„Volksstimme“- Leser stellen Fragen an Petra Sitte

Petra Sitte will erneut für die Linke in den Bundestag ziehen. Die 56-jährige Hallenserin macht seit 2005 Bundespolitik. Zuvor war sie von 1990 bis 2004 Fraktionschefin ihrer Partei im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Rente, Flüchtlingskosten, Ärger mit Zugewanderten und Erziehermangel – vor allem darüber wollten Volkstimme-Leser mit Petra Sitte reden.

Von Jens Schmidt 

Familie: Geboren 1960 in Dresden. Nach dem Abitur studiert Petra Sitte Volkswirtschaftslehre in Halle. 1983 Diplom, 1987 Doktortitel. Sie promoviert über die Herausbildung der Kombinate in der DDR.

Name: Petra Sitte wird des Öfteren auf einen im Osten sehr bekannten Namensvetter angesprochen: den lange Zeit in Halle lebenden Maler Willi Sitte (1921-2013). Doch sie ist nicht mit ihm verwandt.

Partei: 1981 tritt die Studentin Sitte in die SED ein. 1990 erwägt sie kurz einen Austritt. Als an der Uni Austrittlisten kursieren, auf denen sich ihre eben noch so sozialismus-überzeugten Dozenten reihenweise eintragen – bleibt sie. „Anfangs auch aus Trotz“ wie sie später mal bemerkt.

Landtag: Von 1990 bis 2004 ist Petra Sitte Chefin der PDS-Landtagsfraktion. In die Zeit fällt das Magdeburger Modell, eine SPD-geführte Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wird. Ohne am Ministertisch zu sitzen, bestimmt die SED-Nachfolgepartei aus dem Landtag heraus die Geschicke des Landes maßgeblich mit. 1994, als diese Konstellation startet, gibt es in Deutschland darüber eine emotionsgeladene Debatte.

Bundestag: 2005 gelingt der Sprung nach Berlin ins Reichstagsgebäude. Zur Bundestagswahl 2009 gewinnt Petra Sitte in Halle sogar das Direktmandat. 2013 verliert sie es an Christoph Bergner (CDU), zieht aber über die Liste wieder in den Bundestag. Dort ist sie Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion. Ihre jüngsten Abstimmungen: Ja zur Ehe für alle und ein Nein zum Bundeswehreinsatz im Libanon.

Lilli Schröder aus Magdeburg: Wieso sollte ich noch wählen, wenn Politiker wie Frau Twesten die Partei wechseln? Ein Gesetz müsste solche Abgeordnete zwingen, ihr Mandat niederzulegen.

Petra Sitte: Ich kann Ihren Unmut verstehen. Es wäre anständig und dem Wähler gegenüber angemessen, wenn ein Abgeordneter, der die Partei wechselt, sein Mandat niederlegt. Aber juristisch zwingen dürfen und sollten wir sie dazu nicht. Die Freiheit des Mandats hat im Grundgesetz ein sehr starkes Gewicht. Das ist nach den Erfahrungen im Faschismus auch gut und richtig. Solch ein Wechsel wie in Niedersachsen nervt Sie und nervt mich: Aber das sind Einzelfälle, mit denen wir leider leben müssen.

Marion Braun aus Schönebeck: Rentner bekommen eine Armutsrente – und es gibt junge Leute, die nichts tun und es sich gut gehen lassen.
Viele Renten sind zu niedrig, da haben Sie völlig Recht. Daher ist das Rentenkonzept einer unserer Kernpunkte. Wir wollen, dass die Benachteiligung ostdeutscher Frauen bei der Mütterrente beendet wird: Ein Kind im Osten darf schließlich nicht weniger wert sein als eines im Westen. Und wir fordern, dass die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente abgeschafft werden. Was die jungen Leute angeht: Es gibt sicherlich Einzelne, die ihr Leben vertropfen lassen. Doch das gilt nur für wenige. Wir als Linke lehnen es jedoch ab, Arbeitslose zu jedweder Arbeit zu zwingen – wenn der angebotene Job zum Beispiel nicht der Qualifikation entspricht.

Damian Schitko, Magdeburg: Ich war lange Wähler Ihrer Partei, aber die Kosten der Flüchtlingsintegration gehen zu Lasten der kleinen Leute. Wie stehen Sie dazu?
Der Bund hat in den letzten Jahren so viele hohe Steuer-Mehreinnahmen verbucht, so dass die Aufwendungen für die Flüchtlinge daraus locker bezahlt werden konnten – ohne jemandem etwas wegzunehmen. Was jetzt für die Integration bezahlt wird, war niemals für irgendwas Soziales gedacht. Nicht für mehr Rente, nicht für mehr Kitas. Damit wollte Herr Schäuble seinen Haushalt sanieren und die schwarze Null pflegen. In den letzten 20 Jahren sind mehr als eine Million Beschäftigte im Öffentlichen Dienst abgebaut worden. Dazu gehören eben Polizisten, Lehrer, Kita-Erzieher und so weiter. Die Probleme, die Sie jetzt verschärft wahrnehmen, waren alle schon vorher da.

… aber in Magdeburg am Moritzplatz wohnen Rumänen, die hinterlassen nur Dreck, hängen faul herum und die Deutschen ziehen weg, weil sie keine Ruhe finden?

Ich weiß aus Halle, wie schwierig Integration sein kann. Aber ich habe mir Sinti-und-Roma-Lager im Ausland angeschaut. Da stehen Sie vollkommen fassungslos davor, wie diese Menschen ausgegrenzt werden. Seitdem weiß ich, dass es ein langer Prozess ist, diese Menschen wieder zu integrieren. Dass da auch kriminelle Clans dabei sind, finde ich auch nicht schön. Aber das werden wir nicht von heute auf morgen ändern. Und wenn wir die Leute in ihre Heimatländer zurückschicken, dann schicken wir auch die Probleme zurück. Sie kommen eh wieder. Es ist daher sinnvoll, auch hier europäisch gemeinsam zu arbeiten, damit sie eine Chance bekommen.

Siegfried Schubert aus Calbe: Die Linke hat doch ohnehin keine möglichen Koalitionspartner mehr – warum fahren Sie nicht einen knallharten Oppositionskurs?
Das machen wir doch seit Jahren. Aber wir verschließen uns auch nicht einer Zusammenarbeit mit der SPD. Mit uns wären jedenfalls Gesetze möglich, die wesentlich weiter links landen würden als dies mit SPD und CDU geschieht. Etwa beim Mindestlohn oder bei der Rente. Doch eine Koalition scheiterte bislang an der SPD-Führung. Die SPD-Basis würde weiter gehen. Ich persönlich bevorzuge ja eher Sach-Koalitionen statt reine Macht-Koalitionen. Siehe „Ehe für alle“. Da hat die SPD mal nicht vor der CDU gekuscht.

Eine Leserin aus der Altmark: Das Land beklagt Erzieher-Mangel. Doch an den Berufsschulen fehlen Plätze, und wir sind gezwungen, Jugendliche auf kostenpflichtige Privatschulen oder in den Westen zu schicken.
Ihren Ärger kann ich verstehen. Das Problem kann aber nicht nur der Bund, dies muss auch das Land lösen. Deswegen werde ich das Thema mit unserer Landtagsfraktion bereden, damit sie die Landesregierung auffordern kann, aktiv zu werden.

Günter Kühn aus Burg: 2025 soll der Rentenangleich kommen, aber da sind die meisten von uns schon ausgestorben. Das ist doch ein Riesen-Schwindel.
Auch wir halten den Beschluss von CDU und SPD für falsch. Wir würden in einer Regierung durchsetzen, dass der Angleich sofort erfolgt – so, wie das in Koalitionsverträgen vorheriger Bundesregierungen versprochen wurde.

… Ich stimme in vielen Punkten mit Ihnen überein: Ob Familienförderung oder Ihre Haltung gegen die aggressive Nato-Politik. Doch Sie sind in der falschen Partei.
Keinesfalls.

Reinhard Karlott, Magdeburg: Ich ärgere mich immer über die inhaltsschwachen Wahlplakate der Linken.
Wir können nicht jede einzelne Position in ein Wahlplakat packen. Ich verstehe Ihr Anliegen, dass wir prägnanter werden sollen.

Marion Braun aus Schönebeck: Ich weiß noch nicht, wen ich wählen soll. Wo finde ich denn Ihr Wahlprogramm?
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Wenn Sie ins Internet gehen und in die Suchmaschine einfach „Linkspartei“ eingeben, finden Sie unser Programm. In Schönebeck selbst gibt es ein Büro von uns, da können Sie sich ein gedrucktes Kurzprogramm oder ein Langprogramm abholen. Das umfasst allerdings 135 Seiten.

Haben Sie denn auch etwas zur Mütterrente vorgesehen?
Ja, haben wir. Das gehört mit zu unserem Rentenkonzept. Wir wollen eine Gleichberechtigung zwischen Ost und West und dass die Mütterrente für ostdeutsche Frauen auf 93 Euro pro Kind im Monat aufgestockt wird.

Wolfgang Decker, Magdeburg: Ich finde, die Linken engagieren sich nicht genügend bei Flüchtlingshilfen – etwa im Interkulturellen Garten.
Die Kritik nehme ich an und werde das bei uns ansprechen. Nachdem Frau Merkel gesagt hatte: „Wir schaffen das“, kamen in den Medien vor allem die Bedenkenträger zu Wort. Dabei haben sich Tausende Ehrenamtliche bei der Aufnahme und der Integration der Flüchtlinge eingesetzt. Die wollen wir natürlich weiter unterstützen.