Eine offene und vielfältige Musikbranche ist möglich

"Music"-Neonlichtröhren

(Bild von Phil Hilfiker, Lizenz: cc-by-nc-nd)

Gastbeitrag von Petra Sitte in der Zeitschrift MusikWoche (Heft 24/2013)

Eine lebendige Musikbranche der Zukunft erfüllt für mich zwei Grundsätze: MusikerInnen haben eine echte Chance, von ihrer Kunst zu leben. Und die Fans haben die Chance, kreativ aber fair mit Musik umzugehen. Entsprechend spinne ich ein wenig weiter:

Vielfach wird auch in Zukunft Musik gekauft werden. NostalgikerInnen und PuristInnen kaufen Schallplatten, CDs mit ansprechenden und liebevoll gestalteten Booklets erfreuen die, die es gern haptisch mögen. Musikdateien kann ich im Netz kaufen und dann mit ihnen ebenso verfahren wie mit Schallplatten oder CDs. Ich kann sie auf allen gängigen Geräten abspielen. Wie ich früher CDs mit auf die Party bei Bekannten genommen habe, kann ich auch die Dateien vom Laptop auf die externe Festplatte ziehen und analog zum Walkman mit der selbstaufgenommenen Kassette drin habe ich eine Kopie des neuen Lieblingsalbums auf dem Smartphone. Gekaufte Musik ist gekauft, AGB-Tricks, die diese VerbraucherInnenrechte einschränken sind verboten.

Es gibt plattformübergreifende Dateistandards. Die Preise sind so, dass sie digital bei gleichem Umfang des Produkts ähnlich viel kosten wie in der analogen Variante. Die puren Dateien sind also deutlich preiswerter als die analoge Scheibe mit toller Coverkunst. Ein Downloadpaket mit interaktivem Begleitbooklet und dem kompletten Produktionstagebuch sowie der Notenblätter ist so teuer wie die Limited Vinyl-Edition im Samtschuber.

Ich kann übers Internet Radio oder Streamingdienste hören, dafür bezahle ich Gebühren oder ertrage Werbung. Ob im Stream oder beim Download, einfache Bezahlmodelle und faire Preise laden ein zum Bezahlen. Aggressive Kampagnen, die KonsumentInnen in kriminelle Ecken stellen, werden nicht mehr aus der Mottenkiste geholt. Fans werden als Fans behandelt und nicht als Verbrecher.

Ein angemessener Teil der Einnahmen aus dem Verkauf von Musik kommt bei den MusikerInnen an, deren Musik ich genieße. Es wird nicht mehr so sein wie heute, dass die UrheberInnen für Streamings unglaublich viel schlechter vergütet werden als beim Kauf eines physischen Tonträgers. Damit die KünstlerInnen ihren fairen Anteil an den Einnahmen erhalten, gibt es entsprechende gesetzliche Vorgaben, ähnlich einem gesetzlich festgeschriebenen flächendeckenden Mindestlohn.

Solange die Persönlichkeitsrechte der MusikerInnen nicht verletzt werden, dürfen andere Kreative freizügig samplen, remixen und covern. Machen sie das kommerziell, geben sie einen fairen Teil ihrer Einnahmen ab. Geschieht dies nichtkommerziell, gilt das Prinzip des Fair Use. Die heute schon existierenden Pauschalabgaben für das Privatkopierecht auf CD/DVD-Brenner, Smartphones und andere kopierfähige Geräte werden gegebenenfalls an diese neuen Nutzungsfreiheiten angepasst. Vielleicht auch als sozial verträglich gestaltete Abgabe auf den Internetanschluss. Wir müssen das nicht Kulturflatrate nennen, aber mindestens zugeben, dass Pauschalvergütungen längst existieren und im Prinzip auch neben dem marktwirtschaftlichen Verkauf funktionieren.

Einige KünstlerInnen und Fans probieren gemeinschaftlich das Konzept der Kulturwertmark aus, wo der dort freiwillig gezahlte Pauschalbetrag nutzungsgenau an die KünstlerInnen ausgezahlt wird. Weil dies verschlüsselt geschieht, bleibt die Privatsphäre der Fans gewahrt. Und wenn der von den KünstlerInnen vorab festgesetzt Betrag eingespielt ist, wird die entsprechende Komposition gemeinfrei.

Andere setzen auf Crowdfunding, weil dies für sie keine Bettelei darstellt, sondern Vorschusslorbeeren und Vertrauen ins eigene Können. Ist die Produktion und die Grundsicherung der Künstlerinnen für die nächste Zeit sowie die Extras für die InvestorInnen finanziert, könnten auch crowdgefundete Werke allgemeinfrei werden.

Beim Theater, bei der bildenden Kunst, beim Tanz und in Teilen bei der Filmförderung aber auch bei Musiknachwuchswettberben, Orchestern und den Jobs als MusiklehrerInnen sind marktferne Finanzierungsmodelle seit Jahr und Tag gängig. Deshalb setzt auch die Musikbranche nicht mehr einseitig marktwirtschaftliche Modelle, sondern hilft auch für die eigene Branche produktiv mit an der Entwicklung und Etablierung einer zeitgemäßen Kulturförderung, die die anderen Finanzierungswege ergänzt. Diese Förderung ist zwar durch öffentliche Gelder finanziert aber dennoch keine Staatskunst, da ihre Verteilung selbstorganisiert geregelt wird.

Für die Vielfalt der Vergütungsmodelle könnten zum einen öffentlich einsehbare und automatisch auslesbare Werkregister eingeführt werden, damit Urheberrechte klar zuzuordnen sind. Zum andern braucht es für die Verteilung der Pauschalabgaben und Fördermittel starke Verwertungsgesellschaften. Stark sind diese, wenn sie transparent und demokratisch gestaltet sind, sich unabhängiger und funktionierender Kontrolle unterwerfen und die Interessen der UrheberInnen und Verwerter unabhängig voneinander vertreten werden und die Einnahmen zu fairen Anteilen ausgezahlt werden.

Um eine auch in diesem Sinne vielfältige Musiklandschaft entstehen zu lassen, braucht es neben der Bereitschaft des fairen Umgangs miteinander und dem Mut zu Neuem mindestens auch noch eine umfangreiche Urheberrechtsreform. Die Verwertungs- und Vertragsrechte der UrheberInnen müssen genauso wie manche Nutzungsfreiheiten gestärkt werden. Letzteres käme nicht nur den Fans, sondern auch den KünstlerInnen selbst zugute, da sie selbst durch die kreative aber faire Beschäftigung mit bestehenden Werken freier als heute neue Stücke schaffen könnten.

Ob das alles bis 2020 umzusetzen wäre, wage ich nicht zuletzt aufgrund der Beharrlichkeit meiner eigenen Zunft, den PolitkerInnen, zu bezweifeln. Aber wir könnten anfangen, in diese Richtung zu gehen.

So wie heute, wo UrheberInnen oft kaum von ihrer Kunst leben können, obwohl Fans rechtlich gegängelt und vielfach von Anwaltskanzleien wegen angeblicher oder tatsächlicher Urheberrechtsverletzungen abkassiert werden, kann es nicht bleiben. Ich glaube, eine offene und auch in den Spielarten der Vergütung vielfältige Musikbranche ist möglich.

Sollte dem nicht so sein, darf ein breites Marktversagen in der digitalisierten Welt für mich auf keinen Fall dazu führen, dass wir zur künstlichen Sicherung des Marktes Grund- und Bürgerrechte im Netz verletzen oder abschaffen. Überwachungs- und Zensurinfrastrukturen im Netz gehen gar nicht. Bevor dies der einzige Ausweg ist, gibt es noch viele Alternativen. Manche bringen hier das bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel. Auch darüber sollten wir intensiv und ergebnisoffen nachdenken.