Steuerliche Forschungsförderung bietet dem Mittelstand zu wenig Vorteile

 

TOP 20) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kerstin Andreae, Kai Gehring, Dr. Thomas Gambke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU-Forschungsförderungsgesetz); Drucksache 18/7872

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Alle Jahre wieder!“, möchte man fast ausrufen.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das Gesetz ist neu!)

So wie Ostern als Auferstehungsfest über uns kommt, so feiern wir im Bundestag immer mal wieder in einer Debatte die Auferstehung der steuerlichen Forschungsförderung, und zwar dank diverser Verbände, beispielsweise des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, die trotz der bisherigen Absage immer wieder Lobbyarbeit betreiben, nur eben nicht für den Forschungsmittelstand, sondern vor allem für die großen Unternehmen. Diesmal haben sich sogar die Bündnisgrünen die Mühe gemacht, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Ich verstehe es, ehrlich gesagt, nicht ganz. Denn eigentlich ist aus anderen Debatten längst klar, dass die Unionsfraktion es eben nicht nur wie Sie auf den Mittelstand begrenzen will, sondern dass es eben auch für die großen Unternehmen gelten soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Dann kann es sein, dass Ihr guter Vorschlag oder Ihr gut gemeinter Vorschlag zu Ostern ein sehr faules Ei wird.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Bevor ich nun zum Gesetzentwurf selber etwas sage, will ich die Grundsatzfrage ansprechen: Erreicht diese Form der Förderung überhaupt das, was Sie wollen? Der Steuerbonus auf FuE-Kosten soll quasi über einen staatlichen Zuschuss private Investitionen anregen. Sehen wir uns die Erfahrungen im Ausland an. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat verglichen, welche OECD-Länder in welcher Höhe Steuerzuschüsse gewähren. Es hat dann auch gezeigt, wie sich nachfolgend die Investitionen der Unternehmen in Forschung und Entwicklung gestaltet haben.

Nun zu den Ergebnissen. Ich betrachte zunächst einmal die volkswirtschaftliche Ebene. Da gibt es keine eindeutigen Wirkungen. Ein hoher Steuerbonus bringt nicht automatisch Wachstum privater FuE-Investitionen. In Ländern wie Österreich, Japan und Südkorea wird ein hoher Anteil über Steuern gefördert und bewirkt private Investitionen. In Japan jedoch kann derzeit kein spürbares Wachstum mehr nachgewiesen werden. Andere Länder wickeln ebenfalls einen sehr hohen Anteil ihrer Forschungsförderung über Steuern ab. Dort aber stagniert die FuE-Tätigkeit der Unternehmen auf niedrigem Niveau, oder sie sinkt sogar, beispielsweise in Kanada, Großbritannien oder Frankreich.

Schließlich gibt es Länder, die keine steuerliche Forschungsförderung realisieren. Dennoch nehmen sie Spitzenplätze bei der FuE-Intensität ein, beispielsweise die Schweiz oder eben auch Deutschland und lange Jahre auch Finnland und Schweden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zeigt nun, dass es lediglich ein Land und damit eine Volkswirtschaft gibt, in dem eine deutliche Steigerung der Steuerzuschüsse eine ebenso deutliche Steigerung der privaten Investitionen in Innovationen gebracht hat, nämlich Österreich, also ein einziges Land. Daraus folgt: In allen anderen Ländern lässt sich dieser Zusammenhang direkt nicht nachweisen.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daraus folgt, dass diese Studie fragwürdig ist!)

Das sollten wir auf der Rechnung haben, wenn wir über Steuergeschenke in Milliardenhöhe reden.

(Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sollten die Studie kritisch betrachten! – Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine einzige Studie von einer einzigen Person!)

Nun zu der zweiten Betrachtungsebene – das eben war die volkswirtschaftliche Ebene; kommen wir jetzt zu den Unternehmen -: Untersucht man einzelne Unternehmen nach Effekten von Steuerboni, zeigt sich: Ja, die Unternehmen investieren mehr, wenn es einen Steueranreiz gibt. Aber sie bieten in etwa nur das auf, was der Staat gegenfinanziert. Das heißt also, wenn sie 1 Euro Steuererstattung erwarten können, dann investieren die Unternehmen etwa genau diesen 1 Euro in Forschung und Entwicklung. Das ist eine Förderquote von 100 Prozent. Gute Deals für die öffentliche Hand, meine Damen und Herren, müssen aus unserer Sicht anders aussehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Peter Hintze:

Frau Kollegin, der Kollege Dr. Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, möchte eine Zwischenfrage stellen. Darf er das?

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Ich will versuchen, sie zu beantworten.

Vizepräsident Peter Hintze:

Bitte schön, Herr Dr. Gambke.

Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Kollegin, es tut mir leid, dass ich noch eine Zwischenfrage stellen muss. Aber ich muss sie stellen, weil Sie eben gesagt haben: Es gibt in der Tat Untersuchungen, die belegen, dass jeder Forschungs-Euro, der als Förderung bereitgestellt wird, die eigenen Aufwendungen der Unternehmen reduziert. – Das aber ist leider wenig untersucht worden. Es gibt eine Untersuchung – sie wurde am ZEW in Mannheim durchgeführt -, die genau besagt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen, die gefördert werden, auf jeden Euro Förderung 30 Cent drauflegen und die großen Unternehmen den 1 Euro, den sie bekommen, in der Tat als Subvention ihrer eigenen Forschungstätigkeit nehmen. Insofern: Es gibt diese Untersuchung.

Ich weise noch einmal darauf hin – übrigens auch mit Blick auf Ihre Bemerkungen zu Kanada und Frankreich -: Wir konzentrieren uns hier auf kleine und mittlere Unternehmen. Wenn Sie – so wie ich als Mittelstandsbeauftragter – dort unterwegs sind, werden Sie sehen, dass die Förderung genau da ansetzen muss. Also noch einmal: Es gibt die Untersuchung, die zeigt, dass die Förderung gerade von kleinen und mittleren Unternehmen angenommen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Ja, so ist das mit Studien. Das ist bei den Forschungsmittelständlern nicht durchgängig so. Dass es bei den großen Unternehmen so ist, wissen wir schon seit langer Zeit. Aber Sie beziehen sich in Ihrem Gesetzentwurf ja ausdrücklich auf kleine Forschungsmittelständler und kleinere Unternehmen.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eben!)

Wir wissen doch ganz genau: Wenn wir hier im Haus eine solche Debatte führen, werden wir auch darüber reden müssen, dass das nicht auf Mittelständler beschränkt bleibt.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist so um die Ecke gedacht!)

– Ja, Frau Andreae, Sie können ja dieser Meinung sein; auch ich kann dieser Meinung sein. Aber dann kam der Redner der Union daher und sagte: Nein, wir reden auch über den anderen Teil der Volkswirtschaft.

(Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Richtig! – Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja, die Rede war sowieso komisch!)

– Sie hören es doch: „Richtig!“ sagt er.

(Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Ja, weil es richtig ist, Frau Kollegin!)

– Ich lasse mir ja ungern von Ihnen recht geben, aber in diesem Falle ist es dann doch so.

(Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Es gibt in Sachsen-Anhalt auch ein paar Industriebetriebe, die Arbeitsplätze schaffen, Frau Kollegin! Auch in Sachsen-Anhalt!)

Also müssen wir tatsächlich über die Frage reden: Wo sind diese Mitnahmeeffekte zu konstatieren?

Drittens: zum Gesetzentwurf. Dieser Gesetzentwurf verlangt eben auch eine Antwort darauf, wo die steuerliche Förderung eigentlich herkommen soll. Die Grünen rechnen in ihrem Gesetzentwurf bei kleinen und mittelständischen Unternehmen mit unter 250 Mitarbeitern mit Steuerausfällen von 770 Millionen Euro.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Das ist schon mal kein Pappenstiel.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Folgt man aber den Industrieverbänden, dann sollen ja, wie gerade schon angesprochen, auch Großunternehmen einbezogen werden. Das bedeutet nach den Berechnungen, dass es sich um eine Größenordnung zwischen 4 und 6 Milliarden Euro handelt. Das wiederum entspricht der gesamten Innovationsförderung des Bildungs- und Forschungsministeriums. Nun kann man sagen: Wenn das zusätzlich kommt, wäre das ja interessant. – Aber ich glaube nicht, dass Herr Schäuble – gerade in der gegenwärtigen Situation – als „Mister Black Zero“ hier tatsächlich 4 bis 6 Milliarden Euro zusätzlich freimacht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Die Länder müssten sich übrigens auch beteiligen!)

Damit gerät die Innovationsförderung über Projekte in Gefahr, weil natürlich im Raum schwebt, dass dann eventuell dort abgesenkt wird. Die Linke will das weder riskieren, noch – auch das will ich ganz klar sagen – wollen wir die Lenkungswirkung, die mit der Projektförderung ermöglicht wird, aufgeben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD) – Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Das hätte uns auch sehr gewundert, wenn Sie die Lenkungswirkung hätten aufgeben wollen!)

– Sie haben das bisherige System geschaffen, Herr Lengsfeld, und das wollen Sie ja auch lenken;

(Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Es ging mir gerade um die Staatslenkung! Von daher wäre das jetzt erstaunlich gewesen!)

ob wir da immer einer Meinung sind, ist eine ganz andere Frage.

Angesichts dieser Kosten ist also nicht verwunderlich, dass der aktuelle Koalitionsvertrag die steuerliche Forschungsförderung diesmal überhaupt nicht enthält. Sie ist zu teuer, und ihre Wirkung ist zu unsicher. Viele Forschungsmittelständler, die bisher Projektmittel bekommen haben, befürchten zu Recht, dass dieses bewährte Instrument Federn lassen könnte. Der Verband Innovativer Unternehmen und die Zuse-Gemeinschaft als Stimme des Forschungsmittelstandes verweisen ebenfalls auf den Erfolg bestehender Programme.

Es heißt doch: Never change a winning team. – Mit einem Systemwechsel in der Förderung, der damit einhergehen würde,

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kein Systemwechsel!)

oder auch nur mit einer Schwächung der erfolgreichen Projektförderung schießen wir uns doch hier selber ins Knie. Die Linke will das auf keinen Fall.

(Beifall bei der LINKEN – Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben doch gar keinen Systemwechsel vorgeschlagen! – Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorher haben Sie einen Popanz aufgebaut!)

– Nein, man muss proaktiv denken. Das wissen Sie doch, Herr Gehring.

(Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das mache ich doch schon!)

Bei der Projektförderung fließt nicht nur Geld, sondern erfolgt auch eine hilfreiche Beratung; sie hilft bei Vernetzungen. Daher ist es doch allemal besser, das bestehende System weiterzuentwickeln und zu qualifizieren.

Als Argument pro Steuerbonus wird immer wieder angeführt, das sei unkompliziert, das könne man relativ schnell leisten. Umgekehrt wird der Vorwurf gemacht, die Projektförderung sei zu kompliziert. Der Steuerbonus wird mit der Steuerabrechnung ausgezahlt. Ich habe es hier schon einmal gesagt: Genau an diesem Punkt werden sich die kleinen und mittelständischen Unternehmen mit ihren Finanzämtern streiten, weil sie genau abgrenzen müssen, welche Mittel dafür vorgesehen sind.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb macht das ein Forschungszentrum in Jülich!)

Ich teile Ihren Ansatz ausdrücklich nicht, weil er sich nicht umsetzen lässt. Sie werden an dieser Stelle mit dem Finanzministerium und mit den Finanzämtern keine Einigkeit herstellen. Die wollen das penibel vorgerechnet und abgegrenzt haben. Wenn dann nach drei Jahren, in denen das Unternehmen den Steuerbonus bekommen hat, der Tiefenprüfer kommt und sagt, dass sich das nicht genau abgrenzen lässt, dann hat es ein Problem, weil es den Steuerbonus zurückzahlen muss. Das funktioniert in der Praxis eben nicht. Damit geht das trotz guter Absicht den Bach herunter.

Mit der steuerlichen Forschungsförderung – ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Argument – fließt das Geld im Übrigen erst im Nachhinein. Das heißt, die Unternehmen wissen nicht genau, ob sie das Geld wirklich einrechnen können. Auch hier bleibt eine erhebliche Unsicherheit, und diese Unsicherheit wollen wir nicht.

Außerdem müssen die Unternehmen in Vorleistung gehen. Worüber diskutieren wir denn gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen? Ihre Eigenkapitaldecke ist ziemlich dünn. Sie müssen in Vorleistung gehen und mit den Banken verhandeln. Eine Niedrigzinsphase ist nicht besonders günstig, um ein starker Geschäftspartner für die Banken zu sein. Die Absicherung der Risiken können die kleinen Unternehmen meist nicht im geforderten Maße sicherstellen. Das bedeutet, dass am Ende sowohl die Unternehmen als auch ihre Standorte geschwächt werden, und auch das wollen wir als Linke nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Mittelständler werden im Übrigen nicht durch einen Steuerbonus von 10 Prozent, 15 Prozent oder auch 20 Prozent konditioniert. Wir brauchen vor allem Netzwerke mit Universitäten und Forschungseinrichtungen; das ist gerade gesagt worden. Daneben brauchen wir eine Förderung im Umfeld der Markteinführung. Hierfür gibt es viel zu wenige Ansätze. Darauf sollten wir uns stärker konzentrieren.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat folgendes Fazit gezogen – ich zitiere wörtlich -: „Steuerliche Forschungsförderung ist ein stumpfes Schwert“. Lassen Sie uns also das bestehende System qualifizieren. Sozioökologische Perspektiven brauchen nämlich verlässliche Laufzeiten, eine verlässliche Finanzierung und, wie Herr Brinkhaus gesagt hat, selbstverständlich auch verlässliche Strukturen in den Rahmenbedingungen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)