Rede: EU-Urheberrecht – Chance für faire Reform vertan

85. Sitzung des Bundestages vom 13.03.2019

Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform auf die Meinungsfreiheit

 

 

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer derzeit versucht, die Folgen der geplanten EU-Urheber­rechtsreform abzuschätzen, ohne bereits knietief im The­ma zu stehen, kann einem fast leidtun. Die einen reden von der Stärkung der Kreativen und der Zähmung der Internetriesen, die anderen von Uploadfiltern und dem Ende des freien Internets. Angesichts von fast 100 Seiten Juristenenglisch ist es vielleicht auch einmal erhellender, zu schauen, wessen Anliegen hier verhandelt wurden.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sind vor allem die Interessen einer Lobby großer Verlage, insbesondere der Musik- und Zeitungsbranche. Diese haben beispielsweise dafür gesorgt, dass das be­reits in Deutschland gescheiterte Leistungsschutzrecht für Presseverlage – allerdings jetzt in verschärfter Form – in Artikel 11 Auferstehung feiert. Insofern werden wie­derum Journalisten und Journalistinnen keine höheren Vergütungen bekommen.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Dass nun Unionsabgeordnete wie beispielsweise Herr Schipanski – der aufs Stichwort kommt –,

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der war schon da!)

den eigenen EU-Abgeordneten in die Parade fahren, ist ein überaus entzückendes Erlebnis für die Opposition, allerdings ist es völlig unglaubwürdig, weil Sie beim Leistungsschutzrecht hier im Bundestag noch tapfer mit­gemacht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Populis­mus!)

Wir verbuchen das unter: Schiss vor Europawahl, #nie­wiedercdu, #niewiederspd.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Populismus!)

Der umstrittene Artikel 13, der Onlineplattformen zum Filtern hochgeladener Inhalte verpflichten soll, stammt ebenso von der Wunschliste großer Medienunter­nehmen wie die Verlegerbeteiligung an Einnahmen von Verwertungsgesellschaften. Damit verlieren wiederum Autoren und Autorinnen bis zu 50 Prozent an Kopierver­gütungen. Dass also diese neuen Regelungen den Krea­tiven zugutekommen, ist einmal mehr nicht zu erwarten. Zwischenzeitlich waren einige Regelungen im Gespräch, die deren Rechte tatsächlich gestärkt hätten, also ihnen beispielsweise Vergütungsrechte für jede Nutzungsform ihrer Werke zugesichert hatten. Aber genau diese sind nun erheblich abgeschwächt worden, und das auf Druck der Verlage. Dass diese ihrerseits kein Interesse daran haben, die Verhandlungsposition von Urheberinnen und Urhebern zu stärken, überrascht in diesem Hause wahr­scheinlich niemanden.

Die Internetwirtschaft hat ihrerseits die Rolle ein­genommen, sich gegen Artikel 13 zur Wehr zu setzen. Nun sind bekanntermaßen Google, Facebook und Co aus gutem Grund keine Sympathieträger. An vielen Stellen wünschte man sich sehr wohl staatliche Durchgriffe, bei­spielsweise bei einer angemessenen Besteuerung. Diese Reform ist aber in diesem Punkt schmerzhaft kurzsichtig. Gerade die großen Monopolisten werden die Reformkos­ten leichter stemmen können als kleine Plattformen, und sie werden bei den Lizenzverhandlungen in weit stärke­ren Verhandlungspositionen sein als alle anderen. Face­book lobbyiert, wie inzwischen bekannt geworden ist, hinter den Kulissen sogar für den Einsatz von Upload­filtern: von Urheberrechtsverletzungen über Hate Speech bis zum Terrorismus. Man sieht also: An dieser Stelle sieht Facebook offensichtlich eine Variante, eine beque­me Möglichkeit, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

Nahezu unsichtbar waren zunächst die Anliegen der­jenigen, die Werke nutzen und rezipieren. Von ein paar Verbesserungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich abgesehen, tauchen diese in dieser Reform überhaupt nicht auf, und sie werden doch von den Verwerfungen durch Artikel 11 und 13 direkt betroffen sein. Sichtbar haben sich diese erst durch ihre großartigen Demonstrati­onen und durch die Petition mit 5 Millionen Unterschrif­ten gemacht, und man kann ihnen dafür nur Danke sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN])

Sie haben verstanden: Ohne massive Ausweitungen von Filtersystemen werden die Reformanforderungen nicht zu erfüllen sein. Mit ihnen werden die jungen Nutzer und Nutzerinnen massiv eingeschränkt werden. Damit ha­ben wir ein freiheitliches Problem in diesem Land, erst recht im Internet. Dass automatisiertes Filtern eben nicht gestattet, erlaubte von unerlaubten Nutzungen zu unter­scheiden, scheint einem Berichterstatter wie Herrn Voss aus der EVP-Fraktion völlig egal zu sein.

Schließlich wird auch für kleine wirtschaftliche Ak­teure das Internet unfreier und unsicherer. Da frage ich gerade die CDU, gerade die SPD: Wo bleibt denn da fai­rer Wettbewerb?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Dominanz einzelner kommerzieller Interessen, maß­geblich der Verlagslobby, hat die Diskussion entgleisen lassen. Selbst wenn der desaströse Entwurf am 23. März 2019 im Europaparlament abgewendet werden könnte, so ist andererseits eine große Chance vertan, ein modernes, zeitgemäßes Urheberrecht auf den Weg zu bringen. Das ist aus unserer Sicht vollkommen verantwortungslos.

(Beifall bei der LINKEN)