Wachsende Forschungsmittel kommen bei WissenschaftlerInnen nicht an

 

 

TOP 1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011), Drucksache 17/2500
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014, Drucksache 17/2501
Einzelplan 30: Bundesministerium für Bildung und Forschung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wir haben es bemerkt: Die Koalition versucht, aus einer großen Zahl eine gute Nachricht zu machen.

(Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Das ist es auch!)

Bekanntermaßen bestehen aber die größten Haufen nicht immer aus reiner Muttererde.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn nun trotz schwarz-gelber Sparpakete der Etat für Bildung und Forschung um mehr als 750 Millionen Euro wächst, muss man ganz klar sagen: Das ist eine Reaktion auf angestaute Probleme. Vor dieser Kulisse erfahren viele auch, dass das wunderschöne Geld zu einem großen Teil nicht dort ankommt, wo es am dringendsten benötigt wird. Zu einem Großteil werden nämlich einfach Programme fortgesetzt, die Bund und Länder gemeinsam finanzieren, so etwa BAföG das wurde schon erwähnt , Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und ursprünglich auch Ihr schönes Nationales Stipendienprogramm für Leistungseliten. Den Hochschulpakt beispielsweise werden die Länder kaum weiter finanzieren bzw. stärken können. So können am Ende zwar mehr Studierende kommen, insgesamt aber verschlechtern sich die Studienbedingungen.

Letztlich verschiebt die Exzellenzinitiative grundsätzliche und notwendige hochschulpolitische Entscheidungen erneut; denn an der Unterfinanzierung des Gesamtsystems Wissenschaft ändert sich nichts. Stattdessen haben jetzt schon drei Länder, nämlich Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen, Kürzungen angekündigt. Konfrontiert mit Schuldenbremse und massiven Einnahmeausfällen infolge Ihrer Steuerpolitik, übrigens auch des jüngsten Atomkompromisses, werden weitere Bundesländer folgen.

Fazit: Trotz Aufwuchs der Mittel verschärfen sich die Grundprobleme des Wissenschaftssystems.

Ein eindringliches Beispiel dafür ist für mich folgendes Paradoxon: Trotz Exzellenzinitiative, Professorinnenprogramm und Nachwuchsförderung im Rahmen der Exzellenzinitiative verschlechtern sich die Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, insbesondere des Nachwuchses, Jahr für Jahr.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf ihre Unterfinanzierung reagieren die Einrichtungen nämlich, indem sie immer mehr befristete Verträge ausschreiben. 87 Prozent wohlgemerkt, 87 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen arbeiten heute auf der Grundlage von Zeitverträgen. Tausende sitzen zu zweit auf einer Stelle; das wissen Sie alle. Eine Mehrheit wird schon gar nicht mehr aus den Haushalten der Einrichtungen bezahlt, sondern aus eingeworbenen Mitteln, den sogenannten Drittmitteln. Das zwingt wissenschaftlichen Nachwuchs insgesamt natürlich in prekäre oder auch unsichere Arbeitsverhältnisse. Sie haben praktisch permanent den Abbruch ihrer Berufslaufbahn vor Augen. Jene, die sich über Stipendien finanzieren, fallen sofort in Arbeitslosengeld-II-Bezug, wenn sie keine Weiterbeschäftigung finden. Ich frage Sie: Wie verlässlich ist denn das?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Letztlich spitzen sich durch die Exzellenzinitiative die strukturellen Probleme der Nachwuchsförderung sogar noch zu. Sie haben jetzt 4 000 hochspezialisierte Projektstellen geschaffen. Damit holen Sie 4 000 Menschen als zusätzliches Personal an die Hochschulen. Dieses und das bereits vorhandene Personal steuern aber auf ein Nadelöhr zu. Das sind die späteren Dauerstellen, die an den Hochschulen vorhanden bzw. nicht vorhanden sind. Da gibt es keinen Aufwuchs. Deshalb werden viele von diesen zusätzlich Geförderten am Ende keine Beschäftigung finden. Eine akademische Laufbahn bleibt für diese hochqualifizierten Leute eben nicht planbar. Auch das widerspricht Ihrer Ansage. Auch das ist nicht verlässlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Sackgassen schrecken bekanntermaßen besonders Frauen ab. Seit Amtsantritt der Bundesministerin im Jahre 2005 wuchs der Frauenanteil bei Professuren jedes Jahr lediglich um ein mageres Prozentpünktchen. 2009 lag er bei durchschnittlich 18,3 Prozent. Aber bei den besserbezahlten W-3-Professuren liegt der Anteil der Frauen nur bei 12 Prozent. Nun kann man sich ausrechnen, wann in etwa wir damit im System Gerechtigkeit für Frauen erreichen. Wir haben das einmal getan; das Ergebnis ist: im Jahr 2042. So lange will ich gar nicht leben. Wahrscheinlich werde ich es also nicht einmal mehr erleben. Insofern ist die Situation völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Patrick Meinhardt (FDP): Sie wollen nicht bis 2042 leben?)

Jetzt kommt die Krönung des Ganzen: Trotz dieser gravierenden Defizite kürzen Sie den Titel „Strategien zur Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen in Bildung und Forschung“ in diesem Haushalt radikal um über 20 Prozent. Ich muss Ihnen schon sagen: Dazu fällt mir nichts mehr ein; es empört mich einfach nur noch.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Welche Alternative besteht am Ende? Die Alternative ist ein Wechsel ins Ausland; viele tun das schon heute. Gerade jetzt ist wieder eine Debatte darüber entbrannt, was Deutschland für einen Fachkräftemangel hat. Wir haben es auch hier mit einer absurden und konzeptionslosen Ausgabe von Steuergeldern zu tun.

Fazit: Die Linke fordert:

Erstens: eine klare Orientierung Ihrer Ausgabenpolitik an den drängendsten Problemen der Wissenschaftseinrichtungen.

Zweitens. Der Bund muss den Ländern über höhere Steueranteile die Sicherung der Grundausstattung ihrer Hochschulen ermöglichen.
Drittens meine Kollegin hat damit geschlossen; auch ich will es gerne tun : Das Kooperationsverbot muss fallen, damit im Rahmen des Hochschulpaktes zwischen Bund und Ländern endlich verlässliche Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs vereinbart werden können.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)