„Kulturerbe erhalten und öffnen“

Statement auf dem Symposium „Forschungsarbeiten aus der Fraunhofer-Gesellschaft in fünf Jahren Forschungsallianz Kulturerbe“ zur Verabschiedung von Prof. Buller (Fraunhofer-Gesellschaft)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Individuum kann man viele materielle Dinge erben: Geld, ein Haus oder Schmuckstücke. Als Gesellschaft erben wir vor allem Kultur. Aber auch diese Kultur hat eine materielle Basis. Ob als Buch, als Bild oder Kunstwerk, als Gebäude, als Zeitschrift, als Fotoabzug oder Schellack-Platte – diese materiellen Ausdrücke unserer Kultur unterliegen dem Zerfall. Wenn wir nicht gegensteuern, zerfallen viele unserer Kulturgüter einfach zu Staub. Wer einmal in Archiven in hundert Jahre alten Zeitungen blättern durfte – äußerst vorsichtig mit einem langen Holzlineal zum Umblättern – der konnte diesen Zerfall wortwörtlich mit Händen greifen.

Ich war immer wieder überrascht, mit welch innovativen Methoden die Restauratoren an den Erhalt dieser Kulturgüter gehen. Ohne modernste Technik, ohne die genaue Kenntnis der Materialien und Verarbeitungsmethoden ist nicht nur die Restauration, sondern auch die Erforschung dieser Materialien unmöglich. Es lässt sich denken, dass dies nicht innerhalb einer Disziplin funktioniert.

Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften gehen hier eine fruchtbare Allianz mit Naturwissenschaften und Technologieentwicklung ein. Diese produktive Transdisziplinarität ist zugleich im aktuellen Diskurs auch ein Problem.  Heute wird „Exzellenz“ vor allem disziplinär bestimmt. Die Förderung der großen Drittmittelgeber ist nach diesem, aus meiner Sicht recht beschränkten Exzellenzkriterium sortiert. Durch dieses Raster fällt die Conservation Science genauso wie durch die Kriterien der so genannten Hightech-Strategie. Die dort skizzierten Herausforderungen stellen auf die Tätigkeitsfelder von großen Industrieunternehmen ab. Zu denen sind Museen, Archive und Bibliotheken nun jedoch schwerlich zu zählen. Sie produzieren keinen monetären Mehrwert und keine Exporterfolge, sondern ideelle und kulturelle Werte.

Die Konservierungswissenschaft sitzt mit zwischen den Stühlen der gängigen Trends in der Forschungs- und Innovationsförderung. Umso besser und wichtiger ist es, sich zusammenzuschließen um sichtbarer und produktiver zu sein. Seit der Gründung der Forschungsallianz Kulturerbe haben meine Fraktion und auch ich als Forschungspolitikerin ihren Werdegang verfolgt. Bereits 2009 haben wir die Bundesregierung um Berichte und Antworten zum Stand und zur Förderung dieses Forschungsfeldes in Deutschland gebeten. Im vergangenen Jahr 2012 haben wir dies wieder getan.

Uns treibt die Sorge um, dass wir, dass der Bund zu wenig Geld in dies für unsere Gesellschaft essenzielle Erhaltung des kulturellen Erbes investiert.  So lief das BMBF-Denkmalpflegeforschungsprogramm bereits 1998, das KUR-Programm zur Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut der Bundeskulturstiftung und der Länderstiftungen 2011 ersatzlos aus. Auch in den Haushalten des Forschungsministeriums und Bundeskulturstaatsministers stehen nur geringe Summen im einstelligen Millionenbereich für die Projektförderung bereit. Das Rathgen-Labor bekommt im Rahmen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz lediglich 300.000 Euro aus dem Bundeshaushalt. Eine konzertierte Entwicklung dieses Fachgebiets findet in der Bundesrepublik Deutschland nicht statt.

Besondere Sorge bereitet mir die Nachwuchsförderung. Wir haben noch einen einzigen echten Universitätslehrstuhl in München, der den Nachwuchs promovieren kann. Derzeit sind nach Angaben der Bundesregierung zehn Promovierende eingeschrieben. Es wird mit dieser geringen Zahl schon unmöglich, die acht Professuren in Fach- und Kunsthochschulen ordentlich zu besetzen. Geschweige denn, den Bedarf der Forschungseinrichtungen und Museen an hochqualifiziertem Personal abzudecken. Auch die Zahl von 100 Studierenden, die das Fach an der TU München studieren ermutigt nicht.

Wir haben uns mit unseren Anfragen an die Bundesregierung ein wenig an dem von der Forschungsallianz geforderten „Survey“, also einer Bestandsaufnahme versucht. Allein: die Zahlen sind ernüchternd.

Dies bringt mich zur zweiten Forderung der Forschungsallianz, die bis heute nicht erfüllt wurde. Es soll ein Rahmenprogramm zur Forschung zum Kulturerbe, das auf der besagten Bestandsaufnahme aufbaut. Ein solches Rahmenprogramm müsste Fragen klären: Wo liegen die größten Defizite in der Erhaltung von Kulturgütern? Welche Prioritäten wollen wir setzen? Welche strukturellen Lücken in der Forschungslandschaft wollen wir schließen?

In ein solches Programm müsste dann auch – vierte Forderung der Forschungsallianz – die Aus- und Weiterbildung aufgenommen werden. Unabhängig von dem aus meiner Sicht völlig falschen Kooperationsverbot in der Bildung: die Bundesregierung sollte aus unserer Sicht eine Initaitive für neue Professuren insbesondere im universitären Bereich starten. Dies könnten etwa Stiftungsprofessuren des Bundes sein. Auf Dauer ist eine bessere Nachwuchsförderung auch nu rmit den dafür notwendigen Kapazitäten an Universitäten zu schaffen. Zudem sollten die Möglichkeiten zur Promotion auch für AbsolventInnen von Fachhochschulen geöffnet werden. Meine Fraktion wird sich auch im nächsten Bundestag für eine verstärkte Förderung einsetzen. Ab Juli laufen die Haushaltsverhandlungen und wir werden dort unser Bestes versuchen.

Ich bedanke mich für die Einladung zu dieser Tagung, die die spannenden Methoden dieses Forschungsfeldes und auch die Erfolge trotz aller Widrigkeiten zeigt. Als begeisterte Netzpolitikerin und privat als Nutzerin von digitalem Material aller Art interessieren mich besonders die Verfahren zur Digitalisierung. Auch hier warten Millionen Exponate darauf, nicht nur erhalten, sondern auch transformiert und geöffnet zu werden. Geöffnet im Sinne einer allgemeinen Zugänglichkeit, für die das Internet einfach ein geniales Medium ist. Zugleich zeigt die Digitalisierung, dass unser kulturelles Erbe nicht einfach von Generation zu Generation weitergegeben werden kann, wenn es nicht gepflegt, konserviert und auch transformiert wird. Dafür braucht die Gesellschaft Ihr Wissen, Ihre Ideen und Technologien.

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Professor Buller, dass Sie als Zuständiger bei Fraunhofer für die Forschungsplanung diese Allianz federführend aufgebaut und unterstützt haben.

 

(Die Rede hat Tobias Schulze (Forschungsreferent der Linksfraktion) im Auftrag von Petra Sitte gehalten. Wegen der dramatischen Hochwasserlage reiste Petra Sitte heute Morgen nach Halle, um vor Ort Hilfe zu leisten.)