Der Bund kann den Scheinriesen zähmen

TOP 24) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Exzellente Perspektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln (Drucksache 17/9396)

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– Rede zu Protokoll –

Meine sehr gehrten Damen und Herren,

unser Wissenschaftssystem steht beschäftigungspolitisch vor einem gravierenden Strukturproblem. Das bescheinigen in den letzten Monaten alle Studien und das haben auch zwei Expertenanhörungen im Forschungsausschuss zur Situation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an öffentlichen Einrichtungen bestätigt. Zwar sind in den letzten Jahren im Rahmen der Exzellenzinitiative und des Hochschulpakts Tausende Stellen an Hochschulen neu geschaffen worden. Ein großer Anteil ist aber an zeitlich beschränkte Projekte der Exzellenzinitiative gebunden. Und auch die Stellen für Daueraufgaben aus Lehre und Forschung an den Hochschulen sind nur zum geringen Prozentsatz unbefristete Professuren. Dafür gab es 2010 doppelt so viele meist geringfügig entlohnte Lehrbeauftragte wie noch 2005. Aus der Nähe betrachtet entpuppt sich die vermeintliche Jobmaschine daher  als Scheinriese. Wenn man nämlich die weitere Perspektive der hochmotivierten und hochqualifizierten  Menschen in den Augenschein nimmt, so ist sie im überwiegenden Maße von Unsicherheit und zunehmend auch von Prekarität geprägt.

Die statistischen Belege sind bestechend: Nur 14 Prozent des wissenschaftlichen Personals an deutschen Hochschulen besteht aus Professuren und anderen Dauerstellen, während dies in Frankreich oder England fast zwei Drittel sind. Die Evaluation zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat zudem offengelegt, dass mehr als die Hälfte aller Verträge, die heutzutage geschlossen werden, für maximal ein Jahr laufen! Überhaupt dürfen sich nur 11 Prozent der befristet Beschäftigten glücklich schätzen, dass sie für mehr als zwei Jahre eingestellt werden.

Um diesen Zuständen einen Riegel vorzuschieben, hat meine Fraktion in ihren Anträgen deutlich gemacht, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das solche Befristungen bislang zulässt, nachgebessert werden muss. Wir möchten gesetzlich festschreiben, dass sich die Laufzeit von Verträgen mindestens an der geplanten Dauer der Qualifikation oder Drittmittelprojekte ausrichten und Verträge unter einem Jahr nicht zulässig sind.

Nun legt die Koalition heute eine Position vor, in der sie ebenfalls für Mindestlaufzeiten von Verträgen plädiert. Immerhin erkennt sie die schwierige Lage der Betroffenen in diesem Punkt also an. Warum aber, meine Damen und Herren von der Koalition, nehmen Sie ihre politische Verantwortung als Gesetzgeber nicht an und äußern bloße Wünsche an die Hochschulrektorenkonferenz? Spätestens nach den negativen Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Gleichstellungsfragen wissen wir doch, dass es verbindliche Vorgaben bei Personalfragen braucht. Sonst bleibt wie bisher alles vom guten Willen einzelner Entscheider abhängig.

Sie wissen, dass Sie auch noch einen alternativen Weg gehen können: Die Streichung der Tarifsperre, wie sie GEW und ver.di zurecht fordern. Dann könnten die Hochschulen ihren guten Willen ganz praktisch in Tarifverhandlungen unter Beweis stellen und beide Seiten könnten sachlich gute Regelungen weitgehend ohne den Gesetzgeber stemmen. Für eine der beiden Varianten müssen Sie sich aber entscheiden, wenn wir im Bundestag wirklich seriöse Wissenschaftspolitik machen sollen.

Um Nachwuchswissenschaflern und –wissenschaftlerinnen langfristige Perspektiven an deutschen Hochschulen zu geben braucht es darüber hinaus deutlich mehr Dauerstellen. Man muss der Realität ins Auge sehen: Es gibt anhaltend mehr Studierende, was fraktionsübergreifend gewünscht und gewollt ist. Hierdurch werden schnellstmöglich deutlich mehr qualifizierte Lehrkräfte benötigt. Zugleich schreiben alle politischen Kräfte der Forschung eine tragende Rolle für die Zukunftsentwicklung zu. Forschung und Innovationen dienen den einen als vorgelagertes Labor für Wirtschaftswachstum und Wohlstand, den anderen als Impulsgeber für den notwendigen sozialen und ökologischen Wandel unserer Gesellschaft. So gesehen muss man auch bei der Stellenstruktur endlich „Ja“ zu mehr fest angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sagen. Dafür könnten Nachwuchswissenschaftler als Juniorprofessuren und Nachwuchsgruppenleiter mit Tenure-Track, d. h. Option auf Übernahme bei Erfolg ausgestattet werden. Überall im Ausland ist das ganz normal, nur bei uns kann der sogenannte „Nachwuchs“ auch im Alter von 40 Jahren nur selten selbstständig forschen und lehren.

Hier bewegt sich die Koalition nunmehr einen Schritt nach vorne und will die oben genannten Personalkategorien sprachlich aufwerten, indem sie sie zu – befristeten – „Assistenzprofessuren“ zusammenfasst. Der Kern der Neuerung liegt im Vorschlag für unbefristete Post-Doktoranden-Stellen als sogenannte „Associate Professors“, die auch ohne Habilitation unbefristete Beschäftigung und Autonomie in Personal- und Forschungsfragen ermöglichen. Diese zwei Kategorien würden Sinn machen, wenn die eine als Transferstelle zur Vollprofessur angelegt wäre – wie heute bereits die Juniorprofessur – , die andere aber als Zielstation – mit Option auf Aufstieg. Hier ist der vorgelegte Antrag aus meiner Sicht aber nicht ganz klar. Die unbefristeten Post-Doktoranden-Stellen scheinen als Zwischenstation zwischen Juniorprofessur bzw. Nachwuchsgruppenleitung einerseits und Vollprofessur andererseits angelegt zu sein. Wenn sich darauf aber nicht der oder die hervorragende Promovierte bewerben kann, würde damit nur eine Professur zweiter Klasse geschaffen.

Doch lässt sich an der Ausgestaltung der Personalkategorien weiter feilen. Entscheidend ist, wie ein solches Vorhaben finanziert werden kann. DIE LINKE hatte hierzu ein Sonderprogramm des Bundes vorgeschlagen, da es sich um ein wissenschaftspolitisches Ziel von übergreifender Bedeutung handelt. Hier wäre es also spannend zu erfahren, ob die Koalition dazu mit ihren Wissenschaftsministerien der Länder im Benehmen ist. Im Antrag schweigt Sie sich zur Finanzierung völlig aus, wodurch jeder noch so gutgemeinte Vorschlag zum Papiertiger wird.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass die Stellenbasis auch von unten zerbröselt, weil reguläre Qualifikationsstellen für Promovierende zunehmend durch Stipendien ersetzt werden. Das hatte eine Befragung unter Promovierenden der Max-Planck-Gesellschaft ergeben. Dabei sind die Max-Planck-Institute im Vergleich zu Hochschulen gut finanziell ausgestattet, so dass man sich für die letzteren einen noch weit größeres Ausmaß der gleichen Entwicklung ausmalen kann. Mitnichten liegt diese Entwicklung daran, dass immer mehr Promovierende ungebunden an ihrer Qualifikation arbeiten wollen. Denn die Studie zeigt, dass die Stipendiatinnen und Stipendiaten ähnlich stark in Projekte außerhalb ihrer eigenen Qualifikation eingebunden werden, wie Angestellte. Sie arbeiten also regulär, nur zu einem für die Institute deutlich günstigeren Tarif. Sie werden weder sozial-,renten- noch krankenversichert. Statt mehr Stipendien, die bei der Bundesregierung im Trend liegen, brauchen wir deshalb mehr Stellen. Ich hoffe, dass die Diskussion zu diesem Antrag in tragfähige Konzepte mündet.