200 Millionen Euro Fördermittel für die Industrieriesen?

 TOP 30) Industrie 4.0 – Forschung, Entwicklung und Bildung für die Digitalisierung der Industrieproduktion (Drs. 17/13889)

– Rede zu Protokoll –

Das Internet wird von unserer Bundesregierung oft ambivalent betrachtet. Mal ist es der Hort von Kriminalität und massenhaften geistigen Diebstahls, mal das Werkzeug von Geheimnisverrätern. Der Breitbandausbau stockt, die Netzneutralität steht unter Druck, die Vorratsdatenspeicherung hingegen boomt.

Eine groß angelegte Initiative dieser Bundesregierung für das Internet gibt es jedoch: Industrie 4.0.

Industrie 4.0 – selbst wir Abgeordneten im Ausschuss für Bildung und Forschung wussten fraktionsübergreifend mit dem Begriff nichts anzufangen, als er uns dort das erste Mal begegnete. Das verwundert nicht, ist er doch ein Kunstbegriff der heute zugrunde liegenden Initiative von mehreren Industrieverbänden und orientiert sich an den historischen Stadien industrieller Revolutionen. In der Innovationsforschung spielte der Begriff bisher keine Rolle, im Ausland existieren zum Teil auch andere Begriffe für die Digitalisierung der Produktion.

Mit diesem uns hier vorliegenden Antrag wird nun auch im Parlament verhandelt, was geradezu als Lehrstück der klassischen Industrieförderung der Bundesministerien für Wirtschaft und für Forschung gelten kann. Wie Unternehmen und Verbände Forschungspolitik machen, wird bereits am Setting des so genannten Foresightprozesses sichtbar. Es waren die Verbände der IT-Branche wie BITKOM und der Maschinenbauer, namentlich der VDMA sowie der Elektroindustrie, ZVEI, die die Agenda für ein Förderprogramm zur Digitalisierung des Maschinen- und Anlagenbaus diskutierten. Neue Anwendungsmöglichkeiten für vernetzte IT-Lösungen in der industriellen Fertigung sollten geschaffen werden. Sowohl die IKT-Branche als auch die Ausrüster und Maschinenbauer versprachen sich davon einen neuen Innovationsschub und Weltmarktvorteile. „Cyber-Physical-Systems“, kurz CPS, also vernetzte Aggregate und Systeme wurden von den Verbänden als industriepolitischer Trend der Zukunft ausgemacht. Und ohne Zweifel kann und wird das Internet auch die Produktionsprozesse von Gütern massiv verändern. Bereits bei der Logistik von Rohstoffen und –bauteilen können RFID-Chips und Sensoren ganz neue Informationen über Transportwege und Lieferbedingungen senden. Die On-Demand-Fertigung lässt sich mit automatisierter Echtzeit-Koordination neu aufstellen. Die Verzahnung von IT-Technik etwa in der Vermessung mit 3D-Scannern mit dem Produktionsprozess könnte auch die Qualitätsprüfung vereinfachen und effektivieren. Der Softwareanteil in klassischen Industrieprodukten wie etwa Autos oder Haushaltsgeräten steigt generell und erfordert neue Wege der Produktentwicklung. Klar, dass solch eine Infrastruktur auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt, auf benötigte Qualifikationen und Arbeitsformen hat. Dieser Bereich, von Arbeit und Ausbildung, ist denn auch der einzige, in welchem die Beraterphalanx aus Unternehmen, Verbänden und Instituten durchbrochen wurde. Eine Vertreterin der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Ingrid Sehrbrock vom DGB, durfte in dem Arbeitskreis mitarbeiten, eine Kollegin von der IG Metall mit am Schlussbericht schreiben.

Wir finden, dass diese Zusammensetzung der Beratung eine gewisse Einseitigkeit in Politikberatung bedingt. Denn um Politikberatung ging es den Verbänden ja. Das zeigt auch die Hightech-Strategie, bei der Industrie 4.0 als ein Zukunftsprojekt benannt wird. Die Bundesregierung hat sich denn auch großzügig gezeigt und 200 Millionen Euro Fördermittel versprochen. Das ist kein Pappenstiel, etwa wenn wir es einfach mal in Relation zu den 100 Millionen Euro Soforthilfe für die Hochwasseropfer sehen.

Wir müssen auch aus der Sicht der Forschungs- und der Haushaltspolitik fragen: ist dieses Geld gut und nachhaltig investiert? Wenn man sich die Liste der beteiligten Unternehmen – BASF, Bayer, BMW, Bosch, Daimler, SAP, Siemens, Hewlett-Packard, Telekom, Trumpf Maschinen und viele weitere – und die Gegenstände der Förderung ansieht, können einem da Zweifel kommen. Bereits die Milliardenförderung für die Elektroautos krankt daran, dass kein gesellschaftlicher, sondern eine unternehmerischer Blickwinkel bestimmend bei der Prioritätensetzung war. Mit dem Erfolg, dass mit den Fördermitteln weitgehend erfolglos an den tatsächlichen Marktbedingungen vorbei entwickelt wurde. Im Klartext: die Zukunft, die Unternehmensverbände als Zukunft beschreiben, dient vielleicht mehr der Aquise öffentlicher Förderung als der Vorhersage der einer von vielen Faktoren bestimmten Entwicklung und der Vorausschau auf gesellschaftliche Erfordernisse.

Die genannten Unternehmen nagen zudem nicht am Hungertuch. Welche Rolle soll die öffentliche Hand hier überhaupt spielen? Gehört es nicht zur Kernaufgabe solcher globalen Player, ihr Innovationsgeschäft selbst zu finanzieren?

Wenn hier Millionen von Fördergeldern in die Modernisierung der Industrie investiert werden sollen, dann müsste der Ansatz aus unserer Sicht wesentlich breiter gewählt werden. Der Bereich der Arbeit und der Beschäftigten sollte deutlich ausgebaut werden, der uns hier vorliegende Antrag der Koalition legt zu Recht einen Schwerpunkt darauf. Muss der Entgrenzung von Arbeitszeiten selbst eine Grenze gesetzt werden? Ist eine Selbstausbeutung zu befürchten, wenn industrielle Prozesse mit Smartphones gesteuert werden können? Wo und wie drohen Überwachung und Sanktionierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn jedes Produkt seinen Produktionsprozess an zentrale Server sendet? Welchen Schutz privater Daten brauchen wir in einer virtualisierten Fabrik? Wie können wir das Internet gegen die Entfremdung von Arbeitsprozessen einsetzen? Wir meinen, diese Fragen sollten Gegenstand der öffentlichen Forschungsförderung sein.

Auch die Maßnahmen zum zusätzlichen Ressourcenverbrauch einer solchen vernetzten Fabrik bleiben äußerst dünn, was sicher durch eine Verbreiterung des Beratergremiums behoben werden könnte. Zur umweltverträglichen Modernisierung der Industrie hätte die Expertise von Umweltverbände und entsprechenden Forschungseinrichtungen sicher etwas beitragen können. Auch die Frage von Verkehr, Logistik und regionalräumlicher Entwicklung wäre im Zusammenhang mit Industriestandorten von Interesse gewesen. Die Vernetzung von Kleinen und Mittleren Unternehmen wäre gerade in Deutschland mit seinem vielfältigen Mittelstand Thema gewesen. Ebenso das Zusammenspiel mit den immer wichtiger werdenden Dienstleistungen. Und nicht zuletzt fehlen Genderperspektiven in der Politikberatung, wenn von 37 Mitgliedern des Arbeitskreises ganze drei weiblich sind.

Fazit:

Diese Initiative zur vernetzten Fabrik ist ein spannendes Projekt der Industrie. Die Politik sollte jedoch in Augenhöhe ihre eigenen Akzente und Anliegen zur Modernisierung der Industrie formulieren.