Rede: Sterbehilfe ist Lebenshilfe

223. Sitzung des Bundestages, 21.4.2021, TOP4 Vereinbarte Debatte Suizidhilfe

 

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sterbehilfe ist Lebenshilfe für Menschen, die im Verlaufe ihres Lebens über dessen Ende nachdenken und die eben vorbereitet sein wollen; für Menschen, denen unmittelbar das Sterben vor Augen steht – weiterzuleben scheint ihnen unmöglich, aus welchem Grund auch immer; darüber haben wir nicht zu befinden, und wir haben uns nicht darüber zu erheben -; für Menschen, die andere zeitlebens oder eben auch am Lebensende begleiten und sich mit ihnen zu Sterben und Tod austauschen, ob als Angehörige, Ärzte, Pflegende oder eben Freunde.

Jeder oder jede von uns hegt wohl den Wunsch, dass Sterben keine Qual werden möge. Man möchte einfach im Frieden mit sich selbst gehen, und man möchte sich auch verabschieden können. Wir wissen, wie existenziell wichtig dieser Wunsch gerade in diesen Zeiten ist, um ein Leben in Ruhe zu beenden, wie wichtig das für Familien ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katrin Helling-Plahr (FDP))

Manche nehmen Sterben in Demut hin; aber die Mehrzahl der Menschen möchte doch eher mit der Vorstellung leben, es auch selbstbestimmt entscheiden zu können, möchte es in der eigenen Hand haben. In dieser Hoffnung lassen sich Ängste und Ohnmachtsgefühle sehr wohl abbauen. Das Sterben verliert dann eben auch das Bedrohliche. Damit lässt sich ganz sicher besser leben, und deshalb ist für mich eben Sterbehilfe auch Lebenshilfe.

In diesem Sinne hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, ungerechtfertigte Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht von Menschen auszuschließen. Es geht um Rechtssicherheit für Betroffene, für Angehörige und Ärzte. Seit 2015 bestehen aber unüberwindliche faktische Hürden dafür.

Wir müssen auch die Frage klären, wie der oder die Sterbewillige – nach langem Nachdenken, nach Gesprächen, nach Beratungen und letztlich eben auch einer Entscheidung – legal an ein Medikament kommt.

Maßstab unserer gesetzlichen Regelung, meine Damen und Herren, kann nicht sein, ob der oder die einzelne Abgeordnete hier in diesem Hause selbst Sterbehilfe beanspruchen möchte oder es ausschließt. Maßstab sollten die Wertevorstellungen und Wünsche von Menschen im Land sein, welche das Grundgesetz formuliert und eben auch schützt. Nach diesen Werten und in Würde leben und sterben zu können, dafür haben wir hier so weit Räume zu öffnen, dass niemand an seiner selbstbestimmten Entscheidung gehindert wird oder damit andere in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katrin Helling-Plahr (FDP))

Nicht Misstrauen in die Entscheidungsfähigkeit und in die Entscheidungskraft von Menschen sollte uns leiten; nicht Verbote, sondern ergebnisoffene, auch präventive Angebote sollten ihnen helfen.

Meine Damen und Herren, entscheiden wir uns für gute Suizidprävention, und entscheiden wir uns damit auch für Lebenshilfe.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)