Bundesregierung zieht im Tornado-Tempo in den Krieg

Rede zur Geschäftsordnungsdebatte über die Beratung des Antrags der Bundesregierung ´Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS´

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Lambrecht, es ist kein normaler Vorgang; es ist ein ungewöhnliches Verfahren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Sie ausgerechnet Afghanistan als Beispiel anführen! Das ist genau das Beispiel, das uns lehren sollte: Macht es anders! Lasst euch mehr Zeit! Überlegt mehr!

(Beifall bei der LINKEN – Christine Lambrecht (SPD): Das ändert nichts an der Grundlage! Das hat nichts mit dem Zeitablauf zu tun!)

Wir wissen ja nach 14 Jahren Afghanistan, wie die Ergebnisse sind.

Heute geht es um nichts Geringeres als einen Beschluss über den bislang größten Kampfeinsatz der Bundeswehr. Wir haben derzeit 3 040 Soldaten im Ausland im Kampfeinsatz, und heute sollen 1 200 dazukommen. Das alles soll das Parlament innerhalb von drei Tagen entscheiden. Das heißt, wir entscheiden hier innerhalb von drei Tagen, ob Deutschland wieder in den Krieg zieht oder nicht. Wir wollen uns als Opposition nicht im Tornado-Tempo in diese Debatte und in diesen Krieg hineinziehen lassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben schon vor diesen Debatten im Bundestag, also in der letzten Woche, versucht, Einzelheiten über den Kampfeinsatz zu erfahren. Es gab verschiedene Informationen und von uns immer wieder Nachfragen: Wie sollen die Einzelheiten dieses Kampfeinsatzes aussehen? Da haben wir die Information bekommen: Nein; ist noch nicht bekannt; dazu können wir noch gar nichts sagen. – So weit, so gut; so weit, so unglaubwürdig,

(Beifall bei der LINKEN)

weil nämlich am letzten Sonntag in den überregionalen Medien genau diese Informationen gekommen sind.

(Christine Lambrecht (SPD): Na also!)

Die Journalisten haben gesagt: Uns liegt die Vorlage vor, die an den Bundestag geht. – Das ist ein unglaublicher Vorgang, den Sie hier organisiert haben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht (SPD): Das hat mit der Zeit, der dritten Lesung und der Abstimmung nichts zu tun!)

Nicht genug damit, dass uns diese Informationen nicht schon am Sonntag oder Montag zugegangen sind – sie sind erst am Dienstag in die Fraktionen gekommen. Erst am Mittwochmorgen haben reguläre parlamentarische Beratungen begonnen. Im Zuge der Selbstbefassungsrechte der Ausschüsse ist in den normalen Ausschusssitzungen über dieses Mandat geredet worden. Erst am Nachmittag hat es die erste Lesung zu diesem Mandat im Plenum gegeben.

(Henning Otte (CDU/CSU): Ganz übliches Verfahren!)

Das heißt, erst da hatten wir als Parlament eine Grundlage, um den gesamten parlamentarischen Verlauf zum Abschluss zu bringen.

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Sie brauchen doch gar keine Grundlage! Wir könnten ein halbes Jahr diskutieren – Sie wären dagegen!)

Erst am Nachmittag haben Sie dann in Sondersitzungen Ihre mit Mehrheit gefassten Beschlüsse durchgebracht. Insgesamt haben die Ausschüsse im Schnitt zwei Stunden damit verbracht, über dieses heikle Mandat zu reden. Viele Fragen sind vollkommen unbeantwortet geblieben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Arnold (SPD): Welche?)

Was ist in diesen Ausschusssitzungen strittig gewesen? Ich bringe mal eine kleine Auswahl, um auf Frau Lambrecht zu erwidern und zu zeigen, dass die Fragen nicht beantwortet worden sind.
Es ist strittig, wie Ihre Strategie im Umgang mit Syrien aussieht.

(Christine Lambrecht (SPD): Das ist mehrfach von Frau von der Leyen und Herrn Steinmeier erklärt worden! Wer zugehört hat, konnte Informationen bekommen!)

Demzufolge ist strittig, welches Ziel mit diesem Einsatz verfolgt werden soll.

(Rainer Arnold (SPD): Reden Sie zur Geschäftsordnung!)

Es ist strittig, warum Deutschland einen Beitrag leisten soll, mit dem ein Beitrag verstärkt werden soll, den andere schon leisten und der bekanntermaßen nur mit mäßigem oder gar keinem Erfolg geleistet wird.

(Beifall bei der LINKEN – Christine Lambrecht (SPD): Die inhaltliche Debatte können wir doch gleich führen!)

Es gibt also kein klares Ziel. Demzufolge gibt es auch keine klaren Kriterien für eine Exit-Strategie.
Strittig ist weiter, warum es keines weiteren UN-Mandats bedarf.

(Christine Lambrecht (SPD): Darüber können wir doch jetzt in der Debatte sprechen!)

Sie verweisen auf eine UN-Resolution und haben zugleich in den Beratungen am Mittwoch hier gesagt, dass in den vorausgegangenen UN-Resolutionen immer das Kapitel VII Grundlage gewesen sei.

(Christine Lambrecht (SPD): Was hat das mit der Aufsetzung zu tun? Das ist eine Geschäftsordnungsdebatte!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie denken bitte daran, dass wir die Sachdebatte anschließend führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Selbstverständlich. – Ausgerechnet in der UN-Resolution, auf die Sie sich beziehen, taucht das nicht auf. Also ist es strittig, ob wir eine saubere völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz haben, den wir heute beschließen sollen.

Meine Damen und Herren, schließlich ist strittig, wie das Verfahren zu dem Beistandsfall aussehen muss. Es gibt kein Beispiel dafür. Das ist das erste Mal in Europa. Bei NATO-Bündnisfällen muss ein Beschluss gefasst werden.

(Christine Lambrecht (SPD): Das ist kein Gegenstand der Geschäftsordnung! – Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Zur Geschäftsordnung!)

Hier soll eine mündliche Einlassung des französischen Präsidenten reichen?

(Christine Lambrecht (SPD): Auch das ist kein Gegenstand der Geschäftsordnung!)

Das ist ein unglaublicher Vorgang. Das müssen wir hier viel ausführlicher und sauber klären.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist nur eine Auswahl unbeantworteter Fragen. Für viel problematischer halte ich es, dass Sie sich dieser Diskussion und einer weiteren Debatte verweigern.

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich halte ich es für unverantwortlich, dass sich das Parlament in ein Abenteuer stürzt, nicht wissend, ob die Entscheidung, die es hier und heute fällt, tatsächlich eine falsche Entscheidung sein könnte. Ich halte es für unverantwortlich, dass Sie das nicht durch eine weitere und tiefergehende Diskussion vorbereiten. Ich kann Ihnen nur sagen – und damit gebe ich die Worte eines Kollegen wieder -: Wer aus Solidarität das Falsche tut, tut dennoch das Falsche.

(Beifall bei der LINKEN)