Rede: Zur Bilanz von Ministerin Karliczek nach drei Jahren

180. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2020 TOP 1 EPL 30 Bildung und Forschung

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute im dritten Jahr dieser Koalition und nach einem Dreivierteljahr der Coronakrise den letzten Einzelplan von Ministerin Karliczek. Zur Erinnerung: Nach drei Jahren erhalten Studierende – in aller Regel, wenn alle Leistungen erbracht wurden – den Bachelorabschluss. Alle Leistungen erbracht mit Blick auf die Ministerin? Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht bescheinigen, nicht einmal bezüglich Ihrer selbst angekündigten Vorhaben. Ich habe mich immer wieder in den letzten drei Jahren gefragt: Wann fängt diese Ministerin endlich an, zu brennen, wann kommt da mal Leidenschaft, für ihr Ressort zu kämpfen? Ich habe es nicht bemerkt, und Tausende haben die Folgen davon zu tragen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Erstens. Im Sommer sind die neuen Zahlen – es wurde schon angesprochen; man muss es aber noch mal ausdrücklich vertiefen – der BAföG-Geförderten veröffentlicht worden. Von einer Trendwende kann wieder überhaupt keine Rede sein. Wie befürchtet, ist der Kreis der Geförderten wieder geschrumpft: Nur noch 11 Prozent der Studierenden bekommen BAföG. Vorher waren es wenigstens 14 Prozent. Und nur 7 Prozent bekommen überhaupt den vollen Betrag. Das hat zur Folge, dass 69 Prozent der Studierenden nebenbei jobben müssen. Völlig logisch ist, dass infolge der Coronakrise für viele Studierende beim Wegfall der Minijobs sofort die Existenzfrage auftauchte und natürlich auch Reaktionen vonseiten dieses Ministeriums erwartet wurden. Das, was Sie für Studierende getan haben, war – mit Verlaub – zu wenig, es kam zu spät, und es ist nicht attraktiv genug für die Studierenden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Krisenpakete haben Milliarden enthalten. Manches sinnvoll, manches weniger sinnvoll, beispielsweise 10 Milliarden Euro für die Rüstung – weniger sinnvoll –, 9 Milliarden Euro für die Lufthansa – darüber lässt sich streiten. Aber nicht mal 1 Milliarde Euro für 2,9 Millionen Studierende? Das finde ich einen ziemlichen Skandal. Sie lassen jene im Stich, für die Sie eigentlich Mitverantwortung übernommen haben, und das verstehe ich überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Frau Karliczek, Sie haben uns gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit wissen lassen, wie sehr Ihnen die berufliche Bildung am Herzen liegt. Auch hier spürbar: Herzschwäche. Außer kosmetischen Neuerungen ist im Bereich berufliche Bildung gar nichts passiert. Es wurden ein paar Master- und Bachelortitel eingeführt; aber es gab für junge Menschen keine echten Verbesserungen. Viel schlimmer: Die Zahl ausbildender Betriebe ist weiter rückläufig. Sie wäre auch ohne Corona weiter rückläufig; das wissen Sie. Und die finanziellen Coronaanreize, die jetzt eingestellt worden sind, sind für die meisten Unternehmen vollkommen unattraktiv. Hinzu kommt, dass 2 Millionen junge Erwachsene überhaupt keinen Berufsabschluss haben. 2020 hätte also Ihr Jahr für eine Investitionsoffensive, für Ausbildungsförderung für junge Menschen werden können. Aber was ist passiert? Nichts, weit gefehlt, Fehlanzeige! Im Gegenteil: Haushaltstitel, die eingestellt worden sind wie für „Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung“, „Sicherung von Ausbildungen“ oder „Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung“ haben die geringsten Mittelabflüsse. Es ist doch nicht die Zeit, um auf dem Geld hocken zu bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herrn Rupprecht will ich sagen: Wenn Sie mit der Ausbildungsumlage oder -abgabe immer noch so fremdeln, tun Sie mir einfach leid. Die Bauwirtschaft macht das seit Jahrzehnten, und einige Bundesländer haben das erfolgreich im Pflegebereich eingeführt.

(Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])

Insofern: Hören Sie auf, die Ausbildungsumlage zu verteufeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Viel wichtiger wäre jetzt, etwas zu tun. Beispielsweise könnten überbetriebliche Berufsbildungsstätten einen Ausgleich in dieser Zeit schaffen. Frau Ministerin, Zehntausende junger Menschen sind jetzt auf Ihre Unterstützung angewiesen, werden aber genau genommen im Regen stehen gelassen.

(Zuruf des Abg. Albert Rupprecht [CDU/ CSU])

Drittens. Das Gleiche gilt für die Hochschulen und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Über 80 Prozent arbeiten dort mit befristeten Verträgen. Das ist für verlässliche wissenschaftliche Karriereplanung und Leistungshonorierung völlig unakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Jawohl. – Insofern muss ich Ihnen sagen: Wären Sie eine solche, hätten Sie aus unserer Sicht nicht mal die Chance auf einen Anschlussvertrag.

(Beifall bei der LINKEN)