Stand der Krebsforschung in Deutschland

Zum „Stand der Krebsforschung in Deutschland“ – Bericht von der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung am 13. März 2013

In einer sehr spannenden Anhörung des Forschungsausschusses im Bundestag am 13. März haben KrebsforscherInnen einmütig davor gewarnt, die Entwicklung von Krebstherapien vor allem privaten Unternehmen zu überlassen. Insbesondere die klinische Forschung müsse deutlich stärker öffentlich gefördert werden, um mehr unabhängige und innovativ konzipierte Studien zu neuen Wirkstoffen zu bekommen, forderte Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Wiestler geht davon aus, dass in Deutschland demnächst rund 500.000 Menschen jährlich neu an Krebs erkranken werden. Bedenkt man, dass die Anzahl der im Jahre 2011 geborener Kinder bei rund 663.000 liegt, wird die Dimension von Krebs als Volkskrankheit deutlich.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft Wolf-Dieter Ludwig aus Berlin sprach von der „Innovationskrise der Pharmaindustrie“ und betonte, dass Pharmafirmen vor allem an Wirkstoffen interessiert sind, die in der Entwicklung kostengünstig und möglichst stark im Umsatz sind. Das führe zu Häufungen bei bestimmten Therapieansätzen, die kaum Mehrwert zu bereits zugelassenen Medikamenten aufweisen, während andere Forschungsergebnisse überhaupt nicht aufgegriffen werden. Oft seien die Studien zudem schlecht konzipiert, wodurch seltene, aber gefährliche Nebenwirkungen mit Todesfolge nicht entdeckt werden. Schädlich für Patienten kann sich laut Ludwig auch auswirken, dass der für die Zulassung nötige Nachweis der Wirksamkeit in der Regel nicht unter Alltagsbedingungen der Versorgung erfolgt. Dabei wisse man heute aus der Forschung, dass gleiche Krebsdiagnosen individuell sehr unterschiedlich verlaufen und die Patienten unter Umständen unterschiedlich behandelt werden müssen. Ludwig führte aus, dass in Folge dieser Studienpraxis ein zugelassenes Medikament nur bei durchschnittlich 20 von 100 behandelten Patienten eine Wirkung zeige. Der Rest der Patienten erhalte nur Nebenwirkungen.

Der Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radiologie in Dresden, Michael Baumann, warnte davor, alle Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf neue Krebsmedikamente zu lenken. Die mit Abstand wichtigsten Heilmethoden seien Operationen und Strahlungsbehandlungen. Optimierungsstudien für diese Therapieansätze erhalten seiner Ansicht nach von der Forschungsförderung viel zu wenig Aufmerksamkeit. Hoffnung für heute noch nicht behandelbare Erkrankungen liege nach Ansicht der Sachverständigen zudem in einer intelligenten Kombination vorhandener Medikamente. Voraussetzung dafür ist die genaue Charakterisierung des einzelnen Tumors über Biomarker. Ein Tumor an gleicher Stelle weist bei verschiedenen Patienten etwa zehn unterschiedliche Erbgutveränderungen auf und erfordert eine maßgeschneiderte Therapie. Zugleich dämpften die Experten Erwartungen an schnelle Fortschritte, da nach jeder bahnbrechenden Entdeckung mindestens 30 Jahre vergingen, bevor sie in der therapeutischen Praxis Niederschlag findet.

Wenn die Behandlung zukünftig immer genauer auf immer kleinere Patientengruppen zugeschnitten werden soll, stellte sich den Abgeordneten die Frage, ob das auf Dauer für gesetzliche Krankenkassen bezahlbar bleibt. Anhand der Erfahrungen aus den USA, die den Weg der individuellen Medizin früher beschritten haben, nannte Ludwig ein Einsparpotenzial von 30 Prozent gegenüber der unspezifischen Medikation. Eine zentrale Rolle wird zudem die Verkleinerung der Zahl von Neuerkrankungen spielen, betonte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Prävention in der Deutschen Krebsgesellschaft e.V., Jutta Hübner.

Der heutige Stand der Krebsforschung lässt aus Sicht aller ExpertInnen eine eindeutige Aussage zu: alle in naher Zukunft vorstellbaren Fortschritte bei der Krebstherapie werden nicht so wirksam im Kampf gegen Krebs sein, wie eine bessere Prävention. Das Wissen über Krebsentstehung ist bereits ausreichend wissenschaftlich gesichert. Die Hauptursachen sind mit Abstand Rauchen, starkes Übergewicht gepaart mit Bewegungsmangel sowie Alkohol. Die größte Herausforderung in der Prävention liegt nach Aussage von Jutta Hübner in der Kommunikation dieses Wissens innerhalb unterschiedlicher Gruppen von Menschen. Die bisherigen einheitlichen Gesundheitskampagnen hätten jedenfalls keinen Erfolg gezeitigt, zumal sie kaum bekannt sind. Ein Positivbeispiel sind Präventionsprogramme für Angehörige von Krebskranken, die besonders motiviert teilnehmen.

Wissen über Vorsorge und Therapiemöglichkeiten breit in die Bevölkerung zu vermitteln ist laut Hübner bei Krebs besonders schwierig. Unsere Vorstellungskraft sei beim Thema Krebs von der Alternative zwischen Leben oder Tod und damit von bedrohlichen Gefühlen beherrscht. Zu wenig bekannt sei, dass heute immerhin jeder 2. Betroffene von der Krankheit geheilt wird und eine frühe Diagnose die Chancen auf Heilung deutlich erhöht. Da die Therapien langwierig und oft belastend sind, sei es auch wichtig zu wissen, mit welchen Nebenwirkungen und Einschränkungen der Lebensqualität die PatentInnen rechnen müssen. Nur wenn sie gut informiert seien, könnten sie sich bewusst für bestimmte Therapien und damit für einen bestimmten Umgang mit ihrer Erkrankung und ihrem Leben entscheiden. Die Präventionsforschung müsste daher stärker berücksichtigen, was in welchen Lebenskontexten vermittelbar und anwendbar ist.

Als konkrete Forderung an Forschungspolitik warb Michael Baumann nachdrücklich für langfristige Forschungsprogramme von zwei und mehr Jahrzehnten, die dem notwendigen Erfahrungswissen, die die Krebsforschung benötigt, besser gerecht würden. Mehrere Sachverständige empfahlen die Förderung multizentrischer Studiengruppen, die quer zu institutionellen Zugehörigkeiten sehr wertvolle Arbeit leisten. Eine übergreifende Botschaft an die Abgeordneten lautete demnach auch, dass die Krebsforschung besonders vom Aufheben der Konkurrenz zwischen länderfinanzierten Unikliniken und hauptsächlich bundesfinanzierten Krebsforschungszentren profitieren würde.