Ausschüsse sollen öffentlich tagen!

TOP 19: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE. sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

hier: Ausschussöffentlichkeit (Drucksachen 18/3045, 18/8299)

 

– Rede zu Protokoll –

 

Was haben Bayern, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, andere europäische Länder und die Europäische Union gemeinsam? Die Fachausschüsse der Parlamente tagen öffentlich. Neun von sechzehn Bundesländern und das wichtigste Gremium der Europäischen Union lassen Bürgerinnen und Bürger an den Beratungen ihrer Fachgremien teilhaben. Nichts deutet darauf hin, dass der politische Prozess in diesen neun Bundesländern, aber auch im Europäischen Parlament an seiner Qualität verloren hätte – im Gegenteil. Sind es doch häufig gerade die Fachöffentlichkeiten, die Interesse an vertieften Debatten zeigen und die Entscheidungsfindung zu „ihren“ ganz speziellen Themen nachverfolgen wollen. Und wenn Fachleute ihre Ideen und Hinweise, ja natürlich auch ihre Interessen in einen solchen Prozess einspeisen, dann kann ihm das nur gut tun.

Im Grundgesetz steht im Artikel 42 ein einfacher Satz: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben den Grundsatz der Öffentlichkeit als konstituierendes Element des parlamentarischen Prozesses in der Verfassung verankert. Wir sind dafür, diesen Grundsatz auf den Bundestag als Institution, nicht nur auf das Plenum des Bundestags zu beziehen. Bereits im Satz 3 des genannten Artikels wird auf öffentliche Sitzungen der Ausschüsse verwiesen. Auch das Bundesverfassungsgericht geht selbstverständlich davon aus, dass Bürgerinnen und Bürger Einblick in die Arbeit der Ausschüsse nehmen können müssen. Aber natürlich müssen wir die Frage, ob wir die Öffentlichkeit als Regelfall für unsere Ausschusssitzungen formulieren, am Ende politisch entscheiden.

Bereits zu Beginn dieser Legislatur hat sich unsere Fraktion bei der Konstituierung der einzelnen Ausschüsse dafür eingesetzt, dass diese in der Regel öffentlich tagen. Dieses wurde von der Koalition in allen Ausschüssen abgelehnt – auch in einem Ausschuss wie dem für die Digitale Agenda.

Das immer wieder vorgebrachte Argument, nur hinter verschlossenen Türen sei eine unvoreingenommene Meinungsfindung des Parlaments möglich, trägt angesichts der jahrelangen, erprobten Praxis in anderen Parlamenten nicht. Es ist auch einfach realitätsfremd: Positionen der Fraktionen werden in der Regel vor den Ausschussberatungen in entsprechenden internen Fraktionsrunden erarbeitet und bei den parlamentarischen Beratungen nicht mehr grundlegend verändert. Falls mir eine Kollegin oder ein Kollege der Koalitionsfraktion aus dem Stand ein Beispiel nennen kann, bei dem er oder sie zwanglos dem besseren Argument der Opposition gefolgt wäre und sich im Ausschuss hat umstimmen lassen, der melde sich jetzt!

Das zweite zentrale Argument der Koalition, nur in geschlossen tagenden Ausschüssen sei eine Kompromissfindung quer über die Parteigrenzen hinweg leichter möglich, trägt aus unserer Sicht ebenfalls nicht. Dieses Argument geht von einer Dualität von Regierung und Parlament aus. Faktisch arbeiten die Regierung und die sie tragenden Fraktionen sehr eng zusammen. Oppositionsinitiativen werden so gut wie nie angenommen – auch nicht in Ausschüssen. Es sind eben nicht die Ergebnisse unserer Entscheidungsfindung, die Widersprüche kenntlich machen, sondern der Beratungsverlauf.

Das Vertrauen in politische Prozesse sinkt. Uns PolitikerInnen werden allzu oft Mauschelei und das Handeln aus sachfremden Motivationen, etwa Eigen- oder auch Parteiinteressen, unterstellt. Wenn wir eine neue Legitimation für das Parlament, für unsere Entscheidungen als Abgeordnete finden wollen, dann sollten wir Bürgerinnen und Bürger mehr als bisher an diesen Entscheidungen beteiligen. Dazu gehört das Nachvollziehen des Beratungsverlaufs; dazu gehören aber auch all die vertieften Informationen, die die Regierung nur den Ausschüssen zur Verfügung stellt. Gutachten, Stellungnahmen, Berichte der Bundesregierung für die Fachausschüsse – all dies war bisher zumeist nicht öffentlich, obwohl es maßgeblich zur Entscheidungsfindung beitrug. Auch diese Dokumente wollen wir in die Freiheit entlassen, damit sie zur Aufklärung und zur Kontrolle unserer Arbeit und der der Bundesregierung beitragen können.

Angesichts des Umfangs an Ausschussberatungen samt Vorlagen und Protokollen kam in den Debatten auch das Argument auf, diese Fülle überfordere die Bürger. Ich antworte mit einem Zitat des Sachverständigen Prof. Bernhard Wegener aus unserer Anhörung: „Ich denke, wir können und müssen dritten Personen die Ausschussöffentlichkeit zumuten. Soweit ich weiß, gibt es ja keine Pflicht hier zu erscheinen.“ Nein, es ist ein Angebot der Transparenz an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Annehmen müssen sie es dann selbst.