Rede: Deutsch als Wissenschaftssprache

137. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 19. Dezember 2019 TOP 18: Antrag der Fraktion der AfD: Deutsch als Wissenschaftssprache erhalten und stärken Drucksache 19/16053

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD sorgt sich also um Deutsch als Wissenschaftssprache. Dies von einer Partei, die seit Jahren alle wissenschaftlichen Studien ignoriert und leugnet, die den menschlichen Anteil am Klimawandel nachweisen.

(Enrico Komning [AfD]: Zu Recht!)

Dies von einer Partei, die Geschlechterforschung für Steuergeldverschwendung hält und deshalb zur Straftat machen möchte.

(Enrico Komning [AfD]: Zu Recht!)

Dies von einer Partei, deren Vertreter im Kultur- und im Forschungsausschuss eine „Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff“ nehmen wollten.

(Michael Theurer [FDP]: Schlechtes Deutsch ist das!)

Meine Damen und Herren, ach, wenn es doch nur ein Indiz dafür gäbe, dass Wissenschaftssprache die Aufnahme- und Erkenntnisfähigkeit der AfD beeinflussen könnte!

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ja, Deutsch war lange Zeit eine wichtige Wissenschaftssprache. Dazu trugen Menschen wie Sigmund Freud, Hannah Arendt oder Albert Einstein bei. Diese wurden jedoch wie viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler antisemitisch verfolgt.

(Enrico Komning [AfD]: Und was hat das mit uns zu tun?)

– Da müssen Sie mal nachdenken.

(Enrico Komning [AfD]: Da sollten Sie mal drüber nachdenken!)

Ihnen blieb nur, vor den Nazis zu fliehen. Auch die Liste deutscher Nobelpreisträger – sie ist hier schon angeklungen – ist lang: Carl von Ossietzky, Albert Schweitzer, Marie Curie – wenngleich sie aus Polen stammt –, Hermann Hesse, Heinrich Böll, Max Planck und Otto Loewi. Keiner von diesen würde sich von der AfD vereinnahmen lassen, um Deutsch als Wissenschaftssprache zu verteidigen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Der Bedeutungsverlust des Deutschen als Wissenschaftssprache – das klang bei Herrn Sattelberger schon an – hat vor allem damit zu tun, dass viele brillante Köpfe Deutschland verlassen mussten.

(Enrico Komning [AfD]: Und immer noch tun! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wegen Ihnen! Die gehen doch wegen Ihnen!)

Infolgedessen mussten sie auch im Ausland publizieren, meist in den USA. So musste beispielsweise Hannah Arendts Schrift zu den Ursprüngen des Totalitarismus oder Adornos „Studien zum Autoritären Charakter“ zuerst auf Englisch erscheinen. Deutsch war auch die Sprache von Besatzern und Massenmördern – nicht verwunderlich, dass sich Überlebende und andere Länder wie beispielsweise die Schweiz sprachlich ausdrücklich von Deutschland absetzten. Wenn Sie sich für die Sprache von Kant, Hegel, Lessing oder Goethe einsetzen wollen, dann lesen Sie vielleicht doch erst mal deren Werke: „Zum ewigen Frieden“, den „West-östlichen Divan“, Goethes Schriften zum Islam oder Christian Wolffs zum Konfuzianismus.

Meine Damen und Herren, Wissenschaft und ihre Sprache leben von geistiger Freiheit und Unabhängigkeit. Die Wissenschaftspolitik letzter Jahre hat aber durchaus auch Gegenteiliges bewirkt. So betrachtet die Bundesregierung Wissenschaftler wettbewerblich, quasi als Standortfaktor. Und in den Zeiten der Globalisierung bleibt vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eben auch nichts anderes übrig, als auf Englisch zu publizieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

(Enrico Komning [AfD]: Ja, weil Sie alle aus Deutschland vertreiben!)

Die Wissenschaft, auf die Gesellschaft ausgerichtet, braucht den Dialog mit der Gesellschaft und in der Sprache dieser Gesellschaft. Danke.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)