Arbeiten in der Wissenschaft ist wie ein Tanz auf dem Vulkan

Zusatztagesordnungspunkt 5Fehlende Aktivitäten der Bundesregierung hinsichtlich der Zukunftsängste des wissenschaftlichen Nachwuchses

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Man muss Studien wirklich ernst nehmen und auch lesen können. Und die Studie der HIS GmbH, die Anlass dieser Debatte ist, zeigt eines ganz deutlich: Das Rennen um die Einwerbung zusätzlicher Forschungsgelder, also um die sogenannten Drittmittel, führt zu einer deutlichen Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses an Wissenschaftseinrichtungen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Zwischenzeitlich arbeiten mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf solchen Drittmittelstellen als auf Stellen, die aus den regulären Haushalten finanziert werden. Der wissenschaftliche Mittelbau bzw. Nachwuchs bildet heute die Verschiebemasse in den Haushalten von Hochschulen und Instituten. Die Betroffenen sind quasi zum akademischen Proletariat geworden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ? Zurufe von der CDU/CSU)

Alle bisherigen Studien, auch diese jüngste, zeigen uns: Wer in das deutsche Wissenschaftssystem einsteigt, kann auch gleich auf einem Vulkan tanzen. Es ist nämlich völlig offen, ob man sich halten kann, oder ob man wieder ausgestoßen wird. Wissenschaftliche Dauerstellen ? das haben Sie schon gesagt, Herr Kollege ? im Mittelbau verglühen nämlich immer mehr. Laut HIS-Umfrage haben nur noch 9 Prozent der Befragten an Universitäten und 6 Prozent an außeruniversitären Einrichtungen eine unbefristete Stelle inne. Es dominiert die befristete Beschäftigung. Doch damit nicht genug: Auch die Dauer der Befristung wird ständig eingedampft. Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten hat einen Vertrag mit einer Laufzeit von weniger als 24 Monaten. Ein Viertel der Bezugsgruppe hat einen Vertrag mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr. Dann finden sich noch ganz bizarre Erscheinungen. Uns wird in jüngster Zeit immer öfter von Monats- oder sogar Wochenverträgen berichtet, und das im Wissenschaftsbereich.

Deutschland, ein Land der Ideen, wie Sie es immer so schön sagen? Angesichts dieser Entwicklung kommen Hochqualifizierte nur auf eine Idee: Weggehen, und das lieber heute als morgen. Das tun sie auch in großem Maße. Sie tun das, weil sie mit den Perspektiven ihres Berufs, mit ihrem Einkommen und mit den Ungewissheiten, die solche existenziellen Konkurrenzkämpfe mit sich bringen, unzufrieden sind.

Wie schon gesagt: Das alles ist nicht neu. Zuletzt hat sich der Forschungsausschuss 2009 in einer großen Anhörung damit beschäftigt. Die Erkenntnisse daraus blieben nahezu folgenlos. Was Sie aufgezählt haben, Herr Braun, existiert schon lange. Das sind überhaupt keine originären Leistungen dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Einzige, was Sie nach dieser Anhörung gemacht haben, ist, ein Internetportal zu schaffen, damit man die Stellenvermittlung besser gestalten kann. Ansonsten sehen Sie Ihre Aufgaben der Förderung des Nachwuchses mit der Projektförderung und vor allem mit der Exzellenzinitiative als erledigt an.

Die Exzellenzinitiative löst die Probleme aber nicht, sondern sie verschärft sie weiter. Ich will das kurz erklären. Man hat also, wie Sie schon erwähnt haben, etwa 4 000 Projektstellen in einem hoch spezialisierten Bereich geschaffen. Das ist zusätzliches Personal. Dieses und das bereits vorhandene Personal steuern auf das gleiche Nadelöhr zu. Dahinter liegen die bereits erwähnten höchst seltenen Dauerstellen. Dort aber gibt es, wie wir wissen, keinen Aufwuchs. Deshalb werden von den vielen über die Exzellenzinitiative Geförderten später viele keine Beschäftigung an Hochschulen und Instituten finden. Die Gewerkschaften haben uns früh auf diesen Widerspruch hingewiesen. Schon deshalb hätte weder Rot-Grün die Exzellenzinitiative noch Schwarz-Rot später das Wissenschaftszeitvertragsgesetz beschließen dürfen. Erst dieses Gesetz hat die unbegrenzte Befristung von Drittmittelstellen möglich gemacht.

(Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Wie dem auch sei: Wenn sich mit dieser Debatte eine Chance eröffnet, diese Fehler zu korrigieren, dann sollten wir sie entschlossen nutzen. Tilgen Sie die Fehler im Gesetz; einige sind schon genannt worden. Kippen Sie die Tarifsperre, damit Gewerkschaften und Arbeitgeber aktiv gegen diese miesen Arbeitsbedingungen im Drittmittelbereich vorgehen können. Stellen Sie endlich das Kooperationsverbot ins Abseits, damit das Ausufern des Drittmittelsektors begrenzt werden kann. Stellen Sie die Basisfinanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf sichere Füße. Schließlich ? da kann ich mich meinem Kollegen aus der SPD-Fraktion nur anschließen ?: Legen Sie ein Stellenprogramm von Bund und Ländern vor, damit insbesondere im Postdocbereich, also in der Zeit nach der Promotion verlässliche Beschäftigungschancen angeboten werden können.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)