Workshop „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft e. V.“

Redebeitrag beim Workshop „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft e. V.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

als ich gebeten wurde, für heute ein Statement vorzubereiten, dass die Anforderungen an ein Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft aus Sicht der LINKEN skizziert, war mein erster Gedanke: Da kann ich ja einfach die Forderungen des Aktionsbündnisses vorlesen.

Ich werde nun aber doch etwas eigenständiges vortragen, lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie deckungsgleich unsere Ideen auf diesem Feld sind.

Die Berliner Rede zum Urheberrecht der Bundesjustizministerin am 14.  Juni fiel für all jene enttäuschend aus, die darauf hofften, der Dritte Korb der Urheberrechtsnovelle würde zum Wissenschaftskorb werden.

Dies zeigte sich zum einen darin, wie wenig wissenschaftsrelevante Themen angesprochen wurden. Open Access verkam zum Schlagwort, das Zweitverwertungsrecht kam gar nicht vor, lediglich den verwaisten Werke widmete die Ministerin einige Absätze.

Hoffen wir, dass die besondere Behandlung der Themen Open Access und Verwaiste Werke in den Anhörungen zum Dritten Korb gegen die Tendenz der Rede doch ein Zeichen sind, dass die Wissenschaft angemessen in der Novellierung berücksichtigt wird.

Allerdings muss ein weiterer Punkt an der Rede von Frau Leutheusser-Schnarrenberger stutzig machen. Für die Ministerin wird „der Werkschöpfer im Mittelpunkt stehen. Niemand sonst …“

Die LINKE hat sich dagegen vorgenommen, bei der Reform des Urheberrechts die Interessen von Urheberinnen und Urhebern, Nutzerinnen und Nutzern gleichermaßen in den Blick zu nehmen und ich glaube, dass dies nicht zuletzt im Sinne von Bildung und Wissenschaft sein wird.

Es ist ein Allgemeinplatz, dass Wissen sich bei Gebrauch vermehrt. Genauso entsteht neues Wissen und damit neue Werke nur durch die Beschäftigung mit bestehendem, verfügbarem Wissen.

Entsprechend treten wir gerade im Bildungs- und Wissenschaftsbereich für einen freien Zugang zu Wissen ein, womit die Nutzerinnen und Nutzer urheberrechtlich relevanter Werke ganz automatisch mit in den Mittelpunkt der Überlegungen geraten.

Die Chancen, die die Digitalisierung hierbei bietet, die Information auch unabhängig von einem bestimmten physikalischen Werkträger zu verbreiten, müssen wir offensiv nutzen und nicht aufgrund von Statusbedenken und Standesdünkel oder überholten Geschäftsmodellen bekämpfen. Es kann einem wissenschaftlichen Aufsatz und seiner Weiterverbreitung nicht schaden, wenn er allgemein zugänglich ist, anstatt in den wenigen Bibliotheken gedruckt vorhanden zu sein, die sich teure Fachzeitschriftenabos noch leisten können.

Die Förderung und Stärkung von Open-Access-Modellen unterstützen wir deshalb nachdrücklich.

Gerade im Wissenschaftsbereich ist das finanzielle Auskommen der Urheberinnen und Urheber allermeist nicht an den Verkauf ihrer Werke gebunden. Im Gegenteil wird ihre Arbeit in der Regel durch öffentliche Mittel finanziert, sodass ebendiese Öffentlichkeit auch einen besonderen Anspruch an die Früchte dieser Arbeit anmelden kann.

Auch die besonderen Leistungen der Verwerter, die Formatierung, Produktion und Vervielfältigung sowie Reputation, Qualität und Einordnung der Werke, sind immer weniger gegeben.

Formatierungsaufgaben werden längst weitgehend von den Urheberinnen und Urhebern selbst verlangt. Produktion und Vervielfältigung sind durch die Digitalisierung ohne Druckmaschinen und physikalischen Vertrieb viel einfacher, weitreichender und kostengünstiger möglich. Und die Reputation, die Auswahl und das festlegen von qualitativen Mindeststandards kann auch bei Open Access durch Herausgeberrunden, Peer Review-Verfahren und formale Kriterien erfolgen, ohne dass diese bei einem privatwirtschaftlichen Verlag angesiedelt sind, der dann oft sogar noch Druckkostenzuschüsse verlangt.

Eine Pflicht zur Open Access-Veröffentlichung für Werke, die mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden ist deshalb aus meiner Sicht bedenkenswert. Gleichwohl müssen wir anerkennen, dass diese zwingende Durchsetzung der sogenannten „golden road“ des Open Access möglicherweise im Konflikt zur geltenden Auslegung der Wissenschaftsfreiheit steht.

Wichtigstes Instrument, um Open Access in der Breite zu ermöglichen, ist deshalb für mich die Einführung des Zweitverwertungsrechtes und damit der Abschaffung von exklusiven Rechteabtretungen an Verwerter. Hiermit gehen wir den Weg der „green road“ und müssen bei einer Open Access-Verwertung bereits publizierter Werke überlegen, wie wir mit der erbrachten Leistung der Verlage in diesem Fall umgehen wollen.

Ob eine Zweitveröffentlichung in anderer Formatierung der richtige Weg sein kann, wäre zu prüfen. Gerade in den Geisteswissenschaften ist eine seitengenaue Zitation von Quellen aus guten Gründen üblich, hier sollten nicht allzu viele Ausgaben eines Werkes zu Verwirrungen oder Verwässerungen der Zitierstandards führen. Eine Vergütung der Verlagsleistung bei formatgleicher Wiederveröffentlichung darf andererseits nicht zu einem allgemeinen Leistungschutzrecht führen, dass zu den bestehenden erweiterten Schutzrechten des Urheberrechts hinzuaddiert wird. Auch darf eine solche Vergütungsregelung nicht den freien Kräften des Marktes überlassen werden. Wie nachteilig so etwas ausgeht, sehen wir an den Regelungen im journalistischen Bereich, die entweder gar nicht zustande kommen oder zum Nachteil der Urheber ausgestaltet sind.

Welche der Lösungen sich letztlich als realisierbarer erweist, beide zeigen, dass wir auf eine Embargofrist bei der Zweitverwertung verzichten können.

Eingangs habe ich gesagt, DIE LINKE will Nutzerinnen und Nutzer ebenfalls in den Fokus des Urheberrechts stellen. Dazu gehört nicht nur die Frage, wie Wissen veröffentlicht wird, sondern vor allem auch, wie veröffentlichtes Wissen genutzt werden kann.

In einem Bildungs- und Forschungsumfeld, das in zunehmendem Maße auf virtuelle Arbeitsplätze, netzgestützte Kommunikation und Kollaboration setzt und das ortsunabhängige Selbststudium ermöglicht, darf Wissen nicht mehr auf den physikalischen Raum einer Bibliothek oder eines Archivs beschränkt bleiben.

Deshalb unterstütze ich den Anfang Juli eingebrachten Vorschlag des Aktionsbündnisses Urheberrecht, eine Allgemeine Wissenschaftsschranke einzuführen, die die bisherigen kleinteiligen und höchst komplizierten Schrankenlösungen, z.B. in den Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a ersetzt. Insbesondere teile ich die Auffassung, dass die Limitierung der Nutzungslizenzen auf einen bestimmten abgegrenzten Personenkreis aus Bildung und Wissenschaft den realen Begebenheiten des Forschen und Lernens näher kommt als ortsbezogene Einschränkungen.

Die Verfügbarmachung von Lehr- und Lernmaterial zu nichtkommerziellen Zwecken darf und kann den Medienwandel nicht ignorieren und muss entsprechend ins Recht gesetzt werden.

Das besonders sympathische am Vorschlag des Aktionsbündnisses ist gerade die Zusammenfassung entsprechender Regelungen und nimmt meiner Einschätzung nach die ebenfalls im Juli veröffentlichten richtigen Desiderate der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen in dieser Sache auf, die sich ja noch auf Rechtsausweitungen, Wirkungsausdehnungen und Entfristungen bei den angesprochenen Einzelparagraphen beziehen.

Zu überlegen wäre, ob die vorgeschlagene Formulierung der Allgemeinen Wissenschaftsschranke nicht explizit auch die elektronische Vervielfältigung und Verbreitung mit aufnimmt, um hier klare Verhältnisse zu schaffen.

Apropos klare Verhältnisse: Die dieser Tage laufende Debatte um Lizenzgebühren, die Kindergärten für das Kopieren von Noten und Liedern bezahlen müssen, zeigt deutlich, wie dringend eine Vereinheitlichung der Urheberrechtsschranken geboten ist. Die Verwirrung, welche Werke nun kopiert werden dürfen, weil die damit zusammenhängenden Vergütungsansprüche beispielsweise durch die Geräteabgabe abgedeckt sind und welche nicht, ist groß. Und das liegt nicht an den Bildungseinrichtungen und ihren auch anderweitig schon in höchstem Maße ausgelasteten Pädagogen, sondern an einer viel zu differenzierten Rechtslage.

Vervielfältigung und Nutzung von jeglicher Form von Wissen, ob Liednoten, Schulbücher oder wissenschaftliche Aufsätze, muss einheitlich möglich sein. Kopierverbote von legal durch Kauf oder Lizenz erworbenen Werken müssen hier fallen.

Informationszugang darf sich allerdings nicht nur auf Bildungs- und Forschungseinrichtungen und deren digitalen Filialen beschränken. Die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, bedeutet für mich auch, allgemein zugängliche Projekte wie die Europeana zu unterstützen.

Und damit komme ich zum Problem der verwaisten Werke:

Der Deutsche Kulturrat schlägt in einer Resolution vom vierten Oktober, weitgehend analog zu älteren Vorschlägen der Literaturkonferenz vor, dass solche Werke nach einer angemessenen Suche nach den Rechteinhabern digitalisiert und zugänglich gemacht werden können, wenn dafür eine „angemessene Vergütung“ an die zuständige Verwertungsgesellschaft gezahlt wurde. Sollte sich nach Ablauf der Schtuzfrist keine Rechteinhaber gefunden haben, fließen die Lizenzgebühren den Mitgliedern der Verwertungsgesellschaft oder soziale Zwecken zu.

Eine schnelle rechtssichere Vereinbarung ist dringend geboten und im Sinne derer, die diese Werke wieder zugänglich machen wollen. Ich halte aber den vom Kulturrat vorgeschlagenen Weg hier für falsch.

Wer bestimmt in diesem Fall die Höhe einer angemessenen Vergütung? Wieder das freie Spiel der Kräfte, diesmal zwischen Verwerten und Nutzern, also Verlagen und Bibliotheken? Ich habe schon vorhin beim Zweitverertungsrecht dargelegt, wie schlecht dabei die Ergebnisse sind.

Für eine solche Vergütungsregelung braucht es eine Rechtsverordnung.

Denn sicher ist es sinnvoll, Geld vorzuhalten,, solange Vergütungsansprüche theoretisch bestehen.

Aber wieso müssen die meist klammen Bibliotheken und Archive dieses Geld bei den Verwertungsgesellschaften parken und können es nicht selbst treuhänderisch verwalten? Und warum sollen die Gelder, wenn niemand berechtigte Ansprüche auf die Vergütung anmeldet, an die Mitglieder der Verwertungsgesellschaften fließen und nicht etwa dem Ausbau der Bibliotheken dienen?

Eine eigentlich simple Möglichkeit, das Problem der verwaisten Werke zu minimieren, ist mir und meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag direkt leider nicht möglich. Das wäre die Verkürzung der Schutzfristen im Urheberrecht. Diese Fristen ermöglichen dagegen Tantiemen für die Urenkel der Urheberinnen und Urhebern, vor allem aber ermöglichen sie Verlagen über Generationen exklusive Verkaufsoptionen. Den eigentlichen Urheberinnen und Urhebern und einem freien und breiten Zugang zu Wissen dienen sie nicht. Entsprechend unterstütze ich alle Bemühungen, diese europäisch geregelten Fristen zu verkürzen.

MdB Dr. Petra Sitte