Ukraine: Warum wir die Aufrüstungspläne nicht unterstützen

Nicht nur die Nacht des Überfalls Russlands auf die Ukraine vom 23. auf den 24. Februar 2022 wird uns tragisch in Erinnerung bleiben. Seit Tagen überschlagen sich Ereignisse und Entscheidungen.

Auch der 27. Februar 2022, der Tag der Sondersitzung des Bundestages und seine Beschlüsse, sind historisch, weil hier eine 180-Grad-Wende in der Verteidigungspolitik Deutschlands vollzogen wurde.

Gegen Ende der Debatte, noch auf der Sondersitzung zum militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine, habe ich nachfolgende Gedanken aufgeschrieben. Sie beleuchten zugleich unsere Ablehnung  zum gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen und den Unionsparteien, die sich bemerkenswert einig waren.

Aufrüstung anstatt humanitärer Hilfe

Ich habe der Rede des Bundeskanzlers sehr aufmerksam und auch mit wachsendem Erschrecken zugehört.

Als Erstes und vorweg, damit ich es nicht vergesse: Er hat nichts zu den derzeit vor dem Krieg flüchtenden Menschen gesagt, nichts zu Hilfen für diese. Ebenso wenig war nichts zu hören zur notwendigen späteren Aufbauunterstützung der Ukraine.

Als Zweites hat er aber sehr viel zu NATO und Aufrüstung erklärt. So soll es die Auflage eines „Sondervermögens“ von 100 (!) Milliarden Euro für die Bundeswehr geben. Und dafür will er das Grundgesetz ändern.

Nur zum Vergleich: Europas Länder geben laut Rolf Mützenichs Rede (Mützenich ist Fraktionsvorsitzender der SPD) insgesamt ca. 200 Milliarden Euro für Militär aus. Und nun will die Koalition 100 Milliarden Euro allein in die Bundeswehr stecken? Man sollte wissen, dass die Bundeswehr in jedem Jahr Ausgabenreste hat – die jeweils beschlossenen Summen im Verteidigungshaushalt wurden nicht ausgegeben. Künftig sollen die bereitgestellten Mittel als Investition betrachtet werden. Bei Bildungs- und Sozialausgaben galt das nie. Was das für sozioökonomische Transformationsprozesse zur Bewältigung des Klimawandels bedeutet, erahnt man. Die Rüstungsindustrie, wo auch immer, sieht dagegen einem Aufschwung entgegen.

Ja, wir haben es mit einer Zäsur der europäischen Nachkriegsordnung zu tun. Aber mit welcher Aussicht, mit welcher Antwort an Russland? Die Aufrüstungspolitik, die Rüstungsspirale und die „nukleare Teilhabe“ des letzten Jahrhunderts, so war vom Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU Friedrich Merz zu hören, sollen wieder reaktiviert werden – bedeutet das die Aufrüstung Deutschlands auch mit Atomwaffen?

All jene Politikerinnen und Politiker, die immer schon einer stärkeren Bewaffnung des Westens das Wort geredet haben, fühlen sich nun ermutigt und kommen wieder mit ihren alten Forderungen auf die Bühne. Einmal mehr reibt sich die Rüstungslobby die Hände. Olaf Scholz hat sogar von mehr als 2 Prozent des BIP gesprochen, die künftig für den Verteidigungshaushalt ausgegeben werden sollen (neben den 100 Milliarden Euro aus dem Sonderfonds). Das tragen demonstrativ CDU und CSU mit, unter Beifall der AfD. Damit erhöht sich der Verteidigungshaushalt um ca. 40 Prozent auf rund 70 Milliarden Euro.

Die Aufrüstungsspirale in Europa muss beendet werden

All das wurde ausgelöst durch Putins Überfall auf die Ukraine. Ja, Putin will die Ukraine „zurückholen“. Auch will er eine neue Weltordnung. Ja, der Krieg ist eine Zäsur, auch für die deutsche Friedensbewegung und für unsere Partei. Linker Internationalismus hat sich immer gegen Kriege gewandt. Wir sehen uns in der Verantwortung für Entspannungspolitik und setzen darauf, noch weitere diplomatische Mittel einzusetzen, Finanzströme zu kappen und Sanktionen zu verhängen. Noch sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

In seiner Rede hat Olaf Scholz den Antrag von Koalition und Union für uns überraschend ausgelegt. Wir hatten zuvor in der Fraktion, noch in Unkenntnis dieser Rede, intensiv überlegt, wie der Antrag auszulegen ist und ob wir uns enthalten oder diesem gar zustimmen können. Nach der Rede des Bundeskanzlers war das jedoch ausgeschlossen. Einer grundgesetzlich festgeschriebenen Aufrüstung Deutschlands können und werden wir nicht zustimmen.

In unserem eigenen Antrag haben wir sowohl Teile der Analyse, Feststellungen und Vorschläge aus eben diesem Koalitions- und Unionsantrag aufgegriffen und fordern:

  • Einwirkung mit allen diplomatischen Mitteln, um sofortige Waffenruhe zu erreichen
  • vollständigen Abzug der russischen Truppen von ukrainischem Territorium
  • politische, wirtschaftliche, finanzielle und humanitäre Unterstützung für die Ukraine
  • Aufnahme Flüchtender und Schutzsuchender aus der Ukraine
  • internationale Ahndung von Kriegsverbrechen
  • keine Waffenlieferungen und Entsendung weiterer Truppen der Bundeswehr, Beendigung der Aufrüstungsspirale in Europa