Wissenschaftsfinanzierung aus der Sackgasse holen – Bund-Länderbeziehungen auf eine neue Grundlage stellen

TOP 35) Antrag der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Überprüfung und Neuordnung der Forschungsfinanzierung – Transparente und verbindliche Verfahren sicherstellen – Wissenschaftsgerechte Strukturen weiterentwickeln (Drucksache 17/3864) .

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– Rede zu Protokoll –

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir reden heute über sachfremde Koppelgeschäfte dieser schwarz-gelben Bundesregierung mit einem oder mehreren Bundesländern. Koppelgeschäfte die notwendig werden, weil falsche politische Grundentscheidungen gesellschaftlich gewünschte Anliegen wie eine Erhöhung der Ausbildungsförderung oder den Betrieb einer traditionsreichen Universitätsklinik unmöglich machen.

Die erste falsche Grundentscheidung der letzten Bundesregierungen war die Idee, mit Steuersenkungen ein selbstfinanzierendes Perpetuum mobile zu schaffen. Unbändiges Wirtschaftswachstum sollte die Einnahmeausfälle mehr als ausgleichen, so dass für alle Bereiche eine Win-win-Situation entstehen würde. Dieser quasi-religiösen Glaubenslehre hängt inzwischen nur noch die FDP an, aber in den vergangenen zehn Regierungsjahren haben alle regierenden Parteien diese Idee mit verheerenden Folgen für die Bildungs- und Wissenschaftslandschaft verfolgt. Da bilden leider auch die Grünen keine Ausnahme, die das Problem jetzt hier lautstark beklagen.

Nach Berechnungen des DGB haben die Steuerreformen der rot-grünen, der schwarz-roten und jetzt der schwarz-gelben Koalition die Bundesländer jedes Jahr zwischen 10 und 20 Millarden Euro Einnahmen gekostet, der Bund ist mit Ausfällen in Höhe von 4 bis 21 Milliarden betroffen. Es verwundert kaum, dass Deutschland sich in den Rankings bezüglich der Bildungs- und Forschungsausgaben kaum verbessert – es fehlt schlicht das Geld in den öffentlichen Kassen.

Die zweite verheerende Weichenstellung war die Abgabe fast aller Kompetenzen in Bildung und Wissenschaft an die Bundesländer und die gleichzeitige Festschreibung einer Schuldenbremse für Bund und Länder im Grundgesetz. Auch diese Vorgaben haben mindestens FDP, Union und SPD mitgetragen. Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD unterstützen derzeit sogar die Verankerung einer Schuldenbremse in der hessischen Landesverfassung.

Dieses Entscheidungsgefüge hat das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem in eine Sackgasse manövriert. Als Symbol für diese Sackgasse stehen die gescheiterten Bildungsgipfel des vergangenen Jahres. Die Länderausgaben für Bildung und Forschung stagnieren, viele Bundesländer kündigen Sparprogramme in diesen Bereichen an.  Unterfinanzierte Länderhaushalte sind der Mammutaufgabe einer notwendigen Bildungsexpansion nicht gewachsen. Man kann einem Gewichtheber, der einen Weltrekord reißen soll, vor diesem Kraftakt nicht die Luft abdrücken und die Nahrung verweigern!

Und nun beobachten wir die hilflosen Reparaturversuche des Bundes: manche sind langfristiger Natur wie die Ausweitung der Projektförderung, der Zuweisungen über die DFG oder der zweiten Runde der Exzellenzinitiative. Und manchmal muss die Ministerin ganz kurzfristig einspringen. Etwa wenn die unionsgeführte Landesregierung in Schleswig-Holstein entscheidet, dass nur noch eine Universität im Land, nämlich die in Kiel, gut genug für den Exzellenzwettbewerb sein soll, weil man sich nur noch eine solche Uni leisten kann. Im Gegenzug soll eine traditionsreiche Universitätsklinik aufgegeben werden. Der Philosoph Walter Benjamin prägte den Begriff der Monade, eines Zeitpunkts an dem verschiedene Entwicklungen sich zu einem klaren Bild kristallisieren. Eine solche Situation liegt hier das offensichtliche Eingeständnis eines Bundeslandes, dass es im Rennen um Exzellenz und Elite kraft seiner Haushaltslage nicht mehr mithalten kann ohne Schnitte in die wissenschaftliche Substanz vorzunehmen. Damit droht die ganze Ideologie des Wettbewerbsföderalismus und der Drittmittelexpansion zu kippen.

Die Bundesministerin verhandelte daraufhin mit ihrem Parteikollegen und Ministerpräsidenten Carstensen, was sie bis zum Tag der Ergebnisverkündung leugnete. Die Ministerin nutzte die unterschiedlichen Finanzierungsschlüssel der Forschungsorganisationen, um dem Land Schleswig-Holstein die benötigten 25 Millionen Euro jährlich aus der Bundeskasse zukommen zu lassen. Aber um welchen Preis? Der Prozess der Profilierung der vier Forschungsorganisationen, die jede für sich in ihrem eigenen Profil größten Wert auf Autonomie und Reputation legen, wurde per Handstreich delegitimiert. Bisher ging der Aufnahme eines Instituts in die überwiegend bundesfinanzierte Helmholtz-Gemeinschaft ein jahrelanger wissenschaftsgeleiteter Prozess der Evaluierung und Qualitätssicherung voraus. Nun ist klar: alles Gerede von Wissenschaftsfreiheit und Autonomie ist Makulatur, wenn die Hütte brennt. Dann übernimmt der Bund schon einmal ein Institut – auch gegen den Willen der Institutsleitung, der betreffenden Forschungsorganisation und der benachbarten Universität – und ohne Empfehlung des Wissenschaftsrates.

Natürlich ist es richtig, die Uniklinik in Lübeck zu erhalten. Aber was Ministerin Schavan da betrieben hat, löst keine Probleme, sondern zog weitere nach sich. Denn es wird zu ähnlich gelagerten strukturellen Einschnitten in anderen Ländern kommen, das deutet sich schon an. Was dann? Wird die Ministerin auch einem SPD-geführten Land helfen?

Mit einer ähnlichen Feuerwehraktion wurde die dringend  notwendige BAföG-Erhöhung durchgesetzt. Die Länder konnten diese nicht gegenfinanzieren und forderten die komplette Kostenübernahme vom Bund. Dieser bot hingegen ein Koppelgeschäft an: der Bund versprach 136 Millionen Euro Forschungszuschüsse für eine Zustimmung der Länder, die 173 Millionen Euro Mehrkosten durch die BAföG-Erhöhung zu tragen. Das Problem: das Geld kommt nicht in den Länderhaushalten, sondern an den Hochschulen an. Und: es wird nach dem Anteil der eingeworbenen BMBF-Drittmittel verteilt. Nur ein Land hat wirklich per Saldo ein nennenswertes Plus bei diesem Deal: Baden-Württemberg, das Heimatland der Ministerin selbst.

Die Situation der Ministerin gleicht einem Menschen, der sich im Moor verirrt hat. Jedes hektische Rudern lässt einen noch tiefer in den Schlamassel sinken. Stattdessen müssen die Grundübel angepackt werden.

Wir brauchen eine Stabilisierung der Grundfinanzierung der Hochschulen, damit diese eine nachhaltige Entwicklungsplanung  betreiben können. Dies dient nicht nur der echten grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, mittels Personalentwicklung dem wissenschaftlichen Nachwuchs verlässliche Karrierewege anbieten zu können. Zudem wird die Lehre gestärkt, denn Studierende haben von Drittmittelboom und Exzellenzhype vor allem Nachteile.

Schaffen Sie das Kooperationsverbot ab und vereinbaren Sie eine dauerhafte und verlässliche Gemeinschaftsfinanzierung für wichtige Bildungsaufgaben. Und nicht zuletzt: verzichten Sie auf das geplante Steuersenkungspaket! Vielmehr muss über eine effektive Vermögensbesteuerung und einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes nachgedacht werden, wie das DIW gerade in einer aktuellen Studie empfohlen hat.

Und bei der Steuerung der außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen kommt es auf Verlässlichkeit und eine transparente Positionierung der Zuwendungsgeber aus Bund und Ländern an. Die Politik sollte klare Zielvereinbarungen mit den Einrichtungen treffen, deren Effektivität ohne Sanktionen wohl nicht gewährleistet werden kann. Der Pakt für Innovation und Forschung muss noch viel klarer herausstellen, was die Gesellschaft von der Forschung erwartet und welchen Grad an finanzieller Sicherheit und Autonomie sie der Wissenschaft gewährt.

Der vorliegende Antrag der Grünen beschreibt die Problemlagen sehr treffend, bietet als Lösung aber lediglich die Einrichtung einer Strategiearbeitsgruppe an. Das finde ich unnötig: wir haben den Wissenschaftsrat, in dem Wissenschaft, Wissenschaftsforschung und Politik vertreten sind. Die Probleme liegen auf dem Tisch. Lassen Sie uns lieber konsequent an deren Lösung arbeiten.