Leerstellen und Sonntagsreden: Das Urheberrecht im neuen Koalitionsvertrag

Während sich die Ampelkoalition in vielen Politikfelder einiges vorgenommen hat, bleibt sie im Urheberrecht auffallend zurückhaltend. An einigen Stellen bleibt sie sogar hinter den Ankündigungen im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot zurück – die allerdings auch nicht umgesetzt worden sind.

Vergütung und Vertragsrecht

Die Ampelparteien möchten sich im Urheberrecht „für fairen Interessenausgleich“ einsetzen und die „Vergütungssituation für kreative und journalistische Inhalte verbessern, auch in digitalen Märkten“. So würde sich das wohl jede Regierung auf die Fahnen schreiben – was aber bedeutet das konkret?

Um echte Verbesserungen in diesem Bereich zu erzielen, müsste vor allem das Urhebervertragsrecht angefasst werden. Dieses regelt, welche Form Verträge zwischen Urheber*innen und den Verwertern ihrer Werke annehmen können, ist also vergleichbar mit dem Arbeitsrecht. Hier sind im Zuge der EU-Urheberrechtsreform einige Verbesserungen vorgenommen worden, die allerdings längst nicht ausreichend sind, um Augenhöhe in Verhandlungen sicherzustellen. Hier ist vor allem die Rechtsdurchsetzung ein Problem und es müssten insbesondere kollektive Instrumente wie ein Verbandsklagerecht geschaffen bzw. gestärkt werden. Außerhalb des Vertragsrechts könnte eine Verbesserung der Vergütung beispielsweise durch neue Direktvergütungsansprüche, wie sie jetzt für bestimmte Plattformen eingeführt worden sind, erreicht werden.

In Ermangelung jeglicher konkreter Vorschläge – selbst in Form eines Prüfauftrags – muss aber leider davon ausgegangen werden, dass die Ampel es hier bei Sonntagsreden belassen möchte.

Uploadfilter

Auf den ersten Blick scheint die Haltung der Ampel eindeutig zu sein: „Zum Schutz der Informations- und Meinungsfreiheit lehnen wir verpflichtende Uploadfilter ab.“ Vergleichbare Bekenntnisse standen aber auch schon im Schwarz-Roten Koalitionsvertrag von 2018 und sind dann einfach ignoriert worden. Die Urheberrechtsreform, die dann mit Zustimmung Deutschlands beschlossen wurde, macht einen kompletten Verzicht auf Uploadfilter zwar vorerst unmöglich, aber man sollte doch erwarten, dass diesem Bekenntnis zumindest die Konsequenz folgt, die Verwendung von Uploadfiltern im neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) weitest möglich einzuschränken. Zu einer entsprechenden Stärkung von Nutzer*innenrechten gäbe es sogar Vorlagen in früheren Entwürfen des Gesetzes.

Die Ampel macht aber klar, dass sie nicht daran denkt, hier unmittelbar nachzubessern. An anderer Stelle kündigt sie an, die Regeln zum Einsatz von Uploadfiltern lediglich auf „Praxistauglichkeit“ zu evaluieren. Gut möglich ist, dass sie ein bevorstehendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Reform dennoch zu Nachbesserungen zwingen wird; ihr Bekenntnis gegen Uploadfilter bleibt aber hohl.

E-Books

Ebenfalls enttäuschend ist der Text zum Verleih von E-Books durch Bibliotheken. Hier besteht seit langem das Problem, dass elektronische Medien mangels Rechtsgrundlage nicht alle in der gleichen Weise verliehen werden können wie gedruckte Bücher. Auf der anderen Seite setzt eine Ausweitung von Leihvorgängen, auch elektronischen, Autor*innen unter Druck, weil sie im derzeitigen System dafür nur sehr geringfügig vergütet werden. Es bräuchte also eine gesetzliche Regelung des digitalen Verleihs – und genau das fordern eigentlich auch alle drei Ampelparteien!

Trotzdem ist im Koalitionsvertrag nur nebulös davon die Rede, dass man „faire Rahmenbedingungen“ will. Nun gibt es sicherlich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine sinnvolle Lösung aussehen sollte – auch wir haben in der vergangenen Wahlperiode beispielsweise einen eigenen Vorschlag eingebracht, aber den der FDP abgelehnt, da er unserer Auffassung weder den Interessen der Bibliotheken noch der Autor*innen wirklich entspricht. Aber das kann keine Entschuldigung sein, das Thema wieder auf die lange Bank zu schieben und sich nicht klar zu einer gesetzlichen Regelung zu bekennen.

Weitere Leerstellen

Daneben gibt es auch Themen, die im Koalitionsvertrag durch völlige Abwesenheit auffallen. So ist es zum Beispiel bemerkenswert, dass ein akutes Problem überhaupt nicht benannt wird, nämlich der Missbrauch des Urheberrechts, um den Zugang zu staatlichen Dokumenten zu erschweren („Zensurheberrecht“). Auf diesem Weg sich beispielsweise das Bundesinstitut für Risikobewertung in den letzten Jahren bemüht, ein Gutachten zum Einsatz von Glyphosat zurückzuhalten, auf das ansonsten ein gesetzliches Zugangsrecht bestünde. Das ist nicht der einzige Fall dieser Art – mit dem Sinn des Urheberrechts hat das natürlich herzlich wenig zu tun. Und auch die Lösung läge nahe: Eine Anpassung des Urheberrecht, damit sich öffentliche Stellen nicht mehr auf Rechte an solchen amtlichen Werken berufen können. Eine entsprechende Regelung existiert sogar, sie müsste lediglich auf alle amtlichen Werke ausgeweitet werden. Dies ist jedenfalls von Grünen und FDP in der Vergangenheit auch gefordert worden, ohne dass es sich jetzt im Koalitionsvertrag wiederfände.

Eine weitere Baustelle wären die Vergütungssysteme für gesetzlich erlaubte Nutzungen, insbesondere die Geräteabgabe, mit der das Recht auf Privatkopie pauschal vergütet wird. Diese hat mit der technischen Entwicklung nur begrenzt schrittgehalten und ist seit langem Gegenstand kontinuierlicher gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten. Der Schwarz-Rote Koalitionsvertrag hatte noch angekündigt, dieses System auf eine neue Grundlage zu stellen. Dass dies nicht passiert ist, kann zumindest noch damit erklärt werden, dass stattdessen die Umsetzung der komplexen und umfassenden europäischen Urheberrechtsreform alle entsprechenden Ressourcen gebunden hat. Nun taucht aber auch dieses Thema im Koalitionsvertrag der Ampel gar nicht erst auf.

Wissenschaft

Ein Lichtblick ist lediglich die Ankündigung, das Urheberrecht „wissenschaftsfreundlicher“ zu gestalten. Die gesetzlichen Regelungen zur Nutzung geschützter Werke in Bildung und Wissenschaft („Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“ oder UrhWissG), die seit 2018 gelten, werden im Frühjahr 2022 evaluiert. Bei dieser Gelegenheit würde es naheliegen, einige Konstruktionsfehler des Gesetzes zu beheben, so zum Beispiel ein sehr umfassendes und wenig praktikables Nutzungsverbot für Zeitungsinhalte. Aus unserer Sicht wäre es darüber hinaus geboten, die Regelungen hin zu einer allgemeinen Erlaubnis für Zwecke der Bildung und Wissenschaft weiterzuentwickeln. Es bleibt zu sehen, welche konkreten Verbesserungen die Ampel hier im Blick hat – und ob, was zu wünschen wäre, beim Bezug auf Wissenschaft auch die verwandten Anliegen von Bildungseinrichtungen und solchen des Kulturerbes (wie Archive, Museen und Bibliotheken) mitgemeint sind.

Fazit

Für eine selbsterklärte „Fortschrittskoalition“ hält sich die Ampel bei Urheberrechtsthemen erstaunlich bedeckt und greift nicht einmal Dinge auf, die als gemeinsames Projekt eigentlich nahelägen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass man sich nach den Debatten der letzten Jahre das Thema in dieser Legislaturperiode lieber vom Hals halten will. Das wäre allerdings ein großer Fehler in Anbetracht der vielen drängenden und nicht geklärten Themen. So oder so wird uns das Thema Urheberrecht in den nächsten Jahren weiter beschäftigen – auch wenn die Impulse dann eher von der Zivilgesellschaft, der Opposition und den Gerichten als von der Regierung kommen werden.