Rede: Nach Anschlag in Halle: Antisemitismus bekämpfen – Nie wieder Faschismus!

118. Sitzung des Bundestages vom 17. Oktober 2019 Vereinbarte Debatte Bekämpfung des Antisemitismus nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Meine Damen und Herren! Ich komme aus Halle. Bis letzten Mittwoch habe ich, wie so viele in Halle, gedacht: Ein Anschlag bei uns? Nein, das ist ausgeschlossen. Wir haben in Halle gerade Oberbürgermeisterwahlen, und in diesen Tagen haben wir, wie andere auch, Wahlkampf gemacht. Ich stand mit Freunden und Unterstützern am Uniklinikum, als die Katastrophen-App der Stadt plötzlich Gefahr signalisiert hat. Es sollte Verletzte gegeben haben; es sollte Tote gegeben haben. Wie Sie sich denken können, waren wir in diesem Moment gelähmt; wir waren völlig fassungslos. Später hat sich dann gezeigt, dass es tatsächlich zwei wehrlose Opfer getroffen hatte: eine Frau, die in Halle von vielen gekannt wurde, sie war eine leidenschaftliche Autogrammsammlerin, und einen junger Mann, der einfach nur Mittagessen war.

Man fragt sich natürlich: Wie konnte das passieren, in Halle, in meiner Stadt? Wir haben eine lebendige, internationale Stadtgeschichte. Wir haben eine Kulturszene, die international ist. Wir haben die Universität, die Hochschulen. Wir haben eine lebendige, weltoffene Stadtgesellschaft. Und wir haben ein breites Bündnis „Halle gegen Rechts“. Und trotzdem: Es gibt auch in dieser Stadt dunkle, es gibt braune Seiten, die wir seit Jahren durchaus erfolgreich bekämpft haben. Wenn beispielsweise in Halle die Identitäre Bewegung marschieren wollte, deren Haus im Übrigen unweit der Synagoge liegt, dann kam sie genau bis vor die Haustür und keinen Schritt weiter.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genau in diesem Haus hatte der Landtagsabgeordnete Tillschneider von der AfD jahrelang sein Wahlkreisbüro. Im Nachbarkreis, in Schnellroda, liegt das rechtsextreme Institut für Staatspolitik vom Vordenker der AfD Götz Kubitschek.

(Armin-Paulus Hampel (AfD): Alles Nazis!)

Da werden die rassistischen, antisemitischen Parolen der AfD bürgerlich ummantelt, und die ganze Führungsriege der AfD geht dort ein und aus; zuletzt Alice Weidel am 20. September. Dort wird vorgedacht und über das Netz verbreitet, was andere Rechtsextreme in die Tat umsetzen. Wenn AfD-Brandner twittert, warum vor Moscheen und Synagogen herumgelungert wird, wenn doch die Opfer Deutsche waren, dann verhöhnen Sie auf eine unglaubliche Weise die Opfer.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, dieser Mann gehört nicht in den Bundestag.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Armin-Paulus Hampel (AfD): Das bestimmen nicht Sie! Das bestimmt der Wähler!)

Dass in diesem Land wieder ein Klima von Angst und Ohnmacht herrscht, ist Ihrer Hetze und Ihrem Menschenhass zuzuschreiben. Wir Demokraten werden das nicht zulassen.

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Synagoge war nicht nur an diesem Tag schutzlos, und das, obwohl der Innenminister und die zuständigen Behörden um die Gefahren gewusst haben müssen. Ich begreife auch bis heute nicht, wie der Innenminister des Landes die Ereignisse ohne den Hauch eines Selbstzweifels über eigenes Handeln bewerten kann. Das macht mich wütend.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen (SPD): Uns auch!)

Aber die Menschen sind mehr denn je zusammengerückt – nicht nur in Halle, sondern auch an vielen anderen Orten sind sie solidarisch zusammengerückt. Das haben die Gedenken an den Tagen danach beeindruckend gezeigt. Wir bieten auch weiter den Nazis unsere Stirn.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dass das Engagement gegen Nazis in den Jahren zuvor immer wieder kriminalisiert, immer wieder diffamiert wurde, ist ein empörendes Versagen deutscher Politik. Wir haben Vereine und Initiativen, die seit Jahren aufklären, bilden, Opfer beraten, kurzum: die das leisten, was staatliche Einrichtungen und Behörden nicht getan haben. Diese Vereine müssen endlich dauerhaft unterstützt werden. Dazu gehört, dass die Bundesregierung endlich aufhört, die Mittel für Programme wie „Demokratie leben!“ zu kürzen. Stocken Sie diese endlich verlässlich auf!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Kuffer (CDU/CSU): Dazu gehört auch, dass Sie endlich aufhören, gewaltbereite Vereinigungen zu unterstützen!)

– Ich wusste, dass das kommt. Genau das ist das Problem in diesem Land.

(Armin-Paulus Hampel (AfD): Denken Sie darüber nach! Da hat der Kollege recht!)

Dass hier der Innenminister als Erster spricht und in den Medien fast nur Innenpolitiker zu Wort kommen, führt mich dazu, folgende Schlussfolgerung hier noch einmal ausdrücklich zu ziehen: Es ist kein sicherheitspolitisches, es ist kein innenpolitisches Thema. Es ist ein gesellschaftspolitisches Thema.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren! Rechtsextreme Strategien, antisemitische Strategien und Strategen sind durchschaubar. Sie, ob getarnt als angebliche Demokraten oder offen rechtsextrem, wollen uns Angst machen durch Gewalt und Worte.

(Armin-Paulus Hampel (AfD): Das müssen Sie gerade sagen!)

Sie wollen, dass wir uns zurückziehen. Sie wollen die Hoheit in unseren Köpfen und auf der Straße übernehmen.

(Armin-Paulus Hampel (AfD): In Ihrem Kopf wollen wir das nicht!)

Ich sage Ihnen: Sie werden sich täuschen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind wach, wir bleiben wach, und wir werden das nicht zulassen. Die deutsche Geschichte hat gezeigt, was nach dem Schweigen kommt. Deshalb sage ich Ihnen ausdrücklich: Nie wieder Faschismus!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)