Gute Bildungspolitik ist die Voraussetzung guter Innovationspolitik

 

TOP 24) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2011 und Stellungnahme der Bundesregierung, Drs. 17/8226

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wir reden heute über ein Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation. Dieser Gruppe gehören sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Wirtschafts-, der Rechts- und der Sozialwissenschaft an. Sie haben, wie man es von der Wissenschaft erwarten darf, auch im Jahr 2011, Herr Röspel hat es schon gesagt, ihrer Auftraggeberin kein Gefälligkeitsgutachten vorgelegt und nicht nur eitel Freude bereitet.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Dafür kann man sich bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nur bedanken.
Ich hoffe, dass auch nach der personellen Umbesetzung dieser Gruppe eine solche kritische Distanz bewahrt werden kann. Immerhin haben die Gutachten der letzten Jahre deutliche Signale gesetzt. Ich denke beispielsweise an den Verriss der Studienreform, nichts anderes als ein Verriss war es, oder an die Kritik zur Komplexität und Budgettransparenz eben jener von Ihnen gelobten Hightech-Strategie und Innovationspolitik.

So weit, so gut. Wie hat die Bundesregierung auf das Gutachten 2011 reagiert? Auch in diesem Jahr hat die Bundesregierung zunächst einmal mit bunten Bildchen reagiert. Mit ihnen werden die wachsenden Mittel für Forschungsförderung gefeiert. Das Eigenlob aus den Haushaltsberatungen bekommt sozusagen einen visuellen Gedächtnisschrein. Aber die Expertenkommission ist eben nicht in Andacht erstarrt. Sie hat vielmehr festgestellt, dass man den Aufwuchs der Mittel grundsätzlich anerkennen müsse.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. René Röspel (SPD))

Das ist aber auch schon alles. Nicht die Menge macht es; manchmal macht es erst die Qualität. Es bleibt festzuhalten, dass mehr Mittel allein kein Garant für eine moderne Innovationspolitik sind.
Zu den dann folgenden Kritiken, das hat Herr Röspel schon gesagt, äußert sich die Bundesregierung entweder gar nicht, oder sie reagiert durch gegenteilige Politik darauf. Deshalb frage ich mich: Warum vergibt die Bundesregierung überhaupt derartige Aufträge, wenn sie in diesen Punkten nicht wirklich im Kern etwas ändern will? Da kippt der Buddha aus dem Schrein.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Das ist vollkommen falsch!)

Die Linke dagegen will etwas ändern. Lassen Sie mich das an einem Thema erklären, welches schon fast als Dauerbrenner der Berichte gelten kann: Föderalismus und Bildung. Die Kommission fordert unmissverständlich, den Wettbewerbsföderalismus im Bildungsbereich einzudämmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – René Röspel (SPD): Wie zu Zeiten Willy Brandts!)

Stattdessen soll eine kooperative Bildungspolitik praktiziert werden. Ebenso fordern die Expertinnen und Experten erneut die Überwindung der sozialen Spaltung im Bildungswesen. Das wurde also nicht nur 2009 gefordert, wie Herr Röspel gesagt hat, sondern auch im diesjährigen Gutachten. Mehr Menschen aus bildungsfernen Schichten sollen an die Hochschulen dieses Landes kommen können. Ich frage mich: Wie viele Gutachten braucht es noch, bis man in diesem Punkt nachhaltig umsteuert?

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich werden neue Angebote für Ganztagsschulen gefordert. Die Lernbedingungen sollen verbessert und die Zahl der Abgänge ohne Abschluss soll gesenkt werden.
Die Linke fühlt sich durch die Kommission in ihren Positionen bestärkt. Ich zitiere aus dem Gutachten: Gute Bildungspolitik ist die Voraussetzung guter Innovationspolitik.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Seit Jahren drängen wir hier im Bundestag auf ein Bildungswesen, das individuelles Lernen tatsächlich ermöglicht. Es soll Schwächen ausgleichen, und es soll eben auch die vielfältigen Talente von Kindern und Jugendlichen fördern. Das wird aber nicht ohne Bundeshilfe gehen. Das bleibt auch in Bundesverantwortung, weil Bildung zur Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen gehört.

(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich (DIE LINKE))

Was macht die Bundesregierung? Statt das Kooperationsverbot zu beerdigen und mit den Mitteln konsequent und ohne Umwege das öffentliche Bildungswesen zu stärken, wird viel Geld auf Nebengleisen mit vielen bürokratischen Zwischenstopps geparkt oder in solche Programme wie Bildungs- und Teilhabepaket sowie ein elitäres Studienprogramm geleitet. Das alles sind bürokratische Monster, bei denen klar ist, dass viel Geld an Stellen verpulvert wird, die mit Bildung direkt nichts zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mittel sinnlos verpulvern, das können sie!)

Viel wichtiger wäre es, mit diesen vielen Mitteln das öffentliche Bildungswesen zu stärken. So könnte man wesentlich mehr Effekte erzielen.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Gemeinsam mit den Ländern sollte flächendeckend für eine gute Ausstattung der Bildungseinrichtungen gesorgt werden. Die Umsetzung moderner Lern- und Lehrformen sollte gesichert werden. Gute Kitaplätze für alle Kinder, längeres gemeinsames Lernen in Ganztagsschulen, offene, attraktive Hochschulen, und zwar nicht nur an einzelnen exzellenten Standorten, sondern überall, genau das sind die Aufgaben, die im Gutachten der Expertenkommission nachzulesen sind. Genau das gehört zu einer guten Innovationspolitik.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch in Wissenschaft und Forschung wächst nun die Kritik am Wettbewerbsföderalismus. Das Einwerben von zusätzlichen Mitteln, sogenannter Drittmittel, aus der Wirtschaft und Bundesprogrammen wie beispielsweise der Exzellenzinitiative dominiert mehr und mehr die Haushaltsanstrengungen an Wissenschaftseinrichtungen. Heute wissen wir aber aus vielen Schilderungen, dass der Dauerstress wegen endloser Antragsrennen insbesondere personelle Ressourcen bindet, die letztlich massiv in der Lehre, aber auch in der Forschung fehlen.

Angesichts der 19 000 Programme, die das Bundesforschungsministerium bereits jetzt finanziert, fragt man sich doch: Wäre das Geld nicht viel besser angelegt, wenn man einen Teil davon nutzte, um die Grundausstattung von Wissenschaftseinrichtungen zu verbessern?

(René Röspel (SPD): Die wollen die 20 000 vollmachen!)

– Das kann sein. Aber wir werden versuchen, das zu verhindern. Schließlich könnten die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses dadurch verlässlicher und gerechter gestaltet werden. Natürlich gehört dazu auch eine entsprechende Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.
Laufen nun Hochschulpakt und Exzellenzinitiative in ein paar Jahren aus, müssen wir dann sowieso über ein nachhaltiges Finanzkonzept diskutieren. Mir ist völlig klar, dass ein solches Konzept nicht erarbeitet werden kann, ohne zuvor das Kooperationsverbot beerdigt zu haben.

Die Expertinnen und Experten, also die Geister, die Sie selbst gerufen haben, haben viele praktikable Vorschläge gemacht. Es bedarf schlicht und ergreifend mutiger und innovativer Grundsatzentscheidungen. Beim Kooperationsverbot können Sie damit anfangen. Nächste Woche werden wir darüber im Bundestag diskutieren. Dann werden wir sehen, welche Schlussfolgerungen Sie ziehen. Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

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