Wir brauchen eine Wende in der Forschungsförderung

TOP 64.a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. : Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes nachhaltig gestalten – Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen > Drucksachen 17/13090, 17/14102 <

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Partizipation an forschungsrelevanten Entscheidungen verbessern > Drucksachen 17/11687, 17/14106 <

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– Rede zu Protokoll –

Sehr geehrte Damen und Herren,

Was wollen wir, was will unsere Gesellschaft mit der öffentlichen Förderung von Forschung und Innovationen erreichen? Diese Grundfrage müssen wir zur Legitimation der enormen Ausgaben von  14,4 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung immer wieder beantworten. Noch in der ersten Hightech-Strategie der Bundesregierung wurde diese Frage 2006 klar beantwortet: wir wollen Weltmarktführerschaft deutscher Unternehmen auf möglichst vielen technologisch basierten Leitmärkten und ein möglichst starkes Wirtschaftswachstum.

Nach mehreren Wirtschaftskrisen, dem verschärften Klimawandel, der Ressourcenknappheit und auch der Katastrophe von Fukushima hat sich die Wahrnehmung deutscher Exporterfolge doch ein wenig verändert. Die Bundesforschungsministerin spricht nicht mehr einfach von Wachstum als Ziel der Innovationsförderung. Heute wird „intelligentes, nachhaltiges Wachstum“ angestrebt. Ministerin Wanka sagte dazu im Interview: „Wachstum ist ja kein Selbstzweck. Immer höher, immer schneller, immer weiter – einfach nur das Bruttosozialprodukt steigern – das reicht nicht.“ Und weiter: „Wachstum muss auch ökologische, kulturelle und soziale Aspekte umfassen. Es muss im Einklang stehen mit Umwelt und Gesellschaft. Wir brauchen eine gerechte Wirtschaftsordnung, die es allen Menschen ermöglicht, an Entwicklung und Wohlstand teilzuhaben, eine Wirtschaftsordnung, die nicht auf Kosten der künftigen Generationen geht.“ Dem können wir nur zustimmen. Die Frage lautet jedoch: was folgt daraus für Forschungs- und Innovationspolitik? Wir sollten nicht nur auf der Kommunikations-, sondern auch auf der realen Handlungsebene umdenken und neue Wege gehen.

Das fängt bei der Frage an, wie und mit wem die Politik neue Forschungsprogramme entwickelt. Reicht es wirklich noch, Vorstände der großen deutschen Konzerne und Expertinnen und Experten aus den Forschungsorganisationen zusammenzutrommeln? Kann eine solche Runde den ganzheitlichen Innovationsansatz, der auch der Ministerin am Herzen liegt, wirksam ermitteln? Oder stehen dort nicht doch die Interessen der Unternehmen den Zielen der Nachhaltigkeit gegenüber? Ein besonders prägnantes Beispiel war der Hype der vergangenen Jahre um die Elektroautos. Beraten von der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ soll eine Million Batteriefahrzeuge auf Deutschlands Straßen gebracht werden.

Von 148 Mitgliedern in den Arbeitsgemeinschaften der „Nationen Plattform Elektromobilität“ stammen 111 aus der Industrie und lediglich drei aus den Bereichen Umwelt- und Verbraucherschutz oder Verkehrspolitik. Auf der Grundlage der Empfehlungen dieses Beratungsgremiums hat die Bundesregierung mehr als zwei Milliarden Euro Fördermittel zugesagt, ohne dass man die notwendigen umfassenden Lösungsansätze für gravierende Mobilitätsprobleme mit Hilfe dieses Produktes in den Blick genommen hätte. Weder für die Menschen in Großstädten, noch für die Menschen in ländlichen Räumen haben diese Milliarden bisher etwas gebracht. Der Verkauf von Elektrofahrzeugen bewegt sich auch fünf Jahre nach Förderbeginn im Promillebereich. Die deutschen Hersteller haben trotz bisher ausgezahlten 125 Millionen Euro Fördergelder keine massentauglichen Produkte im Programm.  Eine relevante Verbesserung des ÖPNV war in dem Programm angesichts der Dominanz der Automobilindustrie im Fördergeschehen ohnehin nicht vorgesehen.

Dieses Beispiel belegt die Notwendigkeit, unser Fördersystem zu reformieren. Wir müssen nicht nur neue Produkte und Technologien, sondern die Erneuerung und die Transformation unserer Gesellschaft fördern. Eine nachhaltige Gesellschaft fußt auf dem Wissen aller und wird nicht allein nach den Interessen der Unternehmen konzipiert. Wir wollen dafür auch die Expertise von Umweltverbänden und NGOs, von Kommunen, von Gewerkschaften und Sozialverbänden nutzen.

DIE LINKE hat daher vorgeschlagen, die Beratungsgremien zu öffnen und mehr Partizipation zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Forschungspolitik zu ermöglichen.

Ob Energiewende, demographischer Wandel, immer noch wachsende Klimagasemissionen, soziale Spaltung oder Digitalisierung – wir sind zur Bewältigung dieser Herausforderungen auf neues, sozial taugliches Wissen über notwendige Veränderungsprozesse angewiesen. Wir wollen die Transformationsforschung, die dieses Wissen von morgen erarbeitet, mit einem Förderprogramm von 120 Millionen Euro jährlich deutlich ausbauen.

Zukünftig, das ist bereits absehbar, werden die Mittel für die Innovationsförderung zumindest nicht wie in den vergangenen Jahren kontinuierlich steigen. Gerade deshalb brauchen wir eine Wende in der Forschungsförderung. Deutschland könnte Vorreiter für eine sozial-ökologische Innovationspolitik werden, wenn wir mehr Transparenz und mehr Partizipation in diesem Bereich zulassen.