Kernfusionsprojekt ITER auf den Prüfstand!

TOP 24)  Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moratorium jetzt – Dringliche Klärung von Fragen zu Mehrkosten des ITER-Projekts, Drs. 17/6321 und 17/7934

—–

– Rede zu Protokoll – 

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die Debatten zum geplanten Fusionsreaktor ITER kommen einem vor wie die unendliche Geschichte. Und wer dieses berühmte Jugendbuch gelesen hat, der weiß, dass die Handlung größtenteils in einer nichtrealen Welt namens Phantasien spielt. Und in einer ähnlichen scheinen die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen zu leben, die immer wieder die heile und vollkommene Welt der Fusionsenergie preisen. So etwa der Kollege Dr. Murmann in der ersten Debatte zum vorliegenden Antrag: „Wenn diese Technik Marktreife erlangt, ist die Kernfusion eine sichere, saubere, nahezu unerschöpfliche und nachhaltige Energiequelle, die zudem noch grundlastfähig ist.“ Dieser Glaubensgrundsatz gilt bereits seit den 60er Jahren. Und immer dauert es nur noch 30 bis 40 Jahre bis zur Marktreife der Technologie. Wenn das Wörtchen wenn nicht wär…

Aber die Frage ist doch nicht, ob wir das Wünschenswerte ersehnen, sondern ob wir das Notwendige tun. Wenn man sich die äußerst komplizierten Verhandlungen der Weltklimakonferenz in Durban ansieht. Wenn man sich ansieht, dass wir mit unserer Art der automobildominierten Mobilität, zwei Drittel des geförderten Erdöls einfach verbrennen, dass der Klimawandel zuerst in den ärmsten Länder der Erde massive Schäden verursacht – etwa in Bangladesch, Myanmar und Honduras.

Wenn man sich also ansieht, dass die industrialisierte Welt trotz aller guten Absichtsbekundungen keine wirksame Antwort auf das Klimaproblem gefunden hat, dann muss man ein unsicheres Projekt wie ITER zugunsten des Notwendigen auf den Prüfstand stellen dürfen.

Nun steht nicht nur die praktische Seite des Projekts vor immer neuen Hürden, sondern auch die finanzielle. Vergangene Woche konnten sich Rat und Parlament erneut nicht darüber einigen, wie die allein bis 2013 fehlenden 1,3 Milliarden Euro aufgebracht werden sollen. Heute sitzen Vertreterinnen und Vertreter beider Seiten wieder zusammen. Die Bundesregierung hat sich, so war es auch in der Presse zitierten internen Berichten zu entnehmen, klar geäußert: andere Bereiche im EU-Haushalt müssen bluten, darunter auch die Etats für Forschung und Innovation. Bitte sagen Sie, liebe Frau Forschungsministerin, dann mal konkret, was Sie aus dem laufenden Forschungsrahmenprogramm für verzichtbar halten, damit Ihre Abwägungsentscheidung hier im Parlament transparent wird. Und sagen Sie bitte dazu, dass auch deutsche Interessen an einer Rückzahlung von Agrarüberschüssen in dieser Entscheidung eine Rolle spielen.

Die Probleme bei ITER treiben die europäische Energieforschung insgesamt in eine absurde Schieflage: der Europäische Verband für Windenergie rechnete jüngst aus, dass die Atomenergie, darunter die Fusionstechnik, mit mindestens 1,3 Milliarden Euro in 2012 durch die EU gefördert werden soll, während für alle anderen Energieträger inklusive Kohle lediglich 355 Millionen zur Verfügung stünden, darunter lächerliche 24 Millionen für die Windenergie. 80 Prozent der Mittel gehen in risikobehaftete Atomtechnologien.

Ist das die Prioritätensetzung, mit der wir schnell und nachhaltig einen Ausbau und vor allem die Netzintegration der Erneuerbaren Energien erreichen können? Insbesondere im Bereich der Wärmeerzeugung, aber auch im Verkehrssektor sind wir weit von den angestrebten Ausbauzielen entfernt. 2050 wollen wir 80 Prozent weniger CO2 ausstoßen. So spannend die Fusionsenergie ist, sie wird nichts zur Erreichung dieses Ziels beitragen.

Ebenso wenig hilft sie bei der Lösung der der Finanz- und Wirtschaftskrise, die in vielen Ländern Arbeitslosigkeit und Armut bringt. Die dezentralen Erneuerbaren Energien haben in Deutschland gezeigt, dass sie ein Job-Motor sein können, wenn sie richtig gefördert werden. Wir wären gut beraten, diese Erkenntnis auch in die Beratungen auf der Europäischen Ebene einzuspeisen anstatt immer nur weitere Rettungsschirme und Sparprogramme zugunsten von Kapitalanlegern zu verlangen.

Im Buch von der unendlichen Geschichte muss der Held seinen starken Willen einsetzen, um aus der Fantasiewelt in die reale Welt zurückkehren zu können und nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Dieser starke Wille zur Vernunft sollte auch uns leiten. Das Projekt ITER muss der hier geforderten grundsätzlichen und ergebnisoffenen Überprüfung unterzogen werden.