Gedanken zur Sicherheitsforschung und ihrer Förderung durch die Bundesregierung

"Denke an deine Sicherheit" - alter Schriftzug auf einer Industrieruine

(Bild von Bitboxer, Lizenz: cc-by-nc-sa)

Für die Veröffentlichung überarbeiteter und aktualisierter Text eines Vortrags, den Petra Sitte am 14. Mai auf der Konferenz „Der Wandel der Sicherheitskultur als Herausforderung für die Politik“ in Berlin gehalten hat.

Die Sicht der Linksfraktion im Deutschen Bundestag auf die Bilanz des Sicherheitsforschungsprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) fällt differenziert und problemorientiert aus.

Grundsätzlich kann zunächst festgestellt werden, dass bemerkenswert ist, wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die selbst am Programm beteiligt sind, ebenfalls eine Bilanzdebatte mit der Zielstellung führen, sich über die zukünftige Ausrichtung des Förderprogramms zu verständigen.

Bezogen auf DIE LINKE dürfte nicht sonderlich wundern, dass deren Kritik am Regierungskonzept zur Sicherheitsforschung bereits viel früher ansetzt. Und zwar in dem Zeitraum, in welchem Grundausrichtung und Grundlinien von Programmen konzipiert werden.

DIE LINKE meint, dass zunächst gefragt werden müsste, welche Bedürfnisse Menschen tatsächlich haben, welche Leistungen Gesellschaft und staatliche Strukturen, Organisationen, Verbände und wissenschaftliche Institutionen erbringen müssen, um diese Interessen weitestgehend sichern zu können.

Schließlich sollte endlich unumstritten sein, dass ohne Kenntnis sozialer, soziologischer, kultureller und auch vieler Alltagsfragen kaum ein Programm sachgerecht und mit größtmöglichem Mehrwert für das Gemeinwohl aufgelegt werden kann. Auf diesen „Konstruktionsfehler“ hat DIE LINKE über Jahre insbesondere mit Blick auf die Hightech-Strategie hingewiesen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Und so ist festzuhalten, dass sich in der zweiten Auflage des Sicherheitsforschungsprogramms Einiges im Herangehen geändert hat.

Das Programm war als Teil der Hightech-Strategie entstanden und folgt demzufolge immer noch weitgehend ihrer Logik. So gibt das BMBF als eines der Ziele des Förderprogramms an, die Sicherheitsforschung als neues Forschungsfeld in Deutschland etablieren zu wollen.

Da die Hightech-Strategie seitens der Bundesregierung grundsätzlich jedoch als Programm der Technologie- und Wirtschaftsförderung aufgelegt wurde, beinhaltet es kaum Räume zur Forschung an grundlegenden Fragen von Sicherheitskonzepten.

Es soll also nicht geklärt werden, welche Unsicherheiten und Risiken Gesellschaften beschäftigen. Und welche Konsequenzen ein unterschiedlicher politischer Umgang damit haben kann.

Nun könnte man ja sagen, gut dazu müsste man außerhalb der Hightech-Strategie eine neue Programmlinie schaffen oder man könnte es in die Deutsche Stiftung Friedensforschung integrieren. Eine diesbezügliche Programmlinie gibt es beim BMBF allerdings nicht und die Deutsche Stiftung Friedensforschung ist seit Jahren unterfinanziert – wird es also nicht zusätzlich leisten können.

Insofern kann nur als positiv gewertet werden, was die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb des Auftragsrahmens verändern konnten, schließlich sollten Lösungen erarbeitet werden, die allein regierungsdefinierte Sicherheitsversprechen umsetzen helfen.

Es ist gut vorstellbar, dass unter eben jenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eher kritisch solche Schlagworte wie „sichere Stadt“, „sichere Grenzen“, „sicheres Leben in Deutschland angesichts terroristischer Gefahren“ bis hin zu „sicheren Großveranstaltungen“ bewertet werden.

Die Sicherheits- und Risikowahrnehmung vieler Menschen dürfte sich ohnehin deutlich unterscheiden. Und ob solch statische Formulierungen – quasi als Sicherheitsgarantien – letztlich mehr Vertrauen in Sicherheitsperspektiven auslöst, darf wohl bezweifelt werden.

Ganz abgesehen davon, bestimmt das BMBF in seinem Auftragsrahmen gar nicht, was es da jeweils selbst unter „sicher“ versteht. Und wer sich „sicher“ fühlen soll wird eben so wenig beschrieben. Das sollte und soll aber auch gar nicht von der Forschung diskutiert werden! Daraus folgt, es werden Maßnahmen unter dem Label einer „Sicherheit“ entwickelt, über die es kaum einen gesellschaftlichen Dialog im Vorfeld gab und für die demzufolge die Auftrag gebenden Ministerien keine Kriterien aufstellen konnten.

Stattdessen operiert die Bundesregierung durchgängig mit der Grundbehauptung, die allgemeine Sicherheitslage habe sich verschlechtert und wir bräuchten deshalb deutlich mehr Schutzmaßnahmen. Punktum.

Erklärungen erst recht differenzierte Belege lassen sich nicht finden. Und das bei einem Programm, welches Terrorismus, Naturkatastrophen und Großveranstaltungen gleichzeitig thematisiert!

Das ist insofern erwähnenswert, als Sicherheit der Gesellschaft immerhin hoheitliche Aufgaben berührt und eben auch grundgesetzliche bzw. grundrechtliche Fragen aufwirft, die einer ebenso ernsthaften Betrachtung bedürfen. In solch einer sensiblen Gemengelage, kann einseitige Interessenwahrnehmung nur weitere Probleme auslösen.

Nun weiß natürlich jeder, dass Unsicherheitsbehauptungen, auch unbewiesen kommuniziert, in der Bevölkerung geradezu reflexartig Debatten zu entsprechendem Einsatz von Personal, Technik und angepasster Strukturen auslöst.

Infolgedessen kann das Ministerium auch auf positive Resonanz setzen, wenn es unter dem Thema „Sicherheit“, der Entwicklung von Hochtechnologien im Sicherheitsbereich einen Schub mit öffentlichen Geldern geben will. Ob der spätere Einsatz dieser Technologien, wobei die Vorstellung schlimmster Fälle nur schwer erträglich scheint, dann tatsächlich für die betroffenen Menschen und Bereiche mehr Sicherheit bietet, ist auch noch nicht bewiesen.

Wie auch immer. Von den späteren Anbietern solcher Technologien wird man nur bedingt Kritik hören. Sie versprechen sich in den Bereichen der Forschung und Entwicklung zusätzliche freie Valenzen und nehmen natürlich dankbar alle Regierungshilfen an, die ihre Stellung auf internationalen Märkten verbessern und den eigenen Mitteleinsatz unter Umständen sogar reduzieren helfen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wirtschaftsförderung ist ein legitimes Instrument politischer Steuerung. Ob es jedoch auch zu den Aufgaben von Regierung gehört, künstliche Nachfragen auf neu zu schaffenden Leitmärkten auszulösen – da dürfen doch tapfer Zweifel angemeldet werden. Und wie bereits erwähnt, der Einsatz von Sicherheitstechnologien ist eben nicht nur eine Frage der Wirtschaftsförderung!

Die Interessen der Sicherheitsindustrien oder der beteiligten klein- und mittelständischen Unternehmen können nun einmal nicht identisch mit gesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnissen sein. Mithin lösen Sicherheitstechnologien seit Jahren heftige Diskussionen darüber aus, wo und wie durch ihre Nutzung Grundrechte eingeschränkt werden. Verhältnismäßigkeitsprüfungen gehören erfahrungsgemäß nicht zum freiwilligen Portfolio der Industrie. So kommt es, dass Überwachungstechnologien und entsprechende Software seit Jahren in deutschen Unternehmen entwickelt und in alle Welt geliefert werden. Wirtschaftsethische Debatten dazu haben Seltenheitswert.

DIE LINKE vertritt daher die Auffassung: Nicht das höchstmögliche Maß an Sicherheitsvorkehrungen und –technologien ist das Ziel, sondern nur das notwendige und zugleich gesellschaftlich noch akzeptierte Maß. Wem entsteht welcher Nutzen?

Deshalb haben wird die Partizipation der Zivilgesellschaft bei der Ausgestaltung der Förderlinien gefordert. Mindestens folgende Fragen müssten diskutiert werden:

  • Welche Risiken kommen tatsächlich auf die Gesellschaft zu?
  • Stimmen Gefährdungsanalyse, -prognose und -kommunikation der Regierung?
  • Was müssen wir tun, um Gesellschaft besser aufzuklären und zu stärken?
  • Was ist die Gesellschaft bereit, mitzutragen?
  • Wie kann sie das mitentscheiden?

Die Initiierung des gesellschaftlichen Dialogs wird von dem Prognos-Gutachten mit dem Attribut von „geringer Intensität“ versehen. Diese Entscheidungsprozesse müssen aber transparent und demokratisch gestaltet werden. Und selbstverständlich müssen historische Erfahrungen ebenso einbezogen werden, wie der Umgang mit diesen Fragen in anderen Ländern – insbesondere dann, wenn sie bereits entsprechende Ereignisse durchleben mussten. Vor diesem Hintergrund können sich auch ganz andere oder eben neue Bewertungsmuster ergeben.

Zu Teilen sieht sich DIE LINKE auch durch die Zwischenevaluation des Forschungsprogramms vom Ende 2012 bestätigt. Diese sieht schließlich besondere Hindernisse bei der Umsetzung der erarbeiteten Sicherheitslösungen durch Behörden, die als Endnutzer gelten. Grund sei, dass zunächst in den Organisationen für Akzeptanz gesorgt werden müsse.

Sollte eine Vergewisserung, sollte ein entsprechender Dialog aber nicht am Anfang stehen und Voraussetzung für die Teilnahme sein? Das erinnert doch zumindest punktuell an die Fehlerdebatten nach dem Jahrhunderthochwasser 2002 und an die Maßnahmenkritik zum diesjährigen Hochwasser bundesweit und speziell in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt.

Auch die Forderung nach eigenständiger statt „flankierender“ geistes- und sozialwissenschaftlicher Sicherheitsforschung wird von der LINKEN unterstützt. Als Begleitforschung sollte sie bislang nur gesellschaftliche Auswirkungen der Einsatzszenarien und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung analysieren.

Forschung auf Schadensbegrenzung einzunisten, geht jedoch weit an den möglichen und höchst komplexen Folgen für die Gesellschaft vorbei. Unabdingbar ist es, denkbare und realistische Alternativen aufzuzeigen.

Mit der Einrichtung des „Fachdialogs Sicherheitsforschung“ hat die geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Dimension an Sichtbarkeit gewonnen. Die beim Innovationsforum im vergangenen Jahr vorgestellten Ergebnisse z.B. zu Sicherheitskulturen von Stadt- und Landbewohnern oder neuen Wegen der Sicherheitskommunikation bei Pandemien haben einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung von Politikerinnen und Politkern beigetragen.

Im Spektrum aller Forschungsaktivitäten ist die Bedeutung von geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung aber defacto kaum gestiegen. Die Zwischenevaluation weist bis Ende 2012 unter insgesamt 563 Projekten 29 geistes- und sozialwissenschaftliche aus – das sind lediglich fünf Prozent.

Als positiv darf bewertet werden, dass nunmehr die Dual-Use-Problematik und die Auseinandersetzungen um Rüstungsforschung an den Hochschulen in den Diskussionen eine größere Rolle spielen. Bekanntermaßen wachsen Initiativen an den Hochschulen, die sich offensiv für den ausschließlich zivilen Charakter von Forschungen und der Nutzung von Ergebnissen einsetzen.

Aus Sicht der LINKEN ist festzuhalten, dass Entwicklerinnen und Entwickler natürlich nicht gänzlich voraussehen können, wo beispielsweise ihre Sensoren, Fahrzeuge oder High-Tech-Textilien zum Einsatz kommen. Doch die prinzipielle Aufhebung der Trennung von ziviler und militärischer Forschung zieht zwangsläufig nach sich, dass spezifische Anforderungen für militärische Nutzungen von Beginn an in der Entwicklung mit bedacht werden. Das zu tun oder es zu lassen macht einen erheblichen Unterschied. Das wissen natürlich Beteiligte. Um dieses Risiko einzugrenzen, könnten Hochschulen mit Unternehmen Sperrklauseln vereinbaren, die eine wehrrelevante Nutzung oder Veräußerung der Ergebnisse ausschließen sollen.

Dass die Situation für die unterfinanzierten Hochschulen hochproblematisch ist, trägt dazu bei, dass die Akzeptanzschwelle, auch nichtzivile Forschungsprojekte zu verfolgen, immer niedriger ausgefallen ist. Schließlich kompensieren Drittmittel aus Auftragsforschung mehr und mehr Ausgaben der Hochschulhaushalte. Vor diesem Hintergrund können dann schon einmal alle hehren Prinzipien dahinsinken. Vom Grundrecht auf Freiheit der Forschung ganz zu schweigen. Da dürfte die kritische Grenze ohnehin längst überschritten sein.

Dass nun gerade in Drittmittelprojekten vor allem wissenschaftlicher Nachwuchs forscht, dürfte ein Argument mehr dafür sein, weshalb ein verantwortungsvoller Umgang notwendig ist und Diskussionen dieser sensiblen Fragen in den Wissenschaftseinrichtungen geführt werden müssen und auch inhaltlich in die Graduiertenförderung eingebettet werden sollte.

Ein konkretes Ergebnis zum Umgang mit dieser Entwicklung gibt es bereits:

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat den Aufbau eines „wissenschaftlichen Sicherheitsforums“, welches die Bundesregierung in technisch-taktischen Fragen beraten soll, beschlossen.

DIE LINKE meint: Es muss zur Wissenschaftskultur gehören, Diskussionen darüber zu führen, ob dieses ambivalent nutzbare Wissen überhaupt oder in welchem Umfang es generiert werden soll und eben auch unter welchen Bedingungen es angewandt werden soll.