In Berlin – und (H)alle dabei [5]

In Sachsen-Anhalt bestreiten etwa 13.200 Studierende und gut 8.300 Schülerinnen und Schüler zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes durch das BAföG.

Es ist gut und richtig, dass die Finanzierung der Ausbildung in Deutschland, anders als in vielen anderen Industriestaaten, nicht vollends als Privatsache behandelt wird. Allerdings gibt es auch in Bezug auf die „Berufsausbildungsförderung“ einiges zu beanstanden, wie mittlerweile sogar die Bundesregierung erkannt hat. Was CDU-Bildungsministerin Johanna Wanka als „strukturelle und substanzielle Reform“ ankündigt, ist jedoch alles andere als ein großer Wurf. Dass die großen strukturellen Defizite des BAföG angegangen werden – damit hatte ich allerdings ohnehin nicht gerechnet. Wie eine tatsächlich solidarische  und ausreichende Ausbildungsförderung aussehen müsste, kann man in unserem Antrag nachlesen, den wir im Februar in den Bundestag eingebracht haben. Um hier nur einige Stichworte zu nennen: Das BAföG soll wieder als Vollzuschuss ohne Darlehensanteil ausgezahlt werden; denn in der bisherigen Struktur verlassen viele junge Menschen die berufliche oder universitäre Ausbildung mit einem Schuldenberg von bis zu 10.000 € – ein hoher, unnötiger Ballast für den Einstieg ins Berufsleben. Die Altersgrenzen für die Förderung von 30 bzw. 35 Jahren gehören ebenso abgeschafft wie die rigide Festlegung der Förderhöchstdauer. Letzteres ist an Albernheit wirklich kaum zu überbieten: Der Sinn der ganzen Bologna-Reformen sollte es eigentlich sein, Studieninhalte und -formen europaweit zu öffnen und zu vernetzen. Stattdessen wird sich in Deutschland heute meist stur nach einer Struktur gerichtet: 3 Jahre Bachelor, 2 Jahre Master-Studium. Wer im Ausland studieren will oder Praktika macht, riskiert die Überschreitung der Förderhöchstdauer und damit einen bedeutenden Teil seines Lebensunterhalts. Denn im Prinzip legt der BAföG-Bezug für viele faktisch fest, wie lang sie für Studium oder Ausbildung brauchen dürfen. Der gesunde Menschenverstand macht in diesem Fall doch deutlich, dass sich die Förderhöchstdauer nach der durchschnittlichen Studienzeit im jeweiligen Fach richten sollte, und nicht nach administrativen Vorgaben.

Einer der wichtigsten Forderungen ist aber, dass sich die BAföG-Sätze am tatsächlichen Bedarf für Lebensunterhalt und Ausbildungskosten orientieren müssen. Bisher wird alle paar Jahre der „Gesamtbedarf eines nicht bei den Eltern wohnenden Studenten“ bzw. Schülers ermittelt und bildet als Höchstsatz die Orientierung für alle BAföG-Berechnungen. Der aktuelle Höchstsatz von 670 €/Monat wurde 2010 ermittelt und war schon damals zu niedrig. Seitdem erleben wir aber stetig steigende Lebenshaltungskosten. Bereits im Januar 2012 hat ein von der damaligen Bundesregierung eingesetzter Beirat erklärt, dass ein Inflationsausgleich von fünf bis sechs Prozent nötig sei. Passiert ist nichts. Eine Untersuchung hat ergeben, dass die für die BAföG-Berechnung herangezogene Pauschale für Miete und Nebenkosten von 224 € in 54 von 55 Hochschulstädten nicht ausreicht. Auch in Halle liegt der durchschnittliche Mietspiegel über diesem Betrag. Passiert ist wiederum nichts. Dass die BAföG-Sätze zum Wintersemester 2016/2017 steigen sollen, hilft weder der jetzigen noch der künftigen Generation von Studierenden und Auszubildenden. Denn erstens widerspricht der erneute Aufschub sogar den Expertinnen und Experten der Regierung und zweitens wäre die Einführung eines grundlegend anderen Mechanismus sinnvoll: eine inflationsbedingte jährliche Anpassung der BAföG-Sätze. Allerdings würde die Regierung eine Möglichkeit für Wahlgeschenke verlieren. Denn dass die Anpassung der BAföG-Sätze just im Jahr vor der nächsten regulären Bundestagswahl geschehen soll, ist allein inhaltlich nicht erklärbar.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist die beschlossene komplette Übernahme der BAföG-Kosten durch den Bund. Aber: Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung sich nicht aus ihrer bildungspolitischen Verantwortung stehlen will, indem sie den Bundesländern ca. 1,17 Milliarden Euro BAföG-Mittel „erlässt“. Mit gestaltender Bildungs- und Wissenschaftspolitik hat das nämlich wahrlich nur am Rande zu tun. Und Herrn Bullerjahn und allen anderen Finanzministern sei schon jetzt gesagt: Die Entlastung der Länderfinanzen beim BAföG muss der Bildung und Forschung an anderer Stelle zu Gute kommen, sie ist nicht zum schuldenabbau gedacht!