»Öffentliche Unterstützung ist die Währung, in der Oppositionsarbeit abgerechnet wird«

Petra Sitte, 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, zieht Bilanz zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause

Seit einem Dreivierteljahr organisieren Sie als Parlamentarische Geschäftsführerin die Zusammenarbeit der LINKEN mit den anderen Fraktionen im Bundestag. Wie gestaltet sich Ihre Aufgabe, gerade in Anbetracht der Mehrheitsverhältnisse und der Übermacht der Koalitionsfraktionen?Petra Sitte: Ich versuche, gemeinsam mit meinem Team vor allem die politische Durchsetzungsfähigkeit der LINKEN im Bundestag zu erhöhen. Dazu gehört auch und oft die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen – übrigens nicht nur mit den oppositionellen Grünen, sondern auch mit der Koalition. Das ist mal einfacher – etwa, wenn es um gemeinsame Ziele wie einen Untersuchungsausschuss zur NSA geht. Aber oft gestaltet sich das auch sehr schwierig. So wollten wir gemeinsam mit den Grünen gern durchsetzen, dass Ausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen. Dies hat die Koalition abgelehnt. Andere Dinge wie etwa die EEG-Novelle oder die Reform der Lebensversicherungen hat sie in letzter Minute durch das Parlament gepeitscht, ohne dass eine angemessene Debatte dazu möglich gewesen wäre. Solche Aktionen machen natürlich die Zusammenarbeit nicht leichter.
Insgesamt hat die Große Koalition die Zurückhaltung, die sie sich angesichts ihrer Stärke anfangs auferlegt hatte, abgestreift. Sie nutzt ihre Mehrheit gnadenlos.Sie haben gemeinsam mit den Grünen erstritten, dass die Opposition Untersuchungsausschüsse einfordern darf, obwohl beide Fraktionen nicht die dafür eigentlich notwendigen Stimmenanteile haben. Was können Sie mit diesen Instrumenten – aktuell dem NSA-Untersuchungsausschuss und einem weiteren in Sachen Edathy-Affäre – bewirken?Die Bedeutung und Brisanz des NSA-Ausschusses zeigt sich schon daran, dass dieser selbst ins Zentrum von Spionageaktivitäten gerückt ist. Nur selten war ein Untersuchungsausschuss näher dran an den tagespolitischen Großkonflikten und konnte die Regierung so unmittelbar unter Zugzwang setzen. Dies wie auch der NSU-Untersuchungsausschuss in der letzten Wahlperiode zeigen, dass Öffentlichkeit und Transparenz wichtige Hebel für politische Veränderungen sind. Umso mehr wehren wir uns gegen die Versuche der Regierung, Aufklärung zu verzögern oder zu blockieren.
Auch der zweite Untersuchungsausschuss wird fragwürdige Seilschaften aufarbeiten, die das Bundeskriminalamt und unseren Justizapparat betreffen.
Mit solchen Ausschüssen lässt sich ein bisschen Licht in Ungereimtheiten und politische Skandale bringen. Im besten Fall setzen sie die Regierung unter Druck. Die mangelnde politische Reaktion auf den NSU-Terror zeigt aber auch, dass zivilgesellschaftlicher Druck die Opposition im Parlament stützen muss.Als Oppositionsführerin will DIE LINKE die erste Adresse im Bundestag für Alternativen zur Regierung Merkel sein. Das hatten Sie zu Ihrem Amtsantritt gesagt. Welche Themen sind Ihnen dabei besonders wichtig gewesen?Die Koalition hat ihre drei bis vier Großprojekte in der ersten Jahreshälfte auf den Weg gebracht – das ungerechte Rentenpaket, den löchrigen Mindestlohn, das mangelhafte EEG oder auch die unzureichende Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes. Sie tut so, als handele sie im Gemeinwohlinteresse. In Wahrheit macht sie viele Geschenke für einzelne, kleinere Gruppen.
Wir haben jeweils die Alternative dazu vorgelegt: einen echten, flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahmen, eine armutsfeste, gerecht finanzierte Rente und auch die vollständige Abschaffung der Optionspflicht etwa.
Zugleich machen wir auf die Leerstellen der Koalition aufmerksam. Wir haben die Abschaffung von sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen beantragt – eine Forderung aus dem SPD-Wahlprogramm, von der diese heute nichts mehr wissen will. Wir haben auf die hundertprozentige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gedrungen. Auch da geht in der GroKo nicht viel vorwärts. Probleme wie Alters- oder Kinderarmut oder auch die ausblutenden Kommunen stehen nicht mal auf der Agenda von Schwarz-Rot. Um diese Themen wollen wir uns in den kommenden Monaten verstärkt kümmern.
Die Politik der Koalition darf niemals alternativlos erscheinen. Dies gilt übrigens auch und gerade für die Außen- und Sicherheitspolitik.

Und doch steht DIE LINKE in der öffentlichen Wahrnehmung oft als isoliert und kompromisslos da. Bieten Ihre Konzepte so wenig Anknüpfungspunkte, um einen Politikwechsel möglich werden zu lassen?

Einerseits hat eine Fraktion wie unsere, die grundsätzliche Kritik am politischen Mainstream formuliert, wohl immer recht wenige Freunde bei der Konkurrenz. Das liegt in der Natur der Sache, wenn auch unsere Konzepte immer für die Praxis gemacht sind und dieser standhalten würden.
Andererseits ist es unsere Aufgabe als Parlamentsfraktion, politische Veränderungen im Sinne unserer Wählerinnen und Wähler zu erzielen. Dies schaffen wir nur, wenn wir uns bündnisfähig und debattenfähig im Parlament, aber auch in der Gesellschaft zeigen – natürlich ohne in der Sache von den eigenen Grundsätzen und Werten abzurücken. Kritik und politische Alternativen sind doch oft wirkungsvoller, wenn sie offen, verbindlich und werbend im Ton vorgetragen werden.
Öffentliche Unterstützung ist die Währung, in der Oppositionsarbeit abgerechnet wird. Diese müssen wir uns offensiv organisieren. Einladend und dran an der Lebensrealität der Menschen – so soll unsere Politik im Parlament rüberkommen. Und wenn wir die Verbindlichkeit und Realitätstauglichkeit ausstrahlen, mache ich mir auch um unseren Beitrag zu einem möglichen Politikwechsel auf Regierungseben weniger Sorgen.

Mindestlohn, Rentenpaket, EEG-Reform – die GroKo hat ihre größten Vorhaben jetzt beschlossen und durchs Parlament gebracht. Was kommt jetzt noch? Die Großen Ferien?

Ja, erstmal die Ferien. Und ehrlich gesagt: Die brauche ich auch. Politik bleibt aber nicht stehen. Wir haben den Haushalt für 2015 auf dem Tisch, bei dem die Koalition schummelt und schiebt für die „Schwarze Null“. Das große Thema Pflegereform wird uns beschäftigen, und schon jetzt mit dem Regierungsentwurf ist klar: Das wird ein Reförmchen, das zum Schluss die strukturelle Krise in der Pflege eher verschärft als verbessert. Und natürlich erleben wir diese unruhigen und dramatischen Ereignisse in den Krisenherden – vom Irak über den Nahen Osten bis in die Ukraine. Wir als LINKE werden auch im Herbst dafür streiten, dass wir Konflikte friedlich zu lösen versuchen und die Logik der Maschinengewehre, Kampfbomber und neuerdings Kampfdrohnen zurückgedrängt wird. Und dafür, dass das System Geheimdienst abgeschafft wird.

linksfraktion.de, 8. Juli 2014