Rede: Mut zu Reformen beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk

Redemanuskript zur Rede am 23. September 2022 zur Aktuellen Stunde „Lehren aus dem ARD-Skandal“

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will eine Vorbemerkung machen und kann da sehr gut an Herrn Grundl anschließen: Wir sollten uns in dieser Debatte schon über die Dimension aktueller Diskussionen klar werden, insbesondere mit Blick auf die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere nach dem Vorbild der britischen BBC, als Antwort auf die Gleichstellung aller Medien zu Zeiten des Faschismus, also als Antwort auf Goebbels’ Propagandamaschinerie, gegründet und entwickelt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Seitdem trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk den öffentlichen Auftrag, ein inhaltlich wie finanziell unabhängiges, vielfältiges Medienangebot zu schaffen. Es ist also nicht irgendeine Wahl, die man dort treffen kann. Vielfalt ist Auftrag – nicht als schönes Beiwerk, sondern als Mitgarant für demokratische Ordnung.

In diesem Auftrag erwächst eine große Verantwortung, die immer wieder eingefordert werden muss. Ich sage Ihnen: Die aktuellen Ereignisse lassen einen da schon manchmal verzweifeln. Da gibt es selbstherrliche Intendanzen. Da meinen welche, das sei ein Selbstbedienungsladen. Oder es versagen eben tragischerweise auch Kontrollstrukturen. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Gebührenzahlerinnen und ‑zahler, sondern auch der eigenen Mitarbeitenden. Da haben Sie völlig recht, Herr Lindh. Deren oft unter prekären Bedingungen geleistete gute Arbeit gerät nämlich in Mithaftung und in Misskredit. Das dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Gleichwohl gilt es, auch Folgendes festzuhalten: Dass die Aufklärung über solche Vorgänge auch in den betroffenen öffentlich-rechtlichen Medien selbst stattfindet, halte ich jedenfalls für bemerkenswert. Ich kann mir den Vorgang schwer in privaten Medien vorstellen.

Meine Damen und Herren, die Beschäftigten, Freie und feste Freie müssen jetzt bei allen anstehenden Entscheidungen unbedingt gehört werden. Sie müssen mitentscheiden können. Und sie verdienen gleichzeitig unsere Unterstützung im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nicht genug, dass Journalistinnen und Journalisten offen während ihrer Arbeit, beispielsweise auf Demonstrationen, behindert, bedroht oder körperlich direkt angegriffen werden. Nein, jetzt wird einem populistischen Impuls folgend auch noch Berichterstattung verächtlich gemacht. Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr letzter Parteitag war ein Beleg dafür, wie man genau mit diesen Fragen nicht umgehen sollte. Was beim NDR beispielsweise geschehen ist, ist ein noch viel schwierigeres Problem, weil das nämlich die Glaubwürdigkeit, die Vertrauenswürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage stellt. Und deshalb müssen wir auch dagegen ankämpfen.

Ich finde eben, dass es sich Politik bisweilen zu einfach macht; wir tragen nämlich auch konkrete Mitverantwortung. Vielleicht mal so ein Histörchen aus den Befreiungskriegen: Ich war 14 Jahre Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt. Und als ich aufgehört habe, haben mir MDR-Kollegen gesagt: Wissen Sie, Frau Sitte, Sie haben in den ganzen Jahren zweimal angerufen. Das haben wir uns gemerkt, weil es halt so selten war. Aber es gibt Kollegen in ihrem Landtag, die rufen zweimal wöchentlich an. Das geschieht ja nicht versehentlich, sondern natürlich mit der konkreten Absicht, Einfluss zu nehmen. Deshalb muss man das dringend verändern, und zwar nicht erst, wenn ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe gefällt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schließlich nicht ohne Grund hat die antidemokratische Rechte weltweit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Feindbild identifiziert. Wer mit diesen Wölfen heult, trägt nicht zu Lösungen bei, sondern zu Auflösungen. Das wollen Sie, und das wissen Sie natürlich.

Die Versuche in Großbritannien und in Frankreich oder eben auch in anderen Ländern, den öffentlichen Rundfunk gefügig zu machen, sollten uns tatsächlich ein warnendes Beispiel sein. Aber genauso fatal wäre es jetzt, in eine Wagenburgmentalität zu verfallen. Die Politik muss bei diesen Reformen Mittreiber sein. Sie muss aber die Unabhängigkeit, die unabhängige Aufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tatsächlich stärken und – wie gesagt – nicht auf Gerichtsprozesse bzw. Urteile warten.

Für diese nötige Entwicklung braucht es einen gesellschaftlichen Dialog – das sehe ich genauso, Herr Lindh -, und es braucht mehr Teilhabe und Mitbestimmung. Ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss sich auf das besinnen, was von ihm, im Unterschied zu privatwirtschaftlichen Medien, erwartet wird, und zwar nicht nur im Angebot, sondern in der gesamten Arbeitsweise.

Abschluss: Wenn es die Öffentlich-Rechtlichen – so sagt der eine oder andere bisweilen – nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Meine Lieblingsprogramme sind 3Sat und Arte. Aber treffender wäre doch wohl zu sagen:

Wenn wir wollen – letzter Satz -, dass es sie weiter gibt, müssen wir sie neu erfinden.

Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)