In Berlin und (H)alle dabei – Der Islam steckt schon im Kaffee

Der Wecker klingelt. Horst schlägt die Augen auf, gähnt, setzt sich auf und streckt sich. Er wackelt noch kurz mit den Zehen, steht dann endlich auf und geht ins Bad. Horst putzt sich die Zähne und macht sich für seinen Job als Direktor eines Heimatmuseums bereit.

Dann schaltet er das Radio ein. Marschmusik spielt. Die liebt er ja so. Am Frühstückstisch gießt er sich eine große Tasse Kaffee ein, setzt sich die Brille auf die Nase und schlägt die Zeitung auf. Dort prangt in großen Lettern Der Islam gehört zu Deutschland. Entsetzt lässt Horst die Tasse fallen, die er gerade zum Mund führen wollte. Sie fällt scheppernd zu Boden und die schwarze, dampfende Flüssigkeit strömt über die Fliesen. Wut steigt in ihm auf. Er sieht sein christliches Abendland bedroht. Der Islam gehört zu Deutschland? Nein, tut er nicht, brummt er. Unruhig stapft er durch die Wohnung und lässt sich schließlich schwer atmend auf dem Sofa nieder.

Was Horst nicht weiß, ist, dass der Islam schon längst in seinem Leben angekommen ist. Er sitzt direkt in seinem Haus, am Küchentisch, im Wohnzimmer und im Bad. Die Zahnbürste, die er verwendet hat, ist nicht made in Germany, sondern eine islamische Erfindung. Muslime achten nämlich sehr auf die Hygiene. Der Urdeutsche nahm das damals eher nicht so genau. Aber dabei bleibt es nicht. Der Kaffee hat sich mit dem Islam verschworen. Das Getränk stammt ursprünglich aus Äthiopien und kam über die arabische Halbinsel nach Europa.

Oh je, der arme Horst. Was wird er wohl sagen, wenn er erfährt, dass seine Brille, die er zum Lesen braucht, von einem islamischen Gelehrten erfunden wurde oder, dass das weiße, süße Würfelchen in seinem Kaffee und das Möbelstück in seinem Wohnzimmer arabische Namen haben – Zucker und Sofa? Auch sein Winterschal und der Koffer, den er für die Reisen braucht, sind in ihren Namen arabischen Ursprungs.

Horst verzweifelt. Er blickt zur religiösen Miniaturdarstellung des gekreuzigten Juden aus Israel, dem Gründer seines Glaubens, schluckt, richtet sich auf und denkt sich, dass doch wenigstens die deutsche Sprache frei von Islamisierung ist. Nicht ganz. Die Schrift besteht aus lateinischen Buchstaben, ein Exportschlager der alten Römer – ebenfalls keine Urdeutschen. Die Zahlen sind arabisch. Und das Papier, auf dem Horsts Zeitung gedruckt wurde, übernahmen die AraberInnen von den ChinesInnen und ersetzten damit den Papyrus. Aber wenigstens die gute alte Marschmusik muss doch noch urdeutsch sein, oder? Nein, lieber Horst, auch die nicht … – Marschkapellen erfanden die OsmanInnen.

Der Islam hat die europäische Kultur geprägt und mitgestaltet. Wissenschaft, Medizin und Kunst profitierten von dem Wissen und den Fähigkeiten islamischer Gelehrter. In Europa trafen von je her verschiedenste Religionen und Kulturen aufeinander. Sie lernten voneinander und übernahmen Traditionen und Wissen. Das spiegelt sich bis heute in unserem Alltag und in unserer Sprache wieder. So konnten wir uns zu jenen EuropäerInnen entwickeln, die wir heute sind. So wie der Islam die europäische Kultur prägte, so taten es auch das Christentum oder andere – durch Gewalt und Missionierung, aber auch durch Toleranz und Gastfreundschaft. Das ist etwas, was Horst noch begreifen muss. Gewalt ist zu verurteilen und zu unterbinden, egal von welcher Seite. Doch ein friedliches und ein sich gegenseitig förderndes Zusammenleben entstehen nur über Toleranz gegenüber jenen, die uns auch freundlich gesinnt sind. Übrigens sogar die Gastfreundschaft ist etwas, von der durchaus die eine oder der andere noch etwas von der islamischen Kultur lernen kann.

Eine gute Gelegenheit sich mit anderen Kulturen auszutauschen, Vorurteile und Missverständnisse abzubauen, ist der Besuch einer solchen. In Halle-Neustadt gibt es eine islamische Gemeinde. Das Kulturcenter arbeitet eng mit Bildungsträgern, sozialen Einrichtungen und Netzwerken zusammen. Sie nimmt regelmäßig an der Interkulturellen Woche teil, bietet Tandemsprachkurse und öffnet jährlich am 3. Oktober die Pforten für Besucherinnen und Besucher. Die Gemeinde öffnet sich nach außen, um über ihre Kultur und ihren Glauben aufzuklären – ohne jemanden ihren Glauben aufzuzwingen. Sie steht für Toleranz und Courage ein.

Leider gibt es auch in Halle Menschen wie Horst, die sich einem offenen Dialog verweigern und ihrem Unmut, ihrem Unwissen und ihrer Intoleranz sogar gewalttätigen Ausdruck verleihen, wenn die Musliminnen und Muslime zum Gebet zusammenkommen. Da die Räumlichkeiten des Kulturcenters zu klein sind, können nicht alle Gläubigen an den Gebeten teilnehmen und müssen im Freien ihre Gebete verrichten. Dass ihre religiöse Praxis auf andere Menschen befremdlich wirken und es bei einer größeren und meist friedlichen Menschenansammlung auch einmal lauter werden kann, ist verständlich. Aber anstatt mit Ablehnung zu reagieren, hilft Aufklärung. Keine Sorge – kein Mensch wird Muslim, nur weil er einen Muslim beten sieht. Statt sich anzufeinden, wäre es besser, Hilfe und Unterstützung zu leisten – zum Beispiel bei der Suche nach größeren Räumlichkeiten. Damit kann dann auch wieder Ruhe einkehren. Ob Horst das begreift? Vielleicht denkt er noch einmal an die Ursprünge seines Glaubens zurück. Denn auch die Christinnen und Christen waren anfangs nicht gewollt. Sie wurden gehasst und vertrieben. Doch mit der Zeit integrierten sie sich. Und wie war das mit der Nächstenliebe, lieber Horst? Lies doch noch einmal nach, dann wird es auch was mit dem Abendland.