungsmäßig und finanziell verantwortbar ist.“

Aber seien Sie gewiss: Meine Fraktion im Bundestag, DIE LINKE, und ich, wir werden keine Ruhe geben, bis Ihnen Gerechtigkeit widerfahren ist. Ich wünsche Ihnen Gesundheit – und bleiben Sie, soweit es in Ihren Kräften steht, so hartnäckig und kämpferisch!

Dr. Petra Sitte