Christa Luft zum 75. Geburtstag

Petra Sitte anlässlich des Empfangs zum Geburtstag von Christa Luft:

„Liebe Freunde Christ Lufts – diese Anrede hat mir heute am besten gefallen – zwischen euch und den Pausengesprächen samt Snacks stehe jetzt nur noch ich.

Ich möchte namens der Bundestagsfraktion ganz herzliche Grüße und alle guten Wünsche zum 75. Geburtstag überbringen. Ich weiß, dass hier Gregor Gysi erwartet wird. Über den Umstand, heute nicht selbst hier sprechen zu können, ist wohl niemand unglücklicher als er. Aber die Samstage sind klassische Parteitage. Und heute findet in der Tat der Berliner Landesparteitag statt, auf welchem die KandidatInnen für die Landesliste zur Bundestagswahl bestimmt werden.

Und da ist, du wirst dich vielleicht erinnern, liebe Christa, persönliches Erscheinen absolute Pflicht. Aus dem gleichen Grund fehlen auch Petra Pau und Gesine Lötzsch, die mir beide besonders ans Herz gelegt haben, dich von ihnen zu grüßen.

Ich kann Gregor natürlich nicht ersetzen – aber auch bei mir müsst ihr nicht allzu weit den Nacken strecken.

Nun zu meinem eigentlichen Auftrag:

Christa Luft hat die Haushaltspolitik der Gruppe und der Fraktion der PDS im Deutschen Bundestag geprägt. Und zwar nachhaltig. Das heißt, Ihre Prinzipien wirken bis heute nach.

Von Anfang an ging es ihr darum, dass nicht nur global gesagt wurde wogegen wir sind und was wir fordern, sondern auch vorgeschlagen wird, wie die Gegenfinanzierung aussehen soll.

Dieser methodische Ansatz sagt nicht nur viel über das eigene Politikverständnis, sondern auch mit welchen Erwartungen man den Vorschlägen der politischen Kontrahenten begegnet. Kantscher Imperativ angewandt auf Haushaltspolitik.

Und seriöse Vorschläge wurden gerade in den ersten Jahren nach der Wende dringend gebraucht, weil der gesamte Einigungsprozess und seine Probleme gnadenlos unterschätzt worden waren.

Nachhaltig kann ich die Prinzipien Christa Lufts für die Haushalts- und Finanzpolitik auch deshalb bezeichnen, weil sie bis heute in der Fraktion immer wieder neu erstritten werden müssen.

Es ist nämlich durchaus nicht in jedem Falle selbstverständlich, Anträge einzubringen, die konkrete Missstände aufgreifen, aber die kritisierte Grundlogik von Gesetzen nicht auszuhebeln imstande sind. Dazu muss man viel über den Alltag von Menschen wissen und nachvollziehen können, wie belastend sie wirken.

Insofern hast du dich zugleich mit anderen um ein solides Steuerkonzept der PDS bemüht. Die Reaktionen waren geteilt. Dir und anderen war es Beleg für Politikfähigkeit, andere wiederum reflektierten Selbiges als Absage an konsequente Kapitalismuskritik.

„Wir brauchen,“ hast Du erwidert, „Gedanken über grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen – innerhalb und außerhalb der PDS. Für mich aber wäre es ein Verrat an den abhängig Beschäftigten und den Erwerbslosen, den Frauen und Jugendlichen, wenn man sie auf eine ferne Zukunft vertröstet, wo dann sozialistische Politik pur gemacht wird. Wir versuchen, die Spielräume zu nutzen, die sich unter den gegenwärtigen Bedingungen bieten, freilich nicht prinzipienlos.“

Für die Vorbereitung solcherart Anträge waren umfangreiche und langfristige Vorbereitungen erforderlich. Und wie das konkret aussah, haben mir umfänglich die FinanzreferentInnen der Fraktion geschildert.

Für all jene, die sich nie mit Bundesfinanz- und -haushaltspolitik herumschlagen mussten, sei erklärt:

Es ist parlamentarisch üblich, Anträge der Opposition in der Regel allein der „Heimatadresse“ wegen abzulehnen. Am 22. Februar 1997 wurdest du in einem Interview gefragt:

„Das Steuerkonzept Ihrer Partei wurde öffentlich abgeschmettert, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Enttäuscht?“

Und hier deine Antwort: „Das gehört zum Ritual. PDS-Papiere werden in Bausch und Bogen abgelehnt, tauchen aber punktuell bei anderen Parteien wieder auf. Wenn Lafontaine sagt, der Spitzensteuersatz müsse bei 53 Prozent bleiben, solange man nicht wisse, wie die Finanzierungslücke geschlossen werden kann, nimmt er eine Forderung von uns auf.“ Zitat Ende.

Wollte man also eine Chance haben, musste und muss man „früher aufstehen“ (wie Sachsen-Anhalter tapfer behaupten) bzw. früher anfangen, zu baggern. Und das geht so:

In der Zeit der Haushaltsaufstellung gab und gibt es zahlreiche Vorbereitungsgespräche, in welchen direkt mit diversen VertreterInnen der einzelnen Ministerien oder auch mit KollegInnen der anderen Fraktionen im Haushaltsausschuss Vorschläge zu konkreten Änderungen und Projekten im Haushaltsplan ansprech- und umsetzbar sind.

Dabei ist es natürlich besonders tricky, wenn das Projekt jeweils konkrete Vorschläge zur Gegenfinanzierung enthält. Du hast zudem besonders darauf geachtet, inwieweit unter Umständen die Bundesländer anteilig mit finanzieren mussten.

So etwas mögen Länderfinanzminister im Allgemeinen nämlich gar nicht. Auszublenden war dieser Aspekt schon deshalb nicht, weil es ja auch Länder gab, in denen die PDS tolerierte oder auch mitregierte.

Insofern bestanden und bestehen Haushaltspolitiker wie Christa Luft darauf, dass die betreffenden Projekte auch mit den Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der Landtagsfraktionen abgestimmt worden sind.

Als Fraktionsvorsitzende unserer Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, kann ich mich noch sehr gut daran erinnern, mit welch eiserner Disziplin sich die FinanzpolitikerInnen unserer PDS-Fraktionen regelmäßig trafen.

Kurzum – man hatte und hat also ein nichtöffentliches Zeitfenster für konkrete Politik bei Aufstellung des Bundeshaushaltes.

Dummer Nebeneffekt nur – viel Arbeit und wenig Lohn, weil das am Ende nicht mehr belegt werden kann. Nix mit Verwertungsrechten. Echte Höchststrafe für PolitikerInnen.

So war ein Zeitungsinterview dieser Zeit übertitelt: „Da weiß ja keiner mehr, dass du das warst.“ Aber der konkrete Erfolg war Christa Luft immer wichtiger als die eigene Autorenschaft. Kann man das politischen Ethos bezeichnen?

Nun könnte ja mancher Zuhörer oder manche Zuhörerin meinen, Haushaltspolitik sei angesichts dieser Erläuterungen doch schrecklich dröge.

Nein, kann ich dem nur entgegnen. Will man wissen, wie ein Staat atmet, muss man in den Haushalts- oder auch in den Finanzausschuss gehen. Viele Vorgänge und Projekte sind ausgesprochen spannend und nur mit Leidenschaft und guter Kondition beharrlich zu verfolgen.

Und selbstverständlich hatte die PDS bzw. hat die LINKE Großprojekte auf dem Plan.

So waren und sind die Finanzierung unserer bedeutendsten, mehrere Milliarden kostenden Forderungen – z.B. Leistungen für Arbeitslose später dann die Hartz IV-Leistungen, die Einführung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, die Auflage von Gemeinnützigen Arbeitsmarktprojekten, bedarfsgerechte und öffentlich geförderte Betreuungs- und Freizeitangebote für Kinder, höhere Bildungs- und Wissenschaftsausgaben, die Rückführung der Selbstbeteiligungen und Zuzahlungen der PatientInnen und Versicherten oder das Teilhabesicherungsgesetz für Menschen mit Behinderungen und vieles andere mehr – natürlich nicht in einem Haushalt unterzubringen. Du hast auf diesen Umstand angesprochen, mal ganz nüchtern gesagt:

„In keiner Partei, auch nicht in meiner, kann irgend jemand behaupten, man könne durch das Umschalten eines Hebels irgendein Problem auf dieser Welt in kurzer Zeit lösen.“

Mancher Kollege oder Kollegin in unseren Fraktionen der letzten beiden Jahrzehnte knabbert bis heute schwer an dieser Erkenntnis.

Oftmals gelang und gelingt allenthalben ein Einstieg.

Nicht selten war es aber doch möglich, öffentliche Debatten auszulösen, die den Druck auf die jeweilige Bundesregierung erhöhten und in deren Folge sich dann auch deren Politik änderte. Erinnert sei nur an den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, den ja sogar Gewerkschaften anfangs ablehnten. Und jetzt bewegt sich sogar die FDP in diese Richtung.

Und schließlich ist es Christa Luft und ihren MitstreiterInnen auch gelungen, Förderprogramme für ostdeutsche Unternehmen im Bundeshaushalt unterzubringen, die lange Bestandteil des Bundeshaushalts waren. Das war natürlich besonders bedeutsam, mussten doch Ostdeutsche ohne Ausnahme in den Jahren nach der Wende ihr ganzes Leben umkrempeln. Nicht selten ging das mit jahrelanger Arbeitslosigkeit und ständiger sozialer Unsicherheit einher. Es gibt wohl kaum jemanden unter den heute Anwesenden, der oder die nicht unzählige Geschichten dazu erzählen könnte. Menschen, wie Christa Luft, haben aber in ihrer Arbeit nicht einmal den Eindruck erweckt, als müssten sich Ostdeutsche dafür in besonderer Dankbarkeit üben.

Vielmehr ging es ihr im Einigungsprozess auch um Selbstbewusstsein und Gleichberechtigung unseres Gestaltungsansatzes.

Nicht zuletzt hat Christa Luft den entscheidenden Beitrag geleistet, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung ab 1999 Mittel aus dem Bundeshaushalt bekam.

Endlose Verhandlungen wurden mit den Obleuten im Haushaltsausschuss Hans-Georg Wagner und Oswald Metzger geführt. Tonnen von Papier wurden ihr beschrieben, immer neue Ausflüchte der anderen Fraktionen entkräftet. Beweise beigebracht, wie die Finanzierung der anderen Stiftungen erfolgte.

Aber auch und nicht zuletzt ihr hervorragender Ruf als kompetente Fachpolitikerin und ihre konstruktiven Beiträge zur Haushaltspolitik haben schließlich dazu geführt, dass den „Jungs“ schlicht nix mehr einfiel. Und so gab es dank Christa Luft erstmals Mittel aus dem Bundeshaushalt.

Heute leistet die Luxemburg- Stiftung einen bedeutenden Bildungsbeitrag und ist aus der politischen Bildungsförderlandschaft nicht mehr wegzudenken.

Insofern wirken deine Leistungen bis heute nach. Das kann nicht jede Politikerin oder jeder Politiker von sich sagen. Die Reihe der „unbekannten Abgeordneten“ ist lang.

Ich habe Dich erst nach der Wende kennen gelernt. Wär ich zum Volkswirtschaftsstudium nicht nach Halle gegangen, dann hätten sich unsere Wege sicher weit früher gekreuzt. Aber auch die Zeit nach der Wende hat gereicht, um bei mir und vielen anderen eindrücklich in Erinnerung zu bleiben.

Du hast dich selbst 1990 als „Ein bißchen stur, ein bißchen kühl, in der Regel ganz verlässlich.“ beschrieben.

Mit einer solchen persönlichen „Performance“ wie man heute neudeutsch sagt, muss man dafür dann mit ganz starken Inhalten und einer ganz starken Persönlichkeit punkten.

Und das ist es auch, was dich auszeichnet und weshalb dir so viele mit Hochachtung und Wärme begegnen.“