In Berlin und (H)alle dabei – „Every Breath You Take“¹

In den meisten Fällen ist es ein Bekannter oder ein ehemaliger Partner, der die Trennung nicht akzeptieren oder mit Ablehnung nicht umgehen kann. Seltener sind es uns vollkommen fremde Menschen. Irgendetwas hat sie angesprochen, dass sie nicht aufhören können. Sie nehmen dann Kontakt auf und wollen ihn unbedingt halten. Sie rufen an, schreiben Nachrichten, machen Geschenke. Sie beobachten und verfolgen bis zur Haustür. Bei jeder Gelegenheit versuchen sie näherzukommen und einzuverleiben, was ihnen nicht gehört. Es geht um Stalker.

Die Opfer von Stalking bzw. Nachstellung fühlen sich verfolgt, beobachtet und auch bedroht. Sie versuchen ihrem Peiniger zu entkommen, indem sie ihn immer wieder ablehnen, ignorieren, nicht auf ihn reagieren. Sie haben Angst. Da steht jede Nacht ein Mensch vor dem Haus, der beobachtet und wartet. Er verfolgt sie im Alltag, manchmal auch am Arbeitsplatz und lässt sie nicht in Ruhe. Immer wieder versucht dieser Mensch Kontakt aufzunehmen und in die Privatsphäre einzudringen – sogar, indem er in die Wohnung des Opfers einbricht oder an der Wohnungstür unerwünschte Botschaften und Geschenke hinterlässt. Stalker versuchen jede einzelne Information über ihr Opfer in Erfahrung zu bringen, über Dritte und über Verfolgung. Wo wohnt es? Was tut es? Mit wem trifft es sich? Sie stürzen sich in Beziehungsfantasien und versuchen diese in die Realität zu übertragen. Doch das Opfer erwidert die Gefühle nicht.

Die meisten Stalkingopfer sind Frauen und die Täter häufig Männer. Darum spricht diese Kolumne von männlichen Tätern und weiblichen Opfern, nimmt aber alle Fälle gleichermaßen ernst.

Die Opfer sind vielleicht zu freundlich gewesen, haben den Täter durch ein Lächeln falsche Versprechungen gemacht und somit zu seinem Verhalten aufgefordert bzw. ermutigt oder dergleichen? Opfer von Stalking sind Opfer sexualisierter psychischer Gewalt und sie haben garantiert keinen Anteil und keine Schuld daran.

Sich vor einem Stalker zu schützen ist unsagbar schwer. Stalker sind hartnäckig und können ihr Opfer über Jahre hinweg verfolgen und so für massive Ängste und Traumata sorgen, wie es Erfahrungsberichte schildern. Die Opfer versuchen den Täter zu ignorieren, ihm auszuweichen oder sich aus Verzweiflung sogar auf ihn einzulassen, weil sie glauben, so etwas Ruhe zu bekommen. Aus Angst verbarrikadieren sie sich in der eigenen Wohnung, leiden unter Schlafstörungen und Depressionen. Sie isolieren sich aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, wechseln gar Wohn- und Arbeitsplatz. Nicht jedes Opfer findet die Kraft, Hilfe zu suchen und zur Polizei zu gehen. Und nicht selten benötigen sie psychologische Unterstützung.

Doch wie kann man sich schützen? Der Kontakt zum Stalker muss unbedingt abgebrochen werden. Auch die sprachliche Distanz ist wichtig. Das vertrauliche „du“ sollte durch ein „Sie“ ersetzt werden. Die Opfer sollten ein Stalking-Tagebuch führen und darin jede Begegnung, jeden Vorfall und jeden Kontakt notieren und mögliche Zeugen benennen. So können Beweise und Fakten gegen den Täter gesammelt und das Ausmaß des Stalkings eingeschätzt werden. Darüber hinaus muss Öffentlichkeit hergestellt werden. Das bedeutet, das Umfeld um Hilfe zu bitten. Freunde, Bekannte, Kolleginnen und Kollegen, Ärztinnen und Ärzte etc. sollten davon erfahren, um helfend und unterstützend zu wirken. Auch entsprechende Opferberatungsstellen, wie z. B. der Wildwasser e. V. oder die Interventionsstelle ‚Häusliche Gewalt und Stalking‘ helfen bei der Bewältigung, und unterstützen die Opfer beim Kampf gegen die Nachstellung. Kommt es zu einer Begegnung mit dem Täter im öffentlichen Raum, dann müssen umgehend lautstark Passantinnen und Passanten angesprochen und um Hilfe gebeten werden. Eine mitgeführte kleine Alarmanlage, ein sogenannter Überfallalarm, für die Handtasche sorgt nicht nur für Aufmerksamkeit, sondern auch für Verwirrung beim Nachstellenden, was eine Flucht des Opfers ermöglicht. Außerdem muss dem Täter die Möglichkeit genommen werden, an Kontaktdaten des Opfers zu gelangen. Neben einem Wechsel der Handy-Nummer und der entsprechenden Änderung oder dem Löschen von Kontaktdaten in sozialen Netzwerken sollte auch eine Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt beantragt werden. Und natürlich muss auch der Gang zur Polizei und zum Rechtsbeistand erfolgen.

Das klingt alles so leicht. Aber für das Opfer sind diese Wege alles andere als einfach. Denn jeder einzelne Schritt bedeutet auch, sein Leiden immer und immer wieder zu verbalisieren. Sei es Freunden gegenüber, bei einer Beratungsstelle oder bei der Anwältin oder dem Anwalt. Das Erlebte muss immer wieder ausgesprochen und das Leiden so wiederholt durchlebt werden. Je mehr Schritte ein Opfer geht, um sich zu wehren, umso öfter erzählt es seine Geschichte. Das belastet, kann bei der Verarbeitung helfen oder sogar auch demütigen. Denn zum Beispiel ist die Beantragung einer Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt unter Umständen damit verbunden, einen ausführlichen Bericht über die Gründe des Antrages zu schreiben. Und selbst dann kann der Antrag noch abgelehnt werden. Der Täter hingegen benötigt unter Umständen keinen ausführlichen Bericht über seine Gründe, warum er eine Auskunft über die aktuelle Adresse seines Opfers erhalten möchte. Das Opfer wird von Behörden und Justiz wiederholt zu Stellungnahmen und Berichten gedrängt, während der Täter häufig jede Stellungnahme verweigern kann.

Aber selbst, wenn die Opfer all diese Schritte gehen, so war es nicht sicher, ob der Täter überhaupt belangt werden kann. Denn vor Dezember 2016 musste das Opfer (!) nachweisen, dass es durch die Nachstellung schwerwiegend beeinträchtigt ist; zum Beispiel durch den Wegzug in eine andere Stadt oder den Arbeitsplatzverlust. Seit diesem Jahr muss das Opfer nicht mehr beweisen, dass es schwerwiegend beeinträchtigt ist. Nun reicht es aus, dass das Verhalten des Täters eine mögliche schwerwiegende Beeinträchtigung verursachen könnte. Es muss nun nicht mehr zum Äußersten kommen, bis sich ein Stalker strafbar macht. Stalking ist somit kein Erfolgsdelikt mehr, sondern ein Eignungs- und Gefährdungsdelikt.

Diese Strafrechtsverschärfung stößt bei der LINKEN Politikerin und frauenpolitischen Sprecherin Cornelia Möhring auf Zustimmung. Trotzdem mahnte sie im Oktober letzten Jahres an, dass es nicht dabei belassen werden darf. Aufklärung und Präventionen in Form von Fortbildungen und Sensibilisierungen bei Justiz und Polizei, aber auch ein ausreichendes Angebot an Hilfs- und Beratungsstellen sind notwendig. Der Stalker oder die Stalkerin muss an seiner bzw. ihrer Handlung gehindert werden, sagt sinngemäß Halina Wawzyniak, Bundestagsabgeordnete der LINKEN. Denn es sollte nicht erst zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Opfers kommen. Bereits ein ärztliches Attest muss ausreichen, um den Tatbestand der Nachstellung zu bestätigen.

 

¹“Every Breath You Take“ ist der Titel eines Popsongs der Band Police und handelt nicht, wie weitläufig angenommen, von Liebe, sondern von Stalking.

Danke an Radio Corax für die Bereitstellung des Aufnahmestudios.