Gegen „alternativlose“ Politik – für politische Teilhabe und Bildung

Petra am Pult bei der RLS

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste,

als 1993 die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen-Anhalt – damals noch unter dem Namen ELSA – gegründet wurde, sah die Welt in vielen Punkten ganz anders aus als heute:

Auf dem Balkan tobte ein blutiger Krieg und in Stendal warteten die letzten russischen Soldaten auf den Befehl zur Heimkehr. Die Europäische Union hatte nur 12 Mitglieder und unsere Brötchen zahlten wir in D-Mark. Die Bundesregierung unter einem gewissen Helmut Kohl saß in Bonn und Sachsen-Anhalt hatte noch kein Magdeburger Modell erlebt.

Unter „Neue Medien“ verstand man noch den Videotext und „googlen“ tauchte genauso wenig im Duden auf wie „E-Mail“ oder „bloggen“.

In anderen Bereichen ist unsere Gesellschaft erstaunlich – oder vielmehr erschreckend – konstant geblieben: Ob in Syrien, Mali oder vielleicht bald auf der koreanischen Halbinsel: Kriege und bewaffnete Konflikte wohin man auch schaut auf der Welt.

Die Europäische Union ist zwar größer, aber nicht zu einer europäischen Familie geworden und ein Haufen grauhaariger Männer namens „Alternative für Deutschland“ will das Wahlvolk von der Rückkehr zur D-Mark begeistern.

Die „Berliner Republik“ ist – wie wir es in den neunziger Jahren bereits prognostiziert hatten – deutlich unsozialer als die Bonner Variante und da sich die SPD in Sachsen-Anhalt lieber als bessere CDU profilieren will, scheint eine erneute Kooperation zwischen SPD und LINKEN in Sachsen-Anhalt gerade ziemlich weit weg. Den Videotext gibt es immer noch, hab ich mir sagen lassen, obwohl man heute wohl doch eher Youtube, Blogs und Twitter als „Neue Medien“ bezeichnet.

Und Wörter wie Ausbeutung, Armut, Antisemitismus und Rassismus können auch heute noch nicht unter dem Hinweis „veraltet“ aus dem Duden gestrichen werden – weil wir sie leider immer noch brauchen zur Beschreibung unserer Realität.

Es gibt also viel zu tun für eine linke Stiftung, die es sich richtigerweise zum Ziel gesetzt hat, die Gedanken von umfassender Gleichberechtigung und sozialem Humanismus in die Gesellschaft zu tragen. Dass die hauptamtlichen und zahlreichen ehrenamtlichen MitstreiterInnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Sachsen-Anhalt diese Aufgabe mit so viel Engagement angehen – dafür möchte ich ihnen von Herzen danken.

Es freut mich, dass wir in Sachsen-Anhalt eine so aktive und selbstbewusste Stiftung haben, wie es der Rückbezug zur Namensgeberin verspricht. Schließlich war Rosa Luxemburg auch keine Parteisoldatin, sondern ein kritischer Geist. Ein solcher kritischer Geist ist heute genauso gefragt wie zu Lebzeiten Rosa Luxemburgs. Natürlich auch gegenüber der LINKEN selbst.

In meinen Jahren im Landtag hier in Magdeburg war es für mich immer ein gutes Gefühl zu wissen, dass da eine Institution ist, mit der uns als LINKE das Ziel einer gerechteren Gesellschaft verbindet – die sich aber völlig zu Recht auch Kritik erlaubt, wenn dieses Ziel im politischen Alltagsgeschäft an der ein oder anderen Stelle mal etwas unterzugehen drohte. Auch wenn die derzeitige Landesregierung mit der Entlassung von Ministerin Wolff gerade wieder bewiesen hat, dass sie ein anderes Verhältnis zu Kritik hat – für mich war Kritikfähigkeit immer eine Grundlage guter Politik – und dabei kann ich mich bis heute auf die Stiftung verlassen.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist aber viel mehr als ein Korrektiv, das DIE LINKE auf Linie halten soll. Sie ist eine wichtige Säule der allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Bildung in unserem Land. Mit ihren zahlreichen Diskussionsrunden, Tagungen und Ausstellungen schafft sie Räume und Plattformen für breite Debatten darüber, was in der Welt passiert und wie wir das, was uns daran stört, verändern können. Das ist enorm wichtig. Gerade in einer Zeit, in der den Menschen Politik oft als „alternativlos“ verkauft wird.

Dabei ist das Gerede von der „alternativlosen Politik“ nie so falsch gewesen wie heute. Wir haben immer die Wahl!

Vor allem die digitale Revolution kann und wird unser Miteinander in Zukunft beeinflussen. Sie gibt uns alle Mittel an die Hand, um die Produktion und Verbreitung von Wissen grundlegend zu verändern. Praktisch jede und jeder kann heute, wenn er oder sie das denn möchte, selber zum Multiplikator seines Wissens werden. Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten, an die vor 20 Jahren nun wirklich noch niemand dachte. Durch die digitale Revolution hat sich das Verständnis von Wissen und Information geändert. Wissen ist heutzutage keine absolute Wahrheit mehr. Das kann, das muss auch zu einer Veränderung von Politik beitragen.

Ja, mit Wissen kann man die Welt verändern. Durch Teilhabe an Wissen und Informationen, durch die Öffnung von Diskussions- und Entscheidungsprozessen ergeben sich auch politisch neue Handlungsmöglichkeiten. Und zwar in allen Politikfeldern.

Leider sind die Chancen, an diesen neuen Möglichkeiten zu partizipieren, in unserer Gesellschaft nicht gleich. Nicht jeder und jede kann es sich leisten, daran teilzuhaben – sei es aus finanziellen oder zeitlichen Gründen. Wenn nach einen 10-Stunden-Tag im Niedriglohnjob bei Amazon die Kinder ins Bett gebracht sind, hat eben nicht jeder die Kraft sich noch durch 20 Blogs zu klicken und vielleicht noch selbst einen zu schreiben. Computer, Smartphones und Internetanschlüsse kosten viel Geld. Wer das nicht hat, droht ausgeschlossen zu werden aus der neuen digitalen Welt. Und immer neue Entwicklungen – wie jetzt gerade die Debatte um die Netzneutralität – zeigen, dass auch mit genügend Geld und Zeit, das Internet kein Ort ist, an dem alle gleich sind. Die Telekom will ihre eigenen Angebote bevorzugt behandeln und den Zugang zu anderen Anbietern zumindest verlangsamen. Bei Google kann man sich ein gutes Ranking und damit mehr Aufmerksamkeit erkaufen. Und wer kann schon wirklich von sich behaupten, einen halbwegs vollständigen Überblick über alle Blogs und Nachrichtenseiten zu haben, auf denen täglich neues Wissen produziert und verfügbar gemacht wird? Und: was bringt uns dieses ganze Wissen eigentlich? Was hat das mit unserem Leben zu tun?

Natürlich ist an erster Stelle die Politik gefragt, um diese Probleme zu lösen. Das Grundrecht auf freien Zugang zum Internet – und damit zu Wissen – ist in anderen Ländern längst Realität. Und faire Arbeitsbedingungen und Löhne, die eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zulassen, sind schon immer eine zentrale Forderung der LINKEN.

Es braucht aber auch Institutionen, die die Informationen ordnen und manchmal auch erst verständlich machen. Institutionen, die nicht autoritär und von oben herab, sondern gemeinsam mit den interessierten Bürgerinnen und Bürgern diskutieren. Institutionen, die ganz analog in Arendsee, Jessen oder Zeitz präsent sind und auf diesem Weg wirkliche Partizipation aller am Wissen möglich machen. Wir brauchen Institutionen wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie erreicht mit ihren Veranstaltungen etwa 4500 Menschen pro Jahr – die allermeisten Blogs wären überglücklich über so viel Aufmerksamkeit.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist aus noch einem anderen Grund wichtig für unser Land. Wie ich schon sagte: der Zugang zu Wissen und die Möglichkeit zur Produktion von Wissen sind heute nicht gleich verteilt. Was heute als wichtig und richtig gilt, wird ganz entscheidend von den Lobbyverbänden und ihren Interessen bestimmt. Allein für das Umfeld des Deutschen Bundestages in Berlin werden rund 2.000 Lobbyistenverbände angegeben – meist gut ausgestattet und bestens vernetzt. Die sind ganz sicher nicht alle böse, manche sind auch für mich als Abgeordnete eine wichtige Informationsquelle. Was die allermeisten von ihnen aber ganz sicher nicht sind, ist links. Auch deshalb sind linke Positionen heute in der Öffentlichkeit und in den gesellschaftlichen Debatten oft nicht so wahrnehmbar, wie es in Anbetracht der Probleme in unserer Gesellschaft notwendig wäre. „Linke Öffentlichkeitskrise“ hat das Tom Strohschneider, der Chefredakteur des Neuen Deutschlands, bei einer Veranstaltung in Halle vor kurzem genannt. Der Raum linker Öffentlichkeit schwindet, obwohl er in Zeiten der Krise noch nötiger wäre als sonst.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist deshalb auch wichtig als linke „Lobby-Gruppe“, als Forum für die Diskussion linker Politik; für die Erforschung von Problemen gegenwärtiger und zukünftiger Gesellschaftsentwicklung und kritischer Analyse. Dabei geht es heute nicht mehr um die Vermittlung feststehender Wahrheiten und Doktrinen. Wissen und der Wille zur politischen Veränderung können heute nur in einem gemeinschaftlichen Prozess gewonnen werden, an dem sich möglichst viele Menschen beteiligen sollten. Das ist der Weg der politischen Bildung – der Weg, den die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Sachsen-Anhalt seit 20 Jahren beschreitet.

Ich wünsche uns allen, dass dieser Weg genauso mutig und engagiert weiter gegangen wird, wie bisher.

Vielen Dank.