[Zukunftsentwurf fehlt]

Gestern noch kursierte ein Entwurfsstand für den Koalitionsvertrag der neuen Großen Koalition, dessen zweiter Abschnitt „Eine neue Dynamik für Deutschland“ völlig leer war – bis auf die Vermerke „Best of Fortschrittsthemen“ und „[Textentwurf fehlt]“.

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Ein besseres Sinnbild für den Umgang mit Innovation und Zukunftsthemen im jetzt bekannt gewordenenen Koalitionsvertrag hätten die Verhandlerinnen und Verhandler von CDU, CSU und SPD nicht finden können. Denn inzwischen ist der Abschnitt zwar mit allerhand Punkten gefüllt. Auch der restliche Vertrag ist von den Begriffen Innovation und Digitalisierung nur so durchzogen, und tatsächlich findet kaum ein wichtiges Zukunftsthema nicht wenigstens als Stichwort Erwähnung. Was aber fehlt, ist ein Entwurf für die Gestaltung dieser Zukunft ebenso wie konkrete Vorhaben, die den Anspruch von „Dynamik“ glaubhaft machen.

Stattdessen wird eine ganze Parade von Strategien, Kommissionen und Agenturen vorbeigefahren. Die Ankündigungen von – beispielsweise – einer nationalen Open-Access-Strategie oder einer Digitalisierungsstrategie für Kultureinrichtungen klingen hohl, wenn man weiß, dass sie genau so schon im letzten Koalitionsvertrag von 2013 standen. Das macht weniger den Eindruck eines dynamisch in Angriff genommenen Projekts als des Nachsitzens wegen der Versäumnisse von vier Jahren.

Bei ganz konkreten Innovationsthemen ist eher ein Still- oder sogar Rückstand zu befürchten. Das gescheiterte und innovationsfeindliche Leistungsschutzrecht für Presseverlage soll nicht nur beibehalten, sondern sogar auf europäischer Ebene eingeführt werden (im aktuellen Entwurf verbrämt als „eigene Rechtsposition“). Nicht einmal zur gerade erst erweiterten Schrankenregelung für Bildung und Wissenschaft im Urheberrecht kann sich der Entwurf eindeutig bekennen und lässt nach wie vor das völlige Auslaufen aller Schranken als Möglichkeit stehen. Auch die vage, aber potentiell bedrohliche Schnapsidee des „Dateneigentums“ hat Eingang in den Text gefunden.

Wie ungefähr jede Zukunftsvision im Vertragsentwurf bleibt, kann man etwa am Thema „Smart City“ sehen. Ein Begriff, der in aller Munde ist und dementsprechend gleich zwei Erwähnungen im Text verdient hat. Dass sich hinter diesem Begriff völlig verschiedene Zukunftsvorstellungen, teils von großen Konzernen, teils aus der Zivilgesellschaft verbergen, und es hier in Zukunft um entscheidene Weichenstellungen für unser aller Zusammenleben gehen wird: Davon weiß der Koalitionsvertrag nichts. Es gibt etwas namens „Smart City“, und die Koalition ist irgendwie dafür, es klingt ja auch irgendwie gut.

Mit die größte Pointe aber befindet sich im Ressortzuschnitt. Während sich noch im Wahlkampf fast alle einig schienen, dass es für Digitalthemen gebündelte Zuständigkeiten geben sollte – in welcher Form auch immer – wird jetzt die Fehlkonstruktion eines Ministeriums für „Verkehr und Digitale Infrastruktur“ am Leben erhalten. Damit deutet sich jetzt schon an, dass das bekannte Durcheinander von Zuständigkeiten und parallel oder gegeneinander arbeitenden Ministerien bestehen bleibt.

Sollte es überhaupt eine Zukunft für diese Koalition geben: Eine Koalition der Zukunft wird sie wohl nicht.