Diese Diätenerhöhung ist nicht angemessen

TOP 16a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes, Drucksache 18/477; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Drucksache 18/619; Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung, Drucksache 18/620

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung, Drucksache 18/476;  Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), Drucksache 18/607

Guten Morgen, meine Damen und Herren!

Dass wir den Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes bereits eine Woche nach der Einbringung beschließen, hat nicht wirklich etwas mit politischer Effizienz zu tun.(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Doch!)Genau genommen wollen Sie den Gegenstand „Abgeordnetenentschädigung“ quasi wie eine heiße Kartoffel ganz schnell loswerden.Ich will noch einmal daran erinnern ‑ mein Kollege hat es schon angesprochen ‑: Es hat eine Expertenkommission fast eineinhalb Jahre an Empfehlungen zur Reform des Systems „Abgeordnetenrecht“ gearbeitet. Sie hat 17 Sitzungen abgehalten.(Thomas Oppermann (SPD): Gründlich vorbereitet!)Am Ende ist ein umfangreicher Bericht vorgestellt worden. Über diesen Bericht haben wir hier und in den Ausschüssen nie im Einzelnen geredet. Er hat bei der Anhörung eine Rolle gespielt ‑ das ist wohl wahr ‑; das reicht aber nicht; das ist unangemessen.(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Meine Damen und Herren, die Große Koalition hat außer einem mittelschweren politischen Erdbeben noch nichts ausgelöst, auch keines ihrer Großvorhaben. Aber die Änderung des Abgeordnetengesetzes rauscht jetzt innerhalb einer Woche ganz schnell durch den Bundestag, quasi wie durch ein Wurmloch, während andere Gesetzesvorhaben monatelang quasi scheintot in den Ausschüssen schmoren. Mit diesem Verfahren nehmen Sie auch der Öffentlichkeit die Chance, sich kritisch dazu zu verhalten oder eben auch sich einzumischen. Dabei bedarf aus unserer Sicht gerade ein so hochsensibles Thema einer öffentlichen Mitsprache und einer öffentlich transparenten Darstellung.(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ja, was machen wir denn gerade?)Auch davon leitet sich Akzeptanz ab.(Beifall bei der LINKEN)Meine Damen und Herren, das Grundgesetz spricht von angemessener, die Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Was angemessen ist, wird natürlich je nach konkreter persönlicher sozialer Situation unterschiedlich bewertet; darüber sind wir uns hier klar, und das sollten wir vor allem auch nicht ausblenden. Selbst wenn das Richtergehalt hier mehrheitlich als Richtgröße hingenommen wird, so muss man sich doch die Frage stellen, ob das Angleichungstempo angemessen ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir meinen, eine Erhöhung um 830 Euro, also um 10 Prozent innerhalb von konkret sieben Monaten, das ist schon ziemlich drastisch. Ich glaube, man findet keine Berufsgruppe, die eine solche Steigerung verbuchen kann.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Doch!)

Dieser Prozentsatz, finden wir, passt einfach nicht in eine Gesellschaft, in der für die Masse der Beschäftigten die Reallöhne seit 2000 stagnieren, während unsere Bezüge seit 2000 eine Steigerung um 25 Prozent erfahren haben. Meine Damen und Herren, es ist kein Opfer, im Bundestag zu sitzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Wenn man euch anhören muss, schon!)

So forsch Sie nun die Diätenerhöhung angehen, so schaumgebremst sind Sie bei Veränderungen der Altersversorgung. Es gab nicht wirklich ein Signal an irgendeiner Stelle, dass Sie bereit sind, das bestehende System infrage zu stellen. Sie balsamieren mit dieser Gesetzesänderung das bestehende beamtenrechtsähnliche Modell. Die Änderungen sind, wenn man es genau nimmt, eigentlich eher kosmetischer Natur. Da besteht der Leistungsanspruch etwas später, da liegt das Leistungsniveau etwas niedriger, während man durch die Diätenerhöhung schon einen spürbaren Verlustausgleich feststellen kann. Auch ein Rentenanspruch in Höhe von 65 Prozent, berechnet auf unsere Diät, selbst wenn dieser erst nach 26 Jahren bestehen soll, steht immer noch in einem krassen Widerspruch zum Rentenanspruch der Masse der Bevölkerung, der ja bis 2030 nach Ihren Beschlüssen auf 43 Prozent reduziert werden soll.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort Armutsrente gehört mittlerweise zu unserem alltäglichen Wortschatz. Wir haben immer die Position vertreten, dass Abgeordnete und alle anderen Menschen mit Erwerbseinkommen in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollten. Damit ist dann eben nicht nur den öffentlichen Systemen geholfen, sondern dann würden vielmehr eben auch ‑ Sie haben ja von der Vergleichbarkeit der Abgeordneten mit allen anderen im Land gesprochen ‑ Maßstäbe wieder gerade gerückt.

Fazit: Eine echte Reform des Abgeordnetenrechts wäre dringend notwendig gewesen. Die Große Koalition hat aber nun mit ihrem Turboverfahren diese Chance auf Jahre vertan; denn es ist klar, dass dieses Gesetz über Jahre Bestand haben wird. Ich und meine Fraktion, vielleicht auch die Öffentlichkeit, haben gelernt: Große Koalition bedeutet nicht automatisch großer Entwurf.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Stimmt! Automatisch nicht!)