Polarforschung zum Schutz von Umwelt und Klima einsetzen

TOP 30 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Polarregionen schützen – Polarforschung stärken – Drucksachen 17/5228, 17/9722
b)Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abkommen zum Schutz der Arktis unverzüglich auf den Weg bringen – Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Arktis, Drs. 17/6499, 17/7987

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-Rede zu Protokoll-

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Haushaltsausschuss hat in der vergangenen Woche die vier bedeutenden Nachfolgebauten für die jetzige Forschungsflotte der Bundesrepublik gebilligt, darunter auch den Neubau eines Forschungseisbrechers. Dieser soll ab 2017 die „Polarstern“ ersetzen und wird nach den derzeitigen Planungen etwa 450 Millionen Euro kosten. Fast eine Milliarde Euro wird überwiegend der Bund für die neue Flotte insgesamt ausgeben. Damit könnte man den hier vorliegenden Antrag der SPD fast für erledigt erklären, denn auch weitere Forderungen der Kolleginnen und Kollegen an die Bundesregierung können als erfüllt angesehen werden. So wird es im 8. Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ eine Förderlinie zur Polarforschung geben, auch Preise für besondere Leistungen auf diesem Gebiet existieren.

Was jedoch fehlt, sowohl bei der Bundesregierung als auch im Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, sind konkrete Forschungsfragen für den Schutz der bedrohten Regionen. Vor etwa zwei Wochen schreckten mehrere Studien die Wissenschaftsszene auf: deutsche und britische Forscher hatten bestätigt, was auch früher nur gemutmaßt wurde: Auch der Eisdecke der Antarktis, die man bisher eher unbeeindruckt von der Erderwärmung geglaubt hatte, droht eine umfangreiche Schmelze. Die Forscher vermuten, dass dieser Prozess von warmen Strömungen ausgelöst werden könnte, die das Schelfeis von unten angreifen.

Die genaue Erforschung solcher Prozesse ist ohne eine entsprechende Infrastruktur, zu der auch die Forschungsschiffe gehören, nicht möglich. Sollten sich die Aussagen verifizieren lassen, dürfte das eine ganz neue Dynamik in die Debatte um den Klimawandel bringen. Denn für den schlimmsten Fall kann die beschleunigte Schmelze dieser Eismassen den Meerespegel bereits in den kommenden 100 Jahren um etwa 40 Zentimeter steigen lassen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung berechtigt, zeitweise zwei eisbrechende Forschungsschiffe parallel zu betreiben, um in beiden Polarregionen arbeiten zu können.

Denn auch der Arktis, bereits seit Jahrzehnten vom Klimawandel betroffen, drohen weitere zerstörerische Eingriff durch den Menschen. Die Umweltorganisation Greenpeace blockierte vor wenigen Wochen das Auslaufen eines gemieteten Eisbrechers in Dänemark. Mieter war der Konzern Shell, der im Arktisraum neue Förderstätten für die am Meeresboden vermuteten riesigen Öl- und Gasvorkommen erkunden will. Greenpeace verweist hingegen darauf, dass die Risiken einer dortigen Förderung von Öl und Gas unkalkulierbar seien. Niemand könne derzeit sagen, was im Falle einer Havarie an Schutzmechanismen funktioniere und wie groß das ökologische und ökonomische Risiko eines solchen Unfalls wie etwa dem der als sicher geltenden Plattform „Deepwater Horizon“ sei.

Der Hunger auf die nach Schätzungen der amerikanischen Rohstoffbehörde etwa 22 Prozent der weltweiten unentdeckten Ölvorkommen und weiteren Basismetallen unter der arktischen Landschaft erzeugt einen starken ökonomischen Druck. Von der Bundesregierung war in der Ausschussberatung ebenfalls zu hören, dass natürlich die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes in der Arktis gewahrt werden müssten. Auch im SPD-Antrag findet sich zur Verpflichtung der Forschungstätigkeit auf den Schutz von Umwelt und Klima nichts Konkretes. Wir unterstützen hingegen den Vorschlag der Grünen, dem Arktischen Rat mehr Kompetenzen für den Schutz dieser Region einzuräumen und in der deutsche Politik Schutzbedarfen Vorrang vor ökonomischen Zielen einzuräumen.

Für die Forschung heißt das: eine staatliche Unterstützung risikoreicher Explorationsvorhaben oder zur Sicherung eines irgendwie gearteten geopolitischen Interesses kann nicht in Frage kommen. Wenn wir der Bereitstellung großer Summen für Forschungsinfrastruktur zustimmen, dann unter der Voraussetzung, dass diese ausschließlich für Erhaltung und Rettung dieser für unser Klima und die Diversität unserer Umwelt so wichtigen Regionen eingesetzt werden. Wir erinnern uns alle noch an das umstrittene Eisendüngungsexperiment LOHAFEX in südatlantischen Gewässern. Dieses hat uns hier im Bundestag eine kontroverse Debatte beschert, für deren Laufzeit das Experiment vor Ort sogar gestoppt wurde. Dieser Fall zeigt, wie schmal der Grat zwischen Grundlagenforschung und risikoreichen, menschlichen Eingriffen in ein hochkomplexes Ökosystem ist. Wir brauchen auch und gerade für die Polarforschung eine transparente Mission für mehr Nachhaltigkeit und eine fundierte Folgen- und Risikoabschätzung.

Dr. Petra Sitte (MdB)