Wir brauchen einen kooperativen Wissenschaftsföderalismus

TOP 4) Antrag der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam für gute Bildung und Wissenschaft – Grundgesetz für beide Zukunftsfelder ändern, Drucksache 17/9565

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Manchmal führt auch ein Schritt nach vorn in eine Sackgasse. Das gilt ganz bestimmt für den neuesten Vorschlag der Bundesregierung zur gemeinsamen Forschungsförderung von Bund und Ländern. Wir reden über Forschung. Bislang war die Bundesförderung nur bei sogenannten Vorhaben von überregionaler Bedeutung möglich. Das will man jetzt ausweiten, und zwar auf Einrichtungen an Hochschulen. Das heißt, der Bund könnte bis in die Hochschulen hinein Forschung direkt fördern. Mancher mag sich fragen: Hm, wieso? Das klingt ja gar nicht schlecht. Was soll denn daran in eine Sackgasse führen? Ich will es Ihnen gerne erklären.

Wenn sich die Bundesregierung nun schon entschlossen hat, das Grundgesetz – wohlgemerkt: das Grundgesetz – anzufassen, das heißt zu verändern, dann sollte sie mit ihrem Vorschlag dort ansetzen, wo die Hütte am meisten brennt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz besonders dramatisch ist die Situation ? das ist uns dargestellt worden ? nun einmal in den Bereichen Schul- und Hochschulbildung. Frau Minister, Ihr Ministerium trägt den Namen „Bildung und Forschung“. Also sollte man auch in dieser Breite denken und anfassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn sich die Koalition nun aber auf eine Grundgesetzänderung allein auf die Hochschulen konzentriert, bedeutet das schlicht und ergreifend: Wir verlieren unglaublich viel Zeit, wenn es darum geht, endlich wieder zu einem Kompromiss im Bereich Bildung zu kommen. Das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn Sie schon die Fehler der Föderalismusreform endlich korrigieren wollen, dann müssen Sie das Dreieck Bildung/Wissenschaft/Forschung ausbalancieren. Das kommt mit Ihrem Vorschlag aber noch weiter in Schieflage.

Beifall der Abg. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE))

Sie liefern sozusagen ein Auto mit einer neuen Elektronik aus, das aber untermotorisiert ist. Das ist kein fortschrittlicher Vorschlag. Ich will noch etwas zu den Herausforderungen im Bereich der Hochschulbildung sagen. Wir haben ständig steigende Zahlen von Studienanfängern und Studienanfängerinnen. 750 000 sollen es allein bis 2020 sein. Das freut uns alle. Bislang hat der Hochschulpakt – bei all seinen Schwächen – durchaus gute Impulse gesetzt; jetzt aber kommt er mit seiner Konstruktion auch an Grenzen. Der Bund gibt nämlich Gelder, hat aber keine Kontrolle darüber, wie viel Mittel die Länder selber dazulegen. Das ist problematisch. Gerade hat Frau Minister Schavan ihre sächsischen Parteikollegen rüffeln müssen, weil diese an den Hochschulen sparen und die Bundesgelder vom Hochschulpakt anderweitig ausgeben. Das ist schon krass. Das kann man nicht tolerieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe unsere Aufgabe darin, zu erreichen, dass eine leistungsfähige Wissenschaft in der gesamten Länderbreite durch eine verbesserte Grundfinanzierung ermöglicht wird. Wir müssen debattieren, wie unsere Wissenschaftslandschaft strukturiert, profiliert und finanziert werden soll. Dazu gehören auch Qualitätskriterien, die beispielsweise im Hochschulpakt bislang fehlen bzw. ausgeblendet waren. Wir brauchen ein neues, besseres Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden. Also muss mehr Personal eingestellt werden. Das muss verlässlich an den Einrichtungen tätig sein. Moderne Lehre in der Methode und in wissenschaftlichen Inhalten, das ist die Zukunftsaufgabe der Hochschulen. Der Pakt für exzellente Lehre, den wir im Bundestag beschlossen haben, bietet diese Breite aber nicht, sondern er wählt aus. Wir brauchen diese Breite aber. Das, was die Koalition in der vergangenen Woche als Personalkonzept vorgeschlagen hat, wäre auch nur durch eine Grundgesetzänderung möglich. Also sagen Sie mit Ihren Vorschlägen selber: Wir brauchen eigentlich mehr. ? Dazu wird angeführt: Das ist ein Minimalkompromiss. ? Für mehr haben Sie die Stimmen der ganzen Opposition. Also, machen Sie ruhig mal!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun will ich natürlich nicht ignorieren ? das ist auch der Hintergrund dieses Vorschlags ?, dass mit dem Ende der Exzellenzinitiative auch im Forschungsbereich der Handlungsdruck wächst. Wohl wahr! Viele Exzellenz-Sieger an den Hochschulen fragen sich nämlich: Wie führen wir denn eigentlich die Projekte weiter, die hier finanziert worden sind? Diese Projekte sind nämlich befristet gewesen, und natürlich wollen die Hochschulen diese Projekte verstetigen. Deshalb sagen Rektoren natürlich: Prima Vorschlag! Damit kommen wir weiter; das ist für uns wenigstens erst einmal ein Schritt in die richtige Richtung. ? Aber diese Rektoren haben die Schülerinnen und Schüler von heute morgen an ihren Hochschulen. Deshalb dürfen wir nicht selektiv denken. Wir haben eine breitere Verantwortung. Wir wollen auch keine Filetierung der Wissenschaftslandschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Änderung des Grundgesetzes darf also nicht Ausgangspunkt der Fortsetzung der Fehler des Wettbewerbsföderalismus werden. Wenn schon im Grundgesetz „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ steht, dann gilt das doch auch für Vorschläge, die darauf Einfluss haben ? grundsätzlich und grundgesetzlich. Bildung und Forschung gehören mit ihrer Leistungsfähigkeit zu dieser Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Deshalb wollen wir einen kooperativen Föderalismus.

Wir wollen also an dieser Stelle kein Auseinanderdividieren von Schulbildung, Hochschulbildung, Wissenschaft und Forschung. ? Übrigens: Man kann Wissenschaft und Forschung ohnehin nicht trennen, weil Wissenschaft ohne Forschung keine Wissenschaft ist. Aber nun bleiben wir einmal bei diesem Begriffspaar. ? Wir wollen, dass das in einem Guss geklärt wird, in einem Guss geändert wird, und dafür gibt es hier offensichtlich sehr viel Unterstützung. Deshalb kann man den Art. 91 b Grundgesetz, wie es Herr Löwer als Staatsrechtler vorgeschlagen hat, so ändern, dass man den Ländern und dem Bund erlaubt, Forschung und Lehre zu fördern. Dann hat man Forschungs- und Bildungsfragen gleichermaßen erfasst. Das ist dann Politik aus einem Guss. Danke.

(Beifall bei der LINKEN)