LINKE will verlässliche Minderheitsrechte für eine kraftvolle Opposition

TOP 7 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der der CDU/CSU und SPD „Änderung der Geschäftsordnung zur besonderen Anwendung der Minderheitenrechte in der 18. Wahlperiode„; Drs. 18/481, 18/997

b) Zweite und dritte Beratung des von  BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Oppositionsrechte in der 18. Wahlperiode; Drs. 18/380; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung; Drs. 18/997

c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE LINKE. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes; Drs. 18/838
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung; Drs. 18/997

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des 1. Ausschusses  zu dem Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. „Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheitenrechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag“; Drs. 18/379, 18/997

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Verhandlungen zu den Minderheitsrechten hier im Bundestag wurde der Opposition immer wieder vorgehalten, dass die Große Koalition ja nun nichts für ihre Wahlergebnisse könne.

(Christine Lambrecht (SPD): Das ist richtig!)

Nebenbei bemerkt: Auch ich bin dieser Meinung.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Katarina Barley (SPD) – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Natürlich können wir was für unsere Wahlergebnisse! Wir können nichts für Ihr Wahlergebnis! Was ist das denn? Sie haben da was verwechselt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Regen Sie sich doch nicht auf!)

– Ich rege mich gar nicht auf; Sie schreien. – Sie lassen uns nun aber wissen, dass diese Wahlergebnisse nicht durch erweiterte oder gar Sonderrechte der Opposition verfälscht werden dürften. Darum ist es uns in den Debatten aber überhaupt nicht gegangen.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Professor Mahrenholz hat da in unserer Expertenanhörung zu den vorliegenden Lösungsvorschlägen sehr klar unterschieden. Er meinte, die aus dem Wahlergebnis resultierenden Mehrheiten entfalteten erst in den Abstimmungen über Gesetzentwürfe und Anträge ihre Wirkung. Das stellt hier überhaupt niemand infrage.

(Christine Lambrecht (SPD): Da haben wir noch mal Glück gehabt!)

Aber vor den Abstimmungen und unabhängig von ihnen haben wir noch eine ganze Reihe anderer wichtiger Aufgaben zu erfüllen. So sind wir als Opposition durch die Verfassung beauftragt, die Regierung zu kontrollieren

(Dr. Katarina Barley (SPD): Das sind wir alle!)

und politische Alternativen aufzuzeigen. Davon sollten sich Interessierte anhand von Rede und Gegenrede zwischen Opposition und Koalition, wie das gerade dargestellt worden ist, selbst ein Bild machen können. Dieses öffentliche Verhandeln, so wie es im Grundgesetz steht, versteht das Bundesverfassungsgericht als wesentliches Element der parlamentarischen Demokratie. Zugleich verweist das Gericht auf die herausgehobene Stellung der Opposition; es hat dies in Urteilsbegründungen mehrfach beschrieben. Darauf haben wir als Opposition, aber eben auch die Bürgerinnen und Bürger ein Recht. Deshalb haben wir, Bündnisgrüne und Linke, gemeinsam Vorschläge in den Bundestag eingebracht.

Was ist den Linken besonders wichtig?

Erstens. Wir wollen, dass die Regelungen in der Rechtssystematik sauber und rechtssicher gestaltet werden. Nun ist es aber so, dass die Geschäftsordnung gegenüber Gesetzen ‑ und erst recht gegenüber dem Grundgesetz ‑ nachrangiges Recht ist. Wenn Sie die Minderheitenrechte ausschließlich über die Geschäftsordnung, wie Sie das beschrieben haben, anpassen,

(Christine Lambrecht (SPD): Nein!)

dann wählen Sie den unsauberen Weg.

Wir erkennen selbstverständlich an, dass in Ihrem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung eine ganze Reihe von Vorschlägen der Opposition aufgenommen worden sind. Aber was ich mich immer wieder frage, ist: Warum gehen Sie diesen Weg nicht konsequent zu Ende? Warum ändern Sie die Gesetze nicht? Warum stellen Sie nicht die Frage, dass die im Grundgesetz niedergelegten Quoren im Widerspruch dazu stehen?

Zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses beispielsweise verlangt das Grundgesetz ganz klar die Zustimmung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages.

(Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nicht! Nur zum Antrag! ‑ Christine Lambrecht (SPD): Nur zum Antrag, genau!)

‑ Lesen Sie es doch nach: ein Viertel der Mitglieder des Bundestages; das ist sonnenklar darin beschrieben. – Wenn dieses Quorum nun gesenkt werden soll, dann muss über eine Änderung der einschlägigen Gesetze, insbesondere des Grundgesetzes, nachgedacht werden. In unserem Gesetzentwurf ist dies selbstverständlich enthalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wir wollen unabdingbare Minderheitenrechte. Diese müssen verlässlich geregelt sein. Wir wollen von keinen Interpretationen oder pseudokreativen Auslegungen der Geschäftsordnung abhängig sein. Besonders heikel erscheint uns das mit Blick auf den Verteidigungsausschuss. Diesem werden im Grundgesetz die Rechte eines Untersuchungsausschusses zugestanden. Über das Minderheitenrecht kann ein Viertel der Mitglieder des Verteidigungsausschusses verlangen, dass dort eine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht wird. Wir Oppositionsfraktionen stellen aber eben nicht ein Viertel, sondern nur sechs der 32 Ausschussmitglieder.

Im Geschäftsordnungsantrag der Koalition steht nun, dass uns die Ausübung der Minderheitenrechte trotzdem ermöglicht werden soll. Ich frage aber: Wie soll das praktisch gehen? Bekanntermaßen ist der Verteidigungsausschuss ein sehr konfliktreicher Ausschuss. Sollen in Zukunft immer zwei Koalitionsabgeordnete ‑ wer auch immer das jeweils sein mag ‑ gezwungen werden, mit uns zu stimmen, um das notwendige Viertel zu erreichen? Was passiert eigentlich, wenn Sie keinen Ihrer Abgeordneten nötigen können, doch mit uns zu stimmen? Das ist das Problem, das wir dabei sehen.

Drittens. Im Unterschied zu allen anderen Fraktionen ist uns Linken die Befugnis zur Normenkontrollklage wichtig. Das wundert mich, dass das nur uns wichtig zu sein scheint, weil es hier ganz konkret um Rechte der Betroffenen von in diesem Haus beschlossenen Gesetzen geht. Bei der Normenkontrollklage ‑ für jene, die das noch nicht wissen ‑ geht es darum, dass Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Wir sind uns natürlich im Klaren, dass man nicht jede Woche eine solche Normenkontrollklage anstreben kann ‑ das haben wir auch nie vorgehabt ‑ und dass das Vorgehen einer gewissen Sensibilität bedarf. Aber wir wollen uns nicht gänzlich dieses Recht nehmen lassen. Die Erfahrungen zeigen ‑ so ist das in der Anhörung gesagt worden ‑, dass die eingereichten Normenkontrollklagen höchst berechtigt waren und dass zum Teil auch Verfassungswidrigkeit von Gesetzen festgestellt wurde.

Die Normenkontrollklage kann nach Expertenmeinung nur durch eine Ergänzung des Grundgesetzes geregelt werden. Als Folge der Anhörung, die wir selber durchgeführt haben, haben wir einen Gesetzentwurf zur Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes eingebracht. Die Koalition lehnt eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes unter anderem deshalb ab, weil auch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht werden könnte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen doch ganz genau, dass dies nicht für Fraktionen gilt, sondern nur für diejenigen, die von einem Gesetz persönlich betroffenen sind. Diese müssen sich im Regelfall durch alle Instanzen der Gerichte klagen, bis die Sache dann nach vielen Jahren unter Umständen beim Bundesverfassungsgericht landet und sie Recht oder eben auch nicht Recht bekommen. Dieser Weg ist, was Umfang, Zeit und Kosten angeht, sehr aufwendig. Deshalb ist uns die Möglichkeit einer Normenkontrollklage so wichtig.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin Sitte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Herr Ströbele? ‑ Ja, klar.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Kollegin, Sie haben gerade erklärt, dass man vor einer Verfassungsbeschwerde immer erst den Instanzenweg gegangen sein muss. Das ist grundsätzlich richtig.

(Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Ja!)

Haben Sie mitbekommen, dass, wenn Herr Gauweiler oder andere gegen europäische Regelungen Verfassungsbeschwerde eingelegt haben, das ohne den Instanzenweg gegangen ist?

(Beifall des Abg. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) ‑ Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Ja!)

Haben Sie mitbekommen, dass das Bundesverfassungsgericht bei solch zentralen Fragen relativ weitzügig entscheidet, Verfassungsbeschwerden zuzulassen, auch ohne dass man vorher als Betroffener dagegen etwa den Verwaltungsrechtsweg eingeschlagen hat?

Als Zusatzfrage dazu. Sie haben vorhin gesagt, man müsse jetzt klären, ob das Grundgesetz hinsichtlich der Normenkontrollklage geändert werden kann. Würden Sie mir auch in diesem Punkt recht geben, dass die Normenkontrollklage, wenn sich eine solche Situation ergibt, durchaus von Fraktionen eingereicht werden kann? Dann müsste das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob sie in diesem Ausnahmefall, wegen der Konstellation im Deutschen Bundestag, möglicherweise doch zulässig ist, entgegen dem Gesetzeswortlaut.

(Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Ja!)

Das wäre nicht viel anders, als wenn Sie jetzt mit Ihrem Wunsch zum Bundesverfassungsgericht gingen, das Recht auf Erhebung einer Normenkontrollklage von der Koalition zugebilligt zu bekommen.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Ich fange mit der zweiten Frage an. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, dass wir, ohne einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht zu haben, beim Bundesverfassungsgericht hätten vorstellig werden können. Wir gehen nach der Rechtsberatung, die wir hatten, davon aus, dass es zumindest einmal im Bundestag eine Gelegenheit gegeben haben muss, über diesen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes zu sprechen. Deshalb gehen wir davon aus, dass das Verfassungsgericht zu uns sagen würde: Liebe Fraktion Die Linke, liebe Grüne ‑ falls die Grünen mit dabei sind ‑, wenn Sie hier eine Normenkontrollklage anstrengen wollen oder ‑ umgekehrt ‑ wenn Sie auf dem Wege einer Organklage nachweisen wollen, dass Ihre Rechte eingeschränkt wurden, dann müssen Sie wenigstens einmal im Bundestag darüber geredet haben. – Das ist unser Ausgangspunkt. Deshalb haben wir nach der Auswertung der Anhörung im Ausschuss gesagt: Wir bringen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes ein. Selbstverständlich kann man keinem Verfassungsrechtler erklären, dass man, wenn man die Quoren bei der Normenkontrollklage ändert, nicht konsequenterweise auch die anderen Quoren ändert. Wir sind einfach nur den Weg zu Ende gegangen. Es obliegt Ihnen, ob Sie sich dem anschließen. Ich würde das begrüßen. Das ist die Antwort auf die zweite Frage.

Helfen Sie mir bitte noch einmal: Was war Ihre erste Frage?

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Instanzenweg! – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Da kann sich Herr Ströbele auch nicht mehr dran erinnern!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

In der Frage ging es um den Instanzenweg, ob das auch direkt geht. Ich habe mich selber darüber gewundert, dass das geht.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Selbstverständlich ist mir das bewusst. Das ist, wenn ich mich recht erinnere, Art. 100 des Grundgesetzes. Ich habe hier aber nur acht Minuten Redezeit. Daher kann ich nicht jede Facette des Rechtsweges beschreiben.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Dank der Zwischenfrage sind es schon mal zwölf Minuten! Fangen Sie mal an!)

Selbstverständlich ‑ das ist völlig klar ‑ ist uns das bewusst. Wir haben das, was bisher dazu gelaufen ist, ja auch ausgewertet.

Ich will eines anfügen: Es ist doch höchst widersprüchlich, wenn eine Landesregierung und die Bundesregierung eine Normenkontrollklage anstrengen können, das aus diesem Haus heraus aber nicht möglich ist. Nun muss man sehen: Wenn Sie als Bundesregierung hier einen Gesetzentwurf eingebracht haben, wenn Sie darüber in den Ausschüssen beraten und das in voller Überzeugung verabschiedet haben, dann werden Sie doch nicht im nächsten Schritt ‑ davon können wir doch nicht ausgehen ‑ vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen, um Ihre eigenen Gesetze zu einer Normenkontrollklage anzumelden. Insofern ist das eher ein Oppositionsrecht, ein Recht, das de facto oft von der Opposition genutzt worden ist.

Wie wichtig Normenkontrolle sein könnte, zeigt sich im Grunde genommen schon jetzt. Herr Kaster hat die Koalitionsvereinbarung angesprochen. Während Sie noch darüber verhandelt haben, haben wir eine ganze Reihe parlamentarischer Initiativen eingebracht. Heute Morgen zum Beispiel haben wir über das Rentenpaket gesprochen. Unsere Anträge hatten im Kern durchgängig das Gerechtigkeitsproblem zum Gegenstand, ob das Mieten waren, die Flüchtlingspolitik, der Mindestlohn oder auch die Renten usw. Jetzt zeigt sich zum Beispiel an diesem Gesetz – wir sprechen von einer Gerechtigkeitslücke -, dass das verfassungsrechtlich vielleicht problematisch sein könnte. Deshalb wollten wir im Zuge dieses Gesamtpaketes über die Möglichkeit einer Normenkontrollklage reden; denn es kann sehr wohl sein, dass an dieser Stelle eine verfassungsmäßige Überprüfung notwendig wird.

Insgesamt: Es ist gut, dass wir es heute endlich beschließen.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das finden wir auch!)

Wir als Linke-Fraktion werden uns enthalten. Denn es wird natürlich eine Geschäftsgrundlage für die nächsten Jahre sein. Das macht nicht gegenstandslos, dass man die Gesetze und das Grundgesetz eigentlich ändern müsste. Aber wir werden das jetzt bereitgestellte Instrumentarium umfassend für unsere Arbeit für unsere politischen Alternativen nutzen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)