Tagung „Der Wandel der Sicherheitskultur als Herausforderung für die Politik“

Rede auf der Tagung „Der Wandel der Sicherheitskultur als Herausforderung für die Politik“:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung. Unsere Sicht – also die der LINKEN – auf die Bilanz des Sicherheitsforschungsprogramms (durch Prognos) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung darstellen zu können.

Ich halte es für bemerkenswert, dass hier Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die selbst am Programm beteiligt sind, eine Bilanzdebatte mit der Zielstellung führen, sich über die zukünftige Ausrichtung des Förderprogramms zu verständigen.

Es wird Sie vielleicht nicht wundern, dass unsere Kritik am Regierungskonzept zur Sicherheitsforschung bereits viel früher ansetzt. Und zwar in der Zeit, in der die Grundausrichtung und Grundlinien von Programmen konzipiert werden.

Wir meinen, dass gefragt werden muss, welche Bedürfnisse haben Menschen, welche Leistungen müssen Gesellschaft und staatliche Strukturen, Organisationen, Verbände und wissenschaftliche Institutionen erbringen, um diese Interessen weitestgehend sichern zu können.

Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass ohne Kenntnis sozialer, soziologischer, kultureller und auch vieler Alltagsfragen kaum ein Programm sachgerecht mit maximalem Mehrwert für das Gemeinwohl aufgelegt werden kann. Auf diesen „Konstruktionsfehler“ haben wir über Jahre insbesondere mit Blick auf die Hightech-Strategie hingewiesen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Und so meine ich, dass sich in der zweiten Auflage des Sicherheitsforschungsprogramms Einiges im Herangehen geändert hat.

Das Programm war als Teil der Hightech-Strategie entstanden und folgt demzufolge immer noch weitgehend ihrer Logik. So gibt das BMBF als eines der Ziele des Förderprogramms an, die Sicherheitsforschung als neues Forschungsfeld in Deutschland etablieren zu wollen.

Da die Hightech-Strategie seitens der Bundesregierung grundsätzlich jedoch als Programm der Technologie- und Wirtschaftsförderung aufgelegt wurde, beinhaltet es kaum Räume zur Forschung an grundlegenden Fragen von Sicherheitskonzepten.

Es soll also nicht geklärt werden, welche Unsicherheiten und Risiken Gesellschaften beschäftigen. Und welche Konsequenzen ein unterschiedlicher politischer Umgang damit haben kann.

Nun könnte man ja sagen, gut dazu müsste man außerhalb der Hightech-Strategie eine neue Programmlinie schaffen oder man könnte es in die Deutsche Stiftung Friedensforschung integrieren. Eine diesbezügliche Programmlinie gibt es beim BMBF allerdings nicht und die Deutsche Stiftung Friedensforschung ist seit Jahren unterfinanziert – wird es also nicht zusätzlich leisten können.

Insofern kann ich nur als positiv werten, was Sie innerhalb des Auftragsrahmens verändert haben, schließlich sollen sie Lösungen erarbeiten, die regierungsdefinierte Sicherheitsversprechen umsetzen helfen.

Ich kann mir schon vorstellen, dass auch sie eher kritisch Schlagworte wie „sichere Stadt“, „sichere Grenzen“, „sicheres Leben in Deutschland angesichts terroristischer Gefahren“ bis hin zu „sicheren Großveranstaltungen“ bewerten.

Die Sicherheits- und Risikowahrnehmung vieler Menschen dürfte sich ohnehin deutlich unterscheiden. Und ob solch statische Formulierungen – quasi >Sicherheitsgarantien< – letztlich mehr Vertrauen in Sicherheitsperspektiven auslöst, wage ich zu bezweifeln.

Ganz abgesehen davon, bestimmt das BMF in seinem Auftragsrahmen gar nicht, was es da jeweils selbst unter „sicher“ versteht und wer sich >sicher< fühlen soll eben so wenig.

Das soll aber auch nicht von der Forschung diskutiert werden!

Im Klartext heißt dies, dass Maßnahmen unter dem Label einer Sicherheit entwickeln werden, über die es kaum einen gesellschaftlichen Dialog im Vorfeld gab und für die demzufolge die Auftrag gebenden Ministerien keine Kriterien aufstellen konnten.

Die Bundesregierung operiert mit der Grundbehauptung, dass sich die allgemeine Sicherheitslage verschlechtert habe und wir deshalb mehr Schutzmaßnahmen bräuchten. Punkt.

Erklärungen erst recht differenzierte Belege sucht man vergebens. Und das bei einem Programm, welches Terrorismus, Naturkatastrophen und Großveranstaltungen gleichzeitig thematisiert!

Ich halte dies für erwähnenswert, weil >Sicherheit der Gesellschaft< als hoheitliche Aufgabe immer auch grundgesetzliche und grundrechtliche Fragen aufwirft, die einer ebenso ernsthaften Betrachtung bedürfen.

In solch einer sensiblen Gemengelage, kann einseitige Interessenwahrnehmung nur weitere Probleme auslösen.

Nun weiß natürlich jeder, dass Unsicherheitsbehauptungen, auch unbewiesen kommuniziert, in der Bevölkerung geradezu reflexartig Debatten zu entsprechendem Einsatz von Personal, Technik und angepasster Strukturen auslöst.

Insofern kann das Ministerium auch auf positive Resonanz setzen, wenn es unter dem Thema >Sicherheit<, der Entwicklung von Hochtechnologien im Sicherheitsbereich einen Schub mit öffentlichen Geldern geben will. Ob der spätere Einsatz dieser Technologien, wobei ich mir die schlimmsten Fälle gar nicht vorstellen mag, dann tatsächlich für die betroffenen Menschen und Bereiche mehr Sicherheit bedeutet, ist auch noch nicht bewiesen.

Wie auch immer. Von den späteren Anbietern solcher Technologien wird man nur bedingt Kritik hören. Sie versprechen sich im FuE-Bereich freie Valenzen und nehmen natürlich dankbar alle Regierungshilfen an, die ihre Stellung auf internationalen Märkten verbessern helfen.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Wirtschaftsförderung ist ein legitimes Instrument politischer Steuerung. Ob es jedoch auch zu den Aufgaben von Regierung gehört, künstliche Nachfragen auf neu zu schaffenden Leitmärkten auszulösen, da habe ich doch tapfere Zweifel. Und wie gesagt, der Einsatz von Sicherheitstechnologien ist nicht nur eine Frage der Wirtschaftsförderung!

Die Interessen der Sicherheitsindustrien oder der beteiligten KMU können nun einmal nicht identisch mit gesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnissen sein. Und Sicherheitstechnologien lösen seit Jahren heftige Diskussionen darüber aus, wo und wie durch ihre Nutzung Grundrechte eingeschränkt werden. Verhältnismäßigkeitsprüfungen gehören erfahrungsgemäß nicht zum freiwilligen Portfolio der Industrie.

Nicht das höchstmögliche Maß an Sicherheitsvorkehrungen und –technologien ist das Ziel, sondern nur das notwendige und zugleich gesellschaftlich noch akzeptierte Maß. Wem entsteht welcher Nutzen?

Deshalb haben wir die Partizipation der Zivilgesellschaft bei der Ausgestaltung der Förderlinien gefordert.

Welche Risiken kommen tatsächlich auf die Gesellschaft zu? Stimmen Gefährdungsanalyse, -prognose und -kommunikation der Regierung? Was müssen wir tun, um Gesellschaft besser aufzuklären und zu stärken? Was ist die Gesellschaft bereit, mitzutragen? Wie kann sie das mitentscheiden? Bei der Initiierung des gesellschaftlichen Dialogs spricht das Prognos-Gutachten von „geringer Intensität“. Diese Entscheidungsprozesse müssen aber transparent und demokratisch gestaltet werden. Uns selbstverständlich müssen historische Erfahrungen ebenso einbezogen werden, wie der Umgang mit diesen Fragen in anderen Ländern – insbesondere dann, wenn sie bereits entsprechende Ereignisse durchleben mussten. Vor diesem Hintergrund können sich auch neue Bewertungsmuster ergeben.

Zu Teilen sehe ich mich auch durch die Zwischenevaluation des Forschungsprogramms vom Ende 2012 bestätigt. Sie sieht besondere Hindernisse bei der Umsetzung der erarbeiteten Sicherheitslösungen durch Behörden, die als Endnutzer gelten. Grund sei, dass zunächst in den Organisationen für Akzeptanz gesorgt werden müsse. Sollte ein Dialog darüber aber nicht am Anfang stehen und Voraussetzung für die Teilnahme sein? Das alles erinnert mich sehr an die Fehlerdebatte nach dem Jahrhunderthochwasser 2002 in meinem Land.

Auch ihre Forderung nach eigenständiger statt „flankierender“ geistes- und sozialwissenschaftlicher Sicherheitsforschung kann ich nur unterstützen. Als Begleitforschung sollte sie bislang nur gesellschaftliche Auswirkungen der Einsatzszenarien und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung analysieren. Forschung auf Schadensbegrenzung einzunisten, geht weit an den möglichen komplexen Folgen für die Gesellschaft vorbei. Unabdingbar ist es, denkbare und realistische Alternativen aufzuzeigen.

Mit der Einrichtung des „Fachdialogs Sicherheitsforschung“ hat die geistes- und gesellschaftwissenschaftliche Dimension zwar an Sichtbarkeit gewonnen. Die beim Innovationsforum letztes Jahr vorgestellten Ergebnisse z. B. zu Sicherheitskulturen von Stadt- und Landbewohnern oder neuen Wegen der Sicherheitskommunikation bei Pandemien fand ich auch als Politikerin erhellend. Ich weiß auch, dass Herrn Zoche den Fachdialog sehr engagiert bestreitet.

Im Spektrum aller Forschungsaktivitäten ist die Bedeutung von geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung aber defacto kaum gestiegen. Die Zwischenevaluation weist bis Ende 2012 unter insgesamt 563 Projekten 29 geistes- und sozialwissenschaftliche aus – das sind fünf Prozent.

Als positiv bewerte ich aber, dass sie die Dual-Use-Problematik und die Auseinandersetzungen um Rüstungsforschung an den Hochschulen in den Diskussionen eine größere Rolle spielen. Bekanntermaßen wachsen Initiativen an den Hochschulen, die sich offensiv für den ausschließlich zivilen Charakter von Forschungen und der Nutzung von Ergebnissen einsetzen.

Unsere Sicht dazu bedeutet, dass EntwicklerInnen natürlich nicht gänzlich voraussehen können, wo ihre Sensoren, Fahrzeuge oder High-Tech-Textilien zum Einsatz kommen. Doch die prinzipielle Aufhebung der Trennung von ziviler und militärischer Forschung bedeutet, dass spezifische Anforderungen für militärische Nutzungen von Beginn an in der Entwicklung mit berücksichtigt werden. Das zu tun oder es zu lassen macht einen erheblichen Unterschied. Zudem könnten Hochschulen mit Unternehmen Sperrklauseln vereinbaren, die eine wehrrelevante Nutzung oder Veräußerung der Ergebnisse verbieten.

Dass die Situation für die unterfinanzierten Hochschulen hochproblematisch ist, muss ich ja nicht erklären.

Drittmittel aus Auftragsforschung kompensieren mehr und mehr Ausgaben der Hochschulhaushalte. Vor diesem Hintergrund können dann schon einmal alle hehren Prinzipien dahinsinken. Vom Grundrecht auf Freiheit der Forschung ganz zu schweigen. Da dürfte die kritische Grenze eh längst überschritten sein.

Dass nun gerade in Drittmittelprojekten vor allem wissenschaftlicher Nachwuchs forscht, ist ein Argument mehr, warum ein verantwortungsvoller Umgang und Diskussionen dieser sensiblen Fragen in den Wissenschaftseinrichtungen geführt werden müssen.

Ein konkretes Ergebnis gibt es schon:

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat den Aufbau eines „wissenschaftlichen Sicherheitsforums“, das die Bundesregierung in technisch-taktischen Fragen beraten soll, beschlossen.

Es muss zur Wissenschaftskultur gehören, Diskussionen darüber zu führen, ob dieses ambivalent nutzbare Wissen generiert werden soll oder eben auch unter welchen Bedingungen es genutzt werden kann.

 

Mehr von der Tagung gibt es hier