Verkehrspolitik ökologisch, sozial und gerecht gestalten

58. Sitzung des Deutschen Bundestages

TOP 21: Mobilitätsforschung

_________________________________________________________

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns im Bundestag derzeit ja mit künstlicher Intelligenz, und ich habe das Gefühl, für manche ist das eine echte Chance.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Antrag der Grünen greift allemal ein drängendes Problem auf. Wir haben eine rasante Entwicklung von Elektrofahrzeugen, wir reden permanent über autonomes Fahren oder App-basierte Leasingmöglichkeiten, und es gibt einen Umbruch in der privaten und in der öffentlichen Mobilität. Diese Entwicklung muss natürlich wissenschaftlich begleitet werden; das ist doch gar keine Frage.

Die im Antrag stehende Idee ist sinnvoll, einen solchen Experimentierraum finanziell gut auszustatten und ihn am Ende eben auch wirklich in eine solche Forschung mit einzubetten. Allerdings scheint es mir persönlich nicht zielführend, die ganze breite Palette der Elektromobilität aufzufächern und alles erforschen zu wollen. Aber darüber kann man ja reden.

Meine Damen und Herren, zurzeit nutzen Konzerne und Autohersteller ihre Marktmacht, um ihre Geschäftsmodelle durchzusetzen. Verstehen Sie mich an der Stelle nicht falsch: Ich bin allemal für kluge Fortschrittspolitik und auch für die Entwicklung der E-Mobilität. Aber ob die eben – auch von Herrn Sattelberger – geschilderten Modelle dem öffentlichen Interesse entsprechen oder gar bestehende Verkehrsprobleme noch verschärfen, wäre zu diskutieren, und ich glaube, dass die Idee, die Sie gerade formuliert haben, eher dazu führt, dass wir weitere Verkehrsprobleme bekommen,

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel (SPD))

weil man auch mit einem E-Auto wunderbar im Stau stehen kann.

Ich will hier mal zwei Szenarien etwas überzeichnend vorstellen:

Erstens entstehen in den Städten riesige Flotten von elektrischen Sharing-Fahrzeugen von konkurrierenden Firmen. Nun könnte man ja sagen: Okay, das ist für die Kunden und Kundinnen gut; denn dann fallen die Preise. – Das ist aber natürlich schlecht für die Bewohnerinnen und Bewohner, weil dann einfach alle vor ihrer Tür im Stau stehen. Der Parkraum wird kleiner, der öffentliche Raum wird weiter eingeschränkt, beispielsweise für Fahrradfahrende oder für Fußgänger, der ÖPNV wird niederkonkurriert.

(Sebastian Münzenmaier (AfD): Und was ist mit der Rikscha?)

Das bedeutet dann am Ende: Beim Kampf um die Marktmacht fallen die Preise des Individualverkehrs, und natürlich wirkt sich das zum Nachteil des ÖPNV aus.

Ich meine, dieses Szenario ist schwierig bzw. nicht anzustreben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweites mögliches Szenario. Ergänzend zu einem ausfinanzierten, ökologischen, qualitativ hochwertigen und preiswerten – oder noch besser: gebührenfreien – ÖPNV werden kommunal regulierte Sharing-Anbieter zugelassen, wie es andere Länder ja auch schon tun. Diese bieten dann neue Angebote von App-vermittelter Tür-zu-Tür-Mobilität an. Die Fahrzeugflotten wären dann auf eine sinnvolle Größe begrenzt und stünden in erster Linie denen zur Verfügung, die sie benötigen, beispielsweise Familien mit kleinen Kindern oder eben in ihrer Mobilität eingeschränkten Personen. Die Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur könnte massiv ausgebaut werden, und die Zahl tödlicher Fahrradunfälle könnte drastisch reduziert werden.

In Berlin kann man sich anschauen, wie so etwas gehen könnte, wie so eine Vision Wirklichkeit werden könnte. Mit dem Berliner Mobilitätsgesetz soll Berlin mobiler, sicherer, klimafreundlicher und natürlich auch im Interesse aller gesteuert bzw. entwickelt werden.

Eine Anmerkung noch: Wer hier in Berlin morgens mit dem Auto vor die Hütte fahren will, der hat nicht begriffen, dass die S-Bahn das viel schnellere Verkehrsmittel ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Berlin kann insofern zu Recht als Schrittmacher und in der gemeinsamen Diskussion über diese Dinge aber eben auch als Beispiel gelten. Dort sind eben gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und mit Interessenverbänden genau solche Konzepte entwickelt worden – sei es der massive Ausbau von Radschnellwegen, sei es die Umstellung der BVG-Busse bis 2030 von Diesel- auf Wind- und Sonnenenergie

(Martin Hebner (AfD): Und der Flughafen! Zu Kaisers Zeiten war die Bahn schneller!)

oder sei es eben auch das Ziel „Vision Zero“, um die Zahl der Verkehrsverunfallten möglichst gering zu halten.

Meine Damen und Herren, welchen Weg die Verkehrspolitik nimmt und welcher Weg dann eben auch umweltfreundliche und tatsächlich lebenswerte Städte hervorbringt, können wir hier gemeinsam diskutieren. Wir als Fraktion wünschen uns natürlich viel eher das zweite Szenario.

(Beifall bei der LINKEN)