Neue Möglichkeiten der Gentherapie müssen offen, aber wertebasiert diskutiert werden

68. Sitzung des Deutschen Bundestages

 TOP 16: Beratung  des Antrages der Fraktion der FDP: Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Neue Verfahren in der Gentherapie einsetzen; Drucksache 19/5996

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ja, es ist wohl so: Als vor sechs Jahren die neue Genschere CRISPR/Cas9 entwickelt wurde, hat kaum jemand von uns geahnt, welche neuen Fenster für gentherapeutische Anwendungen sich auftun würden – insbesondere in der Medizin. Natürlich hoffen viele, wie das hier schon angedeutet worden ist, dass bislang gar nicht behandelbare Krankheiten und auch Krankheiten, für die bisher nur andeutungsweise ein solches Fenster geöffnet werden konnte, behandelt werden können. Gentherapeutische Medikamente, beispielsweise zur Behandlung der Blutererkrankung, hochaggressiver Formen der Leukämie oder des Non-Hodgkin-Lymphoms, sind entwickelt worden. Die somatische Gentherapie ermöglicht nun die Gentransplantation in Körperzellen und eben auch die Abschaltung von Genen. Mir scheint – insbesondere auch mit Blick auf viele Diskussionen hier im Haus –, dass sich gerade bei monogenetischen Erkrankungen – also Erkrankungen, die auf nur ein Gen zurückzuführen sind – ein neues Fenster auftun könnte. Ich denke, wie auch René Röspel gerade gesagt hat, dass das hier in diesem Haus kaum umstritten sein dürfte. Und ich gehe sogar davon aus, dass wir dafür nicht mal Gesetze ändern müssten.

(René Röspel [SPD]: So ist das!)

Aber obwohl ich der Thematik aufgeschlossen gegenüberstehe, finde ich den Antrag wenig hilfreich. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich muss schon sagen: Mit der Holzkeule und ohne eine nähere Begründung wird die Änderung von Gesetzen wie dem Embryonenschutzgesetz und dem Präimplantationsdiagnostikgesetz oder der Leitlinien der Zentralen Ethikkommission der Stammzellenforschung gefordert.

Genau zu diesen Themen haben wir hier im Haus umfangreiche bioethische Debatten geführt, und wir haben mit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit diskutiert. Ich bin sehr dafür, in der Diskussion zu bleiben – auch wieder über Fraktionsgrenzen hinweg –, aber ich sehe derzeit wesentlich mehr Fragen, und ich finde, wir haben erheblichen Klärungsbedarf, sodass man das nicht sozusagen schlankweg unter den Punkten 21 und 22 fordern kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. René Röspel [SPD])

Die Forderung des Deutschen Ethikrates, internationale Vereinbarungen zu treffen – wie vorhin schon angedeutet –, sollte eben nicht, wie in Ihrem Antrag geschrieben, durch nationale Alleingänge vom Tisch gewischt werden. Erst vorgestern – das haben alle Kollegen hier erwähnt – ist bekannt geworden, dass in China Änderungen am Erbgut zweier Embryonen in einem frühen embryonalen Stadium vorgenommen wurden und dass das Zwillingspärchen nunmehr über die Eigenschaft verfügen soll, sich nicht mit HIV infizieren zu können. Was mich in dieser Debatte vor allem beruhigt hat, ist, dass selbst in der chinesischen Community eine scharfe Kritik an dieser Praxis geübt worden ist und dass 122 chinesische Wissenschaftler diese Kritik in einem Protestbrief zum Ausdruck gebracht haben. Ich zitiere: Aber die potenziellen Risiken und Schäden für die gesamte Menschheit, die durch einen ungerechtfertigten Einsatz des Verfahrens in der Zukunft entstehen können, sind unermesslich. Darin sind wir uns hier einig. Wir wissen zu wenig über das Zusammenspiel von Genen, und deshalb glaube ich, dass wir auch hier darüber zu reden haben. Keimbahninterventionen sind in Deutschland nach wie vor nicht zulässig.

(René Röspel [SPD]: Das ist so!)

Anders als bei der somatischen Gentherapie wird hier eben in das vererbbare Erbgut eingegriffen. Wir sind auch verantwortlich für nachfolgende Generationen, und deshalb müssen wir die verschiedenen Perspektiven übernehmen – sowohl die der Erkrankten und ihrer Familien als auch die der Wissenschaftler bezogen auf die Forschungsfreiheit. Es geht aber auch um Rahmenbedingungen bis hin zu kartellrechtlichen Fragen, was die spätere Nutzung der einzelnen Behandlungsmöglichkeiten angeht. Darüber haben wir im Ausschuss zu diskutieren – offen und ideologiefrei. Sie schreiben ja, dass man das ideologiefrei tun soll. Ganz bestimmt, aber eben nicht wertefrei!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. René Röspel [SPD])